„Stern“ über Fischers Vergangenheit: Beim Putzen erwischt
Der „Stern“ rollt die militante Vergangenheit des Ex-Außenministers nochmal auf. Das Magazin zeigt, dass der Grüne ein flexibles Verhältnis zur Wahrheit hat.
BERLIN taz | Am Abend des 9. Mai 1976 versammelten sich Frankfurter Militante, angeführt von Joschka Fischer, um Rache zu nehmen. Rache für das RAF-Mitglied Ulrike Meinhof, die sich in Stammheim selbst getötet hatte. Damals kursierte bei den Militanten indes das Gerücht, dass der Staat Meinhof ermordet hatte. Die Frankfurter Putztruppe diskutierte, ob sie bei der Demo am 10. Mai Brandbomben einsetzen sollte.
Sie taten es: Am 10. Mai wurde bei der Demonstration der damals 23-jährige Polizist Jürgen Weber von Putzgruppen-Aktivisten lebensgefährlich verletzt. Joschka Fischer musste sich 2001, damals noch grüner Außenminister, für seine Teilnahme an gewalttätigen Aktionen rechtfertigen. Fischer beteuerte, er habe stets etwas gegen den Einsatz von Molotowcocktails gehabt.
Brandsätze hätten nicht seiner „Haltung und Überzeugung entsprochen“. Im Bundestag erklärte Fischer 2001: „Ich habe niemals Molotococktails geworfen, und ich habe auch nicht dazu aufgerufen, Molotowcocktails zu werfen.“ Im Übrigen, so Fischers 2001 wenig überzeugende Verteidigung, könne er sich an den 9. Mai 1976 leider nicht erinnern.
Im aktuellen Stern liest sich dies etwas anders. Michael Schwelien, später Redakteur der Zeit und Autor einer Biographie über Fischer, war laut eigenem Bekunden am 9. Mai 1976 bei der Versammlung der Militanten dabei. Schwelien zufolge hat Fischer „die Leute regelrecht ermuntert, er hat die Stimmung aufgeheizt“. An dem Abend sei auch konkret besprochen worden, wie man die Brandsätze anfertigt. Wenn Schweliens Erinnerung richtig ist, hat Fischer den Bundestag 2001 belogen.
Vorwurf fehlt im Nachwort
Interessant ist allerdings, dass Schwelien in der per Nachwort aktualisierten Taschenbuchausgabe der Biografie auf diesen Vorwurf verzichtet. In dem im Heyne Verlag 2001 erschienenen Band fehlt der Hinweis, dass Schwelien auf der Versammlung anwesend war. Zudem spekuliert er nur über den Abend des 9. Mai 1976.
Das im August 2001 verfasste Nachwort wurde offensichtlich wegen der damaligen Debatte um Fischers militante Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Prozess gegen den Ex-Terroristen Hans-Joachim Klein eingefügt. Der damalige Außenminister sagte als Zeuge aus. Im Nachwort mutmaßt Schwelien nur über den entsprechenden Abend: „Nahe liegend ist der Schluss, dass der Anführer der Putzgruppe während der Vorbereitungsdiskussion die Bereitschaft zum Krawall und zum Anfertigen von Molotow-Cocktails zumindest billigend hingenommen hat, dass das kolportierte 'Sei's drum' von Fischer wirklich ausgesprochen war.“
Auf Nachfrage sagt Michael Schwelien, er habe beim Verfassen des Buches seine Anwesenheit und Fischers Rolle auf der Versammlung am 9. Mai 1976 als „nicht so wichtig empfunden“. Wichtiger sei ihm während des Schreibens die Debatte um den Bundeswehreinsatz im Kosovo-Konflikt und den damit verbundenen Streit bei den Grünen gewesen.
Fischers Glaubwürdigkeit wird auch durch eine Aussage des Ex-Terroristen und Frankfurter Ex-Militanten Hans-Joachim Klein in Frage gestellt. Klein hatte schon 2007 erklärt: „Wenn Sie in der Putzgruppe waren, haben Sie irgendwann auch Molotowcocktails geworfen.“ Die Brandsätze seien gezielt gegen Polizisten eingesetzt worden. Diese Aktionen seien in der Putzgruppe stets „im Konsens“ beschlossen worden. Dass ausgerechnet Joschka Fischer, Leitwolf der Frankfurter Militanten in den 70er Jahren, von diesem Konsens nichts mitbekommen haben soll, ist eher unwahrscheinlich. Fischer, heute Lobbyist für verschiedene Konzerne, schweigt zu den Vorwürfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“