piwik no script img

Erweiterung des Brics-BündnissesKeine gerechtere Weltordnung

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Ein alter linker Traum erfüllt sich scheinbar: die Emanzipation des „Globalen Südens“. Angesichts der Akteure fällt es aber schwer, das als Fortschritt zu sehen.

Feiern sich und die Erweiterung als Ansage an den Westen: Staatschefs der Brics-Staaten Foto: reuters

S elten löste ein Menschenrechtsbericht solches Entsetzen aus wie jetzt die Enthüllung von Human Rights Watch über Massaker an äthiopischen Flüchtlingen in Saudi-Arabien. Der Bericht „They Fired on Us Like Rain“ offenbart die Gewalt der saudischen Diktatur, ihre Geringschätzung menschlichen Lebens und den arabischen Rassismus gegenüber Afrikanern.

Direkt danach sind nun Äthiopien und Saudi-Arabien gemeinsam in das Schwellenländerbündnis Brics eingeladen worden, und beide Regierungen betonen, sie hätten miteinander überhaupt kein Problem. Aus der Fünferallianz Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika wird ein Elferbündnis mit den Neumitgliedern Ägypten, Äthiopien, Argentinien, Iran, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Weitere könnten folgen.

„Brics plus“ erfüllt scheinbar einen alten linken Traum: die Emanzipation des „Globalen Südens“. Die Auflösung der europäischen Kolonialreiche gilt als epochale Errungenschaft des 20. Jahrhunderts, aber für viele blieb sie unvollendet: An die Stelle kolonialer Herrschaft trat neokoloniale Abhängigkeit, begründet im US-zentrierten Finanzsystem und in der Sonderstellung der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs in den Vereinten Nationen.

Mit der Brics-Erweiterung erscheint nun die Alternative einer „multipolaren“ Welt zum Greifen nahe. Die Brics-Länder wollen laut Gipfelerklärung untereinander mit ihren eigenen Währungen Handel treiben statt über den US-Dollar. Sie betonen „gegenseitigen Respekt“ und „souveräne Gleichheit“.

Das Recht des Stärkeren

Aber es fällt schwer, darin einen Fortschritt zu sehen, wenn man sich die Akteure anschaut. Die multipolare Welt von Wladimir Putin und Xi Jinping, die sich keinen Regeln unterwerfen, ist das Gegenteil der multilateralen Welt, in der alle nach den gleichen Regeln spielen. Es ist ein exklusiver Klub der Bosse und Diktatoren. Zu Hause darf jeder alles und verdient dafür Respekt. Die multipolare Welt begräbt die regelbasierte Weltordnung, es gilt das Recht des Stärkeren.

Natürlich fühlen sich Äthiopiens Abiy Ahmed, Saudi-Arabiens Mohammed bin Salman und andere Neuzugänge in dieser Brics-Welt wohler als in einer, in der internationale Instanzen Menschenrechte anmahnen. Aber mit Fortschritt für die Menschen hat das nichts zu tun. Linke Träumer in Brasilien oder Südafrika oder demnächst Argentinien sind nur dabei, weil ihnen der Anti-US-Reflex den Blick auf die Realitäten verstellt. Sie reduzieren den „Globalen Süden“ auf ein Feigenblatt für den autoritären „Osten“ im neuen Ost-West-Konflikt. Sie schenken Brics ein Mäntelchen der Verlogenheit, die freie Hand für Massenmörder zur antiimperialistischen Errungenschaft erklärt.

Verlogen ist das auch aus ganz banalen Gründen. Die Brics-Mächtigen mögen gegen westliche Hegemonie und den US-Dollar wettern. Aber ihre gestohlenen Gelder legen sie nicht in Rubel oder Yuan an, sondern in Dollar, Euro, Pfund und Franken. Ihre Bankkonten halten sie im reichen Westen, ihre Geschäfte laufen über New York und London, ihre Kinder gehen auf westliche Universitäten. Chinesische und russische Unternehmen beuten Menschen und Natur in armen Länder unbekümmerter aus als westliche und wahren ihre Interessen mit der vollen Härte russischer Wagner-Kämpfer und chinesischer Überwachungsfirmen.

Steilvorlagen

Die Tragik ist, dass der „Globale Westen“ im Eintreten gegen das multipolare Recht des Stärkeren ständig Steilvorlagen gegen sich selbst liefert. Die westliche Unterstützung für den Freiheitskampf der Ukraine ist die rühmliche Ausnahme, die den desolaten Zustand westlicher Politik ansonsten eher noch deutlicher hervortreten lässt.

Denn ansonsten gelten globale Regeln oft plötzlich nicht mehr, wenn westliche Länder sie brechen. Globalisierung wird ausgebremst, sobald andere Weltregionen zu schnell aufholen. Freiheit in reichen Ländern endet dort, wo Zuwanderer aus armen Ländern sie in Anspruch nehmen wollen. Und während in Johannesburg der Brics-Gipfel die „Stärkung der Kapazität afrikanischer Staaten“ forderte, behauptete in Paris ­Emmanuel ­Macron in einem Interview, ohne Frankreichs Militärengagement in Afrika „gäbe es zweifelsohne Mali und Burkina Faso nicht mehr“. Besser kann man neokoloniale Ignoranz nicht ausdrücken.

Die Brics-Welt glänzt – aber nur, weil die westliche Welt hinter den Ansprüchen zurückbleibt, die weltweit an sie gesetzt werden. Der Brics-Glanz ist ein falscher Glanz. Aber die Aufholjagd des Westens beginnt bei sich selbst.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.