Gekippte Teilsperrung der Friedrichstraße: Autos immer noch King

Das Berliner Verwaltungsgericht hat die Teilsperrung der Friedrichstraße für Autos aufgehoben. Die Rechtslage ist pro Pkw und muss geändert werden.

Die autofreie Friedrichstraße. Ein paar Leute gehen auf der noch erkennbaren ehemaligen Fahrbahn. Die Fußwege sind eher Leer. Rechts und links von der Straße große Häuser

Womöglich bald nicht mehr autofrei: ein Teil der Friedrichstraße Foto: Andreas Friedrichs/imago

Das Signal ist fatal, denn es ist die Absage an die Verkehrswende im Hier und Jetzt: Das Berliner Verwaltungsgericht hat einen autofreien Straßenabschnitt in der Mitte der Hauptstadt kassiert. „Vorerst freie Fahrt in der Friedrichstraße“, überschrieb die Pressestelle die entsprechende Mitteilung.

So einfach ist es zum Glück nicht. Die Berliner Verkehrsverwaltung prüft eine Beschwerde gegen den Beschluss beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, und die hätte aufschiebende Wirkung. Doch egal, wie es ausgeht, die Botschaft der Berliner Ver­wal­tungs­rich­te­r:in­nen ist für die gesamte Republik sehr unschön. Sie lautet: Seid vorsichtig, ihr autoskeptischen Ver­kehrs­pla­ne­r:in­nen in den Kommunen, dem Auto gebührt weiterhin der Vorrang.

Der Hintergrund: Ein Teil der Friedrichstraße in Berlin-Mitte ist seit August 2020 für den Autoverkehr gesperrt. Ursprünglich begründete der Berliner Senat das mit einem Verkehrsversuch, der bis Oktober 2021 lief. Anhängig ist ein Verfahren zur Umwandlung des Abschnitts in eine Fußgängerzone, das Verfahren läuft noch. Noch immer ist der Straßenabschnitt zwischen der Französischen Straße und der Leipziger Straße für Autos gesperrt. Dort sind etliche Sitzgelegenheiten entstanden, die zum Verweilen einladen.

Trotz aufgestellter Pflanzenkübel ist es zumindest tagsüber nicht sehr idyllisch. Rad­fah­rer:in­nen dürfen dort fahren, allerdings höchstens mit 20 Stundenkilometern – was von der Polizei durchaus kon­trol­liert wird. Es hat sich gezeigt, dass die Koexistenz von Rad­le­r:in­nen und Fuß­gän­ge­r:in­nen nicht unkompliziert ist. Fuß­gän­ge­r:in­nen empfinden die durch den Straßenabschnitt mitunter rasenden Rad­le­r:in­nen mit Recht als Bedrohung – deswegen sollen die Fahrräder auf eine Nebenstraße geleitet und der Bereich zur reinen Fußgängerzone werden.

Die Sache mit der „Gefahr“

Die Rich­te­r:in­nen gaben mit ihrer Entscheidung gegen die anhaltende Sperrung der Inhaberin eines Weingeschäfts recht, die einen Eilantrag gestellt hatte. Das Gericht argumentiert mit der Gesetzeslage: Jeder Eingriff, der den fließenden Autoverkehr hemmt, muss ausführlich begründet werden. Nur wenn Sicherheit und Ordnung gefährdet seien, sei eine Sperrung rechtmäßig, sagen die Richter:innen. Es müsse „eine konkrete Gefahr aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse“ bestehen. Der Senat habe aber eine angenehmere Aufenthaltsqualität als Grund für die Sperrung angeführt – und das rechtfertige die Sperrung nicht.

Das zeigt: Die Autofixierung des 20. Jahrhunderts findet weiterhin ihren Niederschlag im Straßengesetz und in der Straßenverkehrsordnung. „Man kann es kaum glauben, aber selbst im Jahr 2022 dürfen Behörden den öffentlichen Raum erst dann den Menschen ohne Benutzung von Autos zur Verfügung stellen, wenn zuvor jemand verletzt oder gar getötet wurde“, sagt Inge Lechner von Changing Cities.

Weil das so ist, ändert sich im deutschen Straßenverkehr so wenig – obwohl es eine große Bereitschaft in vielen Kommunen gibt, den Autoverkehr zurückzudrängen. Aber Ent­schei­de­r:in­nen haben Angst, dass ihnen ihre Pläne zugunsten von Fuß­gän­ge­r:in­nen und Rad­fah­re­r:in­nen vor Gericht um die Ohren fliegen, wenn jemand dagegen klagt. Das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts wird landauf, landab Zögerer und Zauderer bestärken und diejenigen bremsen, die für schnelle Veränderungen sind.

Macht mal Druck

Organisationen wie der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club oder die Ver­kehrs­ak­ti­vist:in­nen von Changing Cities fordern vom Bund seit Langem eine entsprechende Änderung der Rechtslage. SPD, Grüne und FDP haben sich das auch vorgenommen, allerdings recht vage. „Wir werden Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung so anpassen, dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen“, heißt es im Koalitionsvertrag der Ampel.

Prioritär ist das für Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) aber offenbar nicht. Die Grünen, die sich die Verkehrswende immerhin auf die Fahnen schreiben, sollten das nicht einfach hinnehmen, sondern viel mehr Druck machen.

Die in der Coronakrise besonders in Berlin entstandenen vielen Pop-up-Radwege haben gezeigt, dass es auch ohne Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung möglich ist, schnell verkehrspolitisch etwas zu bewegen. Aber das ist schwer und erfordert Mut. Gegen die Berliner Pop-up-Radwege gab es ebenfalls Klagen, aber die konnte der Senat zum Glück parieren – auch wenn es zwischenzeitlich anders schien.

Die Rechtsunsicherheit dürfte einige Pop-up-Radweg-Projekte in der Republik gestoppt haben. Das ist sehr schade, denn dass die Radinfrastruktur massiv und schnell ausgebaut werden muss – auch um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen –, stellt niemand infrage.

Das Berliner Verwaltungsgericht hat eine Möglichkeit aufgezeigt, wie der autofreie Abschnitt in der Friedrichstraße rechtssicher möglich gewesen wäre, nämlich wenn der Senat ein umfangreiches Verkehrskonzept vorgelegt hätte. Geschadet hätte das sicher nicht.

Doch eines ist klar: Das hätte gedauert. Der Senat wollte aber schnell handeln, und das war richtig. Denn wer die Verkehrswende schnell will, muss mitunter riskieren, dass Gerichte Projekte stoppen. So kann wenigstens genug öffentlicher Druck entstehen, damit die antiquierten Verkehrsgesetze endlich geändert werden.

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