Hubert Aiwanger und das Nazi-Pamphlet: Die Unschuld längst verloren
Auch wenn das widerliche Flugblatt nicht von Hubert Aiwanger verfasst worden ist, bleiben zu viele Fragen. Eine Entschuldigung hingegen fehlt.
N ehmen wir es doch einfach mal an. Nehmen wir doch mal an, das widerliche Nazi-Flugblatt, das 1987 im Burkhart-Gymnasium die Runde machte, sei nicht von Hubert Aiwanger verfasst worden, sondern von seinem Bruder. Nehmen wir also weiter an, die Süddeutsche Zeitung sei bei ihren Recherchen übers Ziel hinausgeschossen, habe Zeugen zu viel geglaubt, voreilige Schlüsse gezogen oder sei gar einem Jagdeifer verfallen, der seriösen Journalistinnen und Journalisten schlecht ansteht. Wäre der Kas dann bissen? Sprich: Hätte sich die Sache erledigt? Mitnichten.
Natürlich gilt die Unschuldsvermutung auch für einen Aiwanger. Und natürlich sprechen wir von einem damals 16-Jährigen. Auch Politiker müssen sich nicht ein Leben lang vorhalten lassen, welchen Mist sie unter Umständen als Jugendliche verzapft oder angestellt haben. Sarah-Lee Heinrich, Bundesvorsitzende der Grünen Jugend, hat gar nicht so lange vor ihrer Wahl noch recht radikale Tweets abgesetzt, die sie heute nicht mehr wiederholen würde. Jürgen Baumgärtner, CSU-Abgeordneter im Bayerischen Landtag, war als Jugendlicher sogar Neonazi – eine Vergangenheit, von der er sich glaubhaft verabschiedet hat.
Gern würde man auch Aiwangers Schultasche ein für allemal schließen. Doch der Fall ist anders gelagert. Zu viele Fragezeichen stehen noch im Raum. Hat Helmut Aiwanger das Pamphlet wirklich alleine verfasst und warum? Seine Äußerungen dazu sind dürr und wenig schlüssig. Eine Klasse wiederholen zu müssen, kann wütend machen – ist aber kein Motiv, Holocaust-Opfer zu verhöhnen. Und Hubert Aiwanger hat das Pamphlet mit sich rumgetragen, vielleicht verbreitet. Ein Bedauern darüber hat man nicht gehört.
Nur lauwarme Relativierungen
Und nicht zuletzt das große Fragezeichen: Wie hält der Mann es heute mit rechtem Gedankengut? Da haben viele ihre Zweifel. Vor allem nach Erding, nach seinem Auftritt bei Lanz. Nicht zuletzt, weil sich Aiwanger nie entschuldigt hat; man hört allenfalls lauwarme Relativierungen.
Mit der reinen Stilisierung der eigenen Person zum Opfer ist es deshalb nicht getan. Bedroht sei er von seiner Schule worden, unter Druck gesetzt. Lächerlich! Das Bild der Unschuld vom niederbayerischen Lande braucht Aiwanger nicht zu malen. Stattdessen sollte er aufklären, wie es zu der Hetzschrift kam und was seine Rolle dabei war. Andernfalls wäre es an der Zeit, ihm die Tür zu zeigen. Das könnte sein Chef Markus Söder tun. Oder seine Partei, die Freien Wähler. Zwei unwahrscheinliche Szenarien. Bleiben die bayerischen Wählerinnen und Wähler. Am 8. Oktober wird gewählt. Und ja, die Wähler in Bayern sind – frei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands