Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl: „Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz hält es für möglich, dass die beiden Parteien miteinander koalieren – und hofft, unentschlossene Wähler:innen zu überzeugen.
![Olaf Scholz sitzt an seinem Schreibtisch im kanzleramt und spricht Olaf Scholz sitzt an seinem Schreibtisch im kanzleramt und spricht](https://taz.de/picture/7538948/14/Scholz-Interview-Bundestagswahl-1.jpeg)
taz: Herr Scholz, wird Friedrich Merz ein guter Kanzler?
Olaf Scholz: Ich verwende meine Kraft darauf, wieder Kanzler zu werden.
taz: Wäre Friedrich Merz denn ein guter Kanzler?
Scholz: Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich sage: Es gibt bessere Alternativen.
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taz: Glauben Sie noch immer, dass ihre Chancen, Kanzler zu bleiben, bei 60 Prozent stehen?
Scholz: Ich trete am 23. Februar als Kanzler an und werbe für die SPD. Ich habe schon 2021 damit leben müssen, in vielen Interviews von Journalistinnen und Journalisten etwas ironisch belächelt zu werden. Worauf ich setze? Die Zahl der Unentschlossenen ist sehr hoch. Die jüngsten Eskapaden von Herrn Merz haben viele irritiert, die sonst oft CDU oder FDP gewählt haben. Sie wollen keine Zusammenarbeit mit der AfD. Meine Prinzipien sind klar: niemals gemeinsame Sache zu machen mit Parteien der extremen Rechten.
taz: Denken Sie wirklich, dass Merz als Kanzler eine Koalition mit der AfD eingeht?
Scholz: Halten Sie das denn für ausgeschlossen? Im November hat Herr Merz lang und breit im Bundestag ausgeführt, dass er nie und nimmer mit der AfD gemeinsame Sache machen und auch nichts auf die Tagesordnung des Bundestages setzen werde, das auf deren Stimmen angewiesen ist. Es dürfe keine zufälligen Mehrheiten geben. Ein paar Wochen später hat er genau das gemacht – mit Ansage. Damit hat er sein Wort und ein wichtiges Tabu gebrochen, für nichts und wieder nichts. Wieso sollte man ihm in dieser Frage vertrauen?
taz: Halten Sie eine schwarz-blaue Koalition für möglich oder für wahrscheinlich?
Scholz: Für möglich. Bündnisse von konservativen und rechtspopulistischen Parteien sind in Europa inzwischen verbreitet. In Finnland, in Schweden, in den Niederlanden. In Österreich war die ÖVP drauf und dran, einen FPÖ-Kanzler mit zu wählen. Daraus folgt: Am 23. Februar darf es keine Mehrheit für CDU/CSU und AfD geben.
taz: Ein Sozialdemokrat, der Ihnen nahesteht, hat uns vor zwei Monaten gesagt: Die SPD gewinnt, wenn es im Wahlkampf um Arbeit und Soziales geht. Wenn es um Migration geht, verliert sie. Hatte er recht?
Scholz: Die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass fast ein Drittel der Deutschen eine Zuwanderungsgeschichte hat. Und dass wir auf Zuwanderung angewiesen sind. Wir verteidigen die Offenheit unseres Landes, wenn wir die irreguläre Migration in den Griff bekommen.
taz: Die Zahl der Abschiebungen ist gestiegen. Die Ampel hat Grenzkontrollen eingeführt. Trotzdem gab es immer wieder Anschläge.
Scholz: Ich teile den Fatalismus nicht, der hinter der Haltung steckt, dass es eh nichts gebe, was man wirksam tun könne. Es bleibt nötig, die Migration ordentlich zu managen – das erwarten die Bürgerinnen und Bürger von der Politik, zu Recht. Gerade, weil wir ein Einwanderungsland sind.
taz: Der Frust hat auch konkrete Gründe. Die Integration bei Arbeit, Wohnen, Bildung müsste viel schneller und effektiver laufen …
Scholz: Richtig. Wir sind eben Einwanderungsland und Integration ist eine große gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Der Bund unterstützt die Länder dabei. In unseren Schulen erhalten Menschen unterschiedlicher Herkunft oft gute Bildung, lernen gut Deutsch und verschaffen sich gute berufliche Perspektiven. Das gelingt meist besser als anderswo. Trotzdem bleibt viel zu tun.
taz: Sie aber betonen die ganze Zeit, welche Verschärfungen Sie durchgesetzt haben. Müsste Ihre Botschaft nicht lauten: Wir müssen viel mehr in die Integration von Zuwander:innen investieren?
Scholz: Das ist auch meine Botschaft. Sie ist mir genauso wichtig wie die Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts oder die Erleichterung der künftigen Arbeitskräftezuwanderung.
taz: Aber sonst ist wenig passiert. Deutschland hat hunderttausende Menschen binnen kurzer Zeit aufgenommen und viel zu wenig für die Infrastruktur getan. Sie haben angekündigt, dass 400.000 Wohnungen pro Jahr gebaut werden – und versagt.
Scholz: Dieses Ziel haben wir nicht erreicht. Vielleicht darf ich kurz Gründe dafür anführen: Putin hat die Ukraine überfallen, die Gaslieferungen nach Deutschland sind von einem Tag auf den anderen weggefallen und wir hatten eine extreme Inflation, insbesondere wegen der Energiepreise. Um die Inflation zu bekämpfen, hat die Zentralbank die Zinsen angehoben. Deshalb ist das Bauen sehr, sehr viel teurer geworden. Fakt ist aber auch, dass im Schnitt immerhin 300.000 Wohnungen entstanden sind. Damit mehr bezahlbare Wohnungen entstehen, haben wir die Mittel für geförderten Wohnungsbau stark erhöht. Die Zinsen gehen nun wieder zurück, die Energiepreise sind gesunken und wir haben das Baurecht vereinfacht, damit Bauen leichter und preiswerter gelingt. All das wird den Wohnungsbau jetzt beleben.
taz: Wunderbar. Sie hatten drei Jahre Zeit und sagen nun: „Jetzt kann es losgehen“?
Scholz: Noch mal: Seit drei Jahren tobt ein Krieg in Europa mit massiven Auswirkungen, wie geschildert. Diesen Zusammenhang kann man doch nicht ernsthaft bestreiten.
taz: Die geltende Mietpreisbremse hat den Anstieg der Mieten nicht verhindert. Was halten Sie von einem Mietendeckel?
Scholz: In angespannten Wohnlagen kann der Mietanstieg begrenzt werden. Das sieht unser Mietrecht vor. Und diese Regelungen wollen wir verbessern. Die Mieten steigen allerdings vor allem, weil vielerorts die Nachfrage nach Wohnungen das Angebot übersteigt. Wir müssen mehr Wohnungen bauen – vor allem neue bezahlbare Wohnungen, die wir mit öffentlichem Geld fördern.
taz: Sie sagen selbst, der Krieg in der Ukraine treibt die Baupreise in die Höhe. Muss man die politischen Instrumente nicht anpassen?
Scholz: Worauf wollen Sie hinaus?
taz: Staatliche Förderung für gemeinwohlorientierte Wohnungsunternehmen.
Scholz: Das ist eine gute Sache und eines der Vorhaben der Bundesregierung. Allerdings bezweifle ich, dass alleine das den Bau hunderttausender Wohnungen zur Folge hätte.
taz: Große, profitorientierte Wohnungskonzerne enteignen.
Scholz: Dadurch würde nicht eine neue Wohnung entstehen. Wir müssten sehr viel Geld in die Entschädigung der Konzerne stecken, wie es das Grundgesetz für Enteignungen vorschreibt, statt das Geld in den Wohnungsbau zu investieren.
taz: Guckt man in die Wahlprogramme, findet man große Überschneidungen zwischen SPD, Grünen und der Linkspartei in sozialen Fragen sowie bei Staatsfinanzierung und Umverteilung. Sollten die linken Parteien nicht stärker miteinander arbeiten als gegeneinander?
Scholz: Ich habe gerade drei Jahre mit meinem grünen Koalitionspartner zusammengearbeitet. In Hamburg hatte ich mehrere Jahre eine rot-grüne Koalition geführt. Und was die Partei Die Linke betrifft: Anders als die wollen wir die Ukraine nicht im Stich lassen.
taz: Trump hat mit Putin telefoniert und einen Plan für Verhandlungen skizziert. Hat die amerikanische Regierung Sie vorab darüber informiert?
Scholz: Ich wusste, dass der US-Präsident ein solches Gespräch vorhat.
taz: Sie haben es aus den Medien erfahren?
Scholz: Der US-Präsident hat sein Gespräch ja bekannt gemacht. Wichtig ist: Nichts darf über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entschieden werden. Sie müssen selbst über ihre Zukunft und ihr Schicksal verhandeln.
taz: Trump erweckt aber gerade den Eindruck, dass sowohl über die Köpfe der Ukrainer:innen als auch die der Europäer:innen hinweg entschieden wird. Europa soll nicht mit verhandeln, danach aber ohne US-Beteiligung einen Waffenstillstand absichern. Haben Sie mit dieser schroffen Ansage gerechnet?
Scholz: Ohne Europa kann der Frieden nicht gelingen. Das muss jedem klar sein. Es gibt eine gemeinsame Verantwortung aller Freunde der Ukraine diesseits und jenseits des Atlantiks. Aktuell angesichts der akuten Bedrohung des Landes durch den russischen Angriffskrieg – und auch noch, wenn der Konflikt irgendwann beendet sein wird und Frieden herrscht. Deshalb machen wir deutlich, dass wir die Ukraine auch danach weiter unterstützen werden. Deutschland und die USA sind gegenwärtig die größten Unterstützer. Und die Ukraine braucht auch in Friedenszeiten eine starke Armee. Die ukrainische Volkswirtschaft allein wird das nicht finanzieren können. Europa, die USA und andere internationale Partner werden dann gefragt bleiben.
taz: Zählen Sie die USA unter Trump noch zu den Freunden der Ukraine?
Scholz: Wir haben eine jahrzehntelange Freundschaft und Partnerschaft mit den USA.
taz: Ihre Parteivorsitzende Saskia Esken hat die Trump-Administration gegenüber der taz als illiberal bezeichnet. Sehen Sie das auch so?
Scholz: Die Äußerungen des US-Vizepräsidenten in München waren unangemessen, das habe ich am Wochenende sehr deutlich gemacht. Wir entscheiden selbst, wen wir wählen.
taz: Für wie gefährlich halten Sie die versuchten Eingriffe der Trump-Getreuen in den deutschen Wahlkampf?
Scholz: Die AfD ist eine Partei, aus deren Reihen der Nationalsozialismus und seine monströsen Verbrechen als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte verharmlost werden. Und es gab lange den Konsens in Deutschland, mit Parteien der extremen Rechten nicht zusammenzuarbeiten. Das muss gelten!
taz: Im Moment entfernen sich die USA von Europa. Was tut Europa dagegen?
Scholz: Die transatlantischen Beziehungen reichen weit zurück und sind belastbar. Auf diesem Fundament werden wir auch das Verhältnis zur aktuellen US-Regierung gestalten. Ich rate zu klaren Grundsätzen und zu einem geraden Rücken. Europa kann selbstbewusst sein.
taz: Trump hat erklärt, der Nato-Beitritt der Ukraine wäre kein Thema mehr.
Scholz: Diese Position ist so neu nicht, auch die vorherige US-Regierung hat deutlich gemacht, dass ein Beitritt in absehbarer Zeit nicht ansteht. Die Beschlüsse der NATO von Vilnius und Washington eröffnen der Ukraine aber eine Perspektive.
taz: Im vergangenen Jahr haben Sie gesagt: „Als deutscher Bundeskanzler werde ich keine Soldaten unserer Bundeswehr in die Ukraine entsenden.“ Gilt das noch?
Scholz: Ja. Deutschland wird sich nicht mit Soldaten an diesem Krieg beteiligen.
taz: Auch nicht an einer Friedenstruppe?
Scholz: Das ist eine Debatte zur Unzeit.
taz: Trump will ukrainische Rohstoffe wie seltene Erden. Welche Rolle wird das in Verhandlungen spielen?
Scholz: Der Friedensplan des ukrainischen Präsidenten enthält auch einen Hinweis auf den Rohstoff-Reichtum seines Landes.
taz: Donald Trump will sich vergangene Waffenlieferungen mit Rohstoffen bezahlen lassen.
Scholz: Alle Staaten, die die Ukraine unterstützen, verlangen dafür keine Gegenleistung – so sollte es bleiben. Deutschland hat die Ukraine mit insgesamt fast 44 Milliarden Euro seit Kriegsbeginn unterstützt. Es war sicherlich falsch, dass wir diese immense Summe aus dem laufenden Haushalt aufgebracht haben, statt dafür eine eigene Kreditberechtigung zu schaffen. Die meisten Länder um uns herum haben darüber den Kopf geschüttelt.
taz: Das war dann auch Ihr Fehler.
Scholz: In der Koalition ließ sich leider kein anderer Weg durchsetzen. Auch deshalb – und nicht nur wegen der Kabale der FDP – habe ich den Finanzminister Lindner entlassen. Nun wählen wir Ende Februar und nicht erst im September.
taz: Was machen Sie am Abend des 23. Februar?
Scholz: Den Wahlabend verbringe ich natürlich im Willy-Brandt-Haus sowie in diversen Fernsehstudios, um dann hoffentlich über ein gutes Ergebnis der SPD zu sprechen. Und ich hoffe auf die Gelegenheit, mit meiner Frau auf ihren Geburtstag anzustoßen.
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