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Entscheidung der MindestlohnkommissionFast 15 Euro für alle

Der Mindestlohn steigt schrittweise bis 2027 auf 14,60 Euro. Das hat die zuständige Kommission beschlossen. Die SPD-Wunschhöhe ist knapp verfehlt.

Das Gremium gibt seinen Beschluss zur Anpassung der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns bekannt, Berlin, am 27.6.2025 Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Lang und breit wurde über die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns diskutiert – besonders die SPD wünschte sich die Erhöhung auf 15 Euro. Die Mindestlohnkommission blieb nun darunter: Anfang 2026 soll die Lohnuntergrenze auf 13,90 Euro brutto pro Stunde steigen, 2027 dann auf 14,60 Euro. Damit werden schließlich fünf bis sechs Millionen Beschäftigte bis zu 310 Euro monatlich mehr bekommen.

Die Lohnuntergrenze, die jetzt bei 12,82 Euro liegt, gilt mit wenigen Ausnahmen für alle Ar­beit­neh­me­r:in­nen in Deutschland. Laut Gesetz wird die Höhe durch die Kommission bestimmt, in der jeweils drei Mitglieder der Gewerkschaften und Arbeitgeber sowie die unabhängige Vorsitzende Christiane Schönefeld verhandeln. Manchmal grätscht aber auch die Politik rein – so findet sich das Ziel von 15 Euro im Koalitionsvertrag von Union und SPD.

Wenn diese Linie erreicht worden wäre, hätte es sich Parteichef und Vizekanzler Lars Klingbeil beim Parteitag der SPD an diesem Wochenende als Erfolg anrechnen können. SPD-Politiker Bernd Rützel bezeichnete den Beschluss dennoch als „annehmbares Ergebnis in wirtschaftlich angespannten Zeiten“.

„Sehr schwierige Gespräche“ in der Gemengelage räumte die Vorsitzende ein. Nachdem man zwei Tage fast durchverhandelt habe, einigte man sich am Freitagmorgen um 9.10 Uhr, sagte Stefan Körzell, einer der Vorstände des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Steffen Kampeter, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), beklagte „den erheblichen medialen und politischen Druck“.

Die Entscheidung in Zahlen

Zum 1. Januar 2026 steigt der Mindestlohn um 8,4 Prozent, Anfang 2027 um weitere fünf Prozent. Insgesamt führt das zu einer Anhebung von knapp 14 Prozent. Laut Stefan Körzell können Voll­zeit­ar­bei­te­r:in­nen ab kommendem Jahr mit 190 Euro mehr Bruttolohn pro Monat rechnen, im Jahr darauf insgesamt mit 310 Euro. Das Jahresplus summiere sich dann auf rund 3.700 Euro, erklärte Körzell. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) kündigte an, das Ergebnis möglichst bald durch eine Rechtsverordnung verbindlich zu machen.

Zusätzliche Ausnahmen vom Mindestlohn für alle beschloss die Kommission nicht. Bauernpräsident Joachim Rukwied hatte verlangt, dass ausländische Sai­son­ar­bei­te­r:in­nen in der hiesigen Spargel-, Wein- und Obsternte ein Fünftel weniger erhalten sollten. Eine solche Regelung erlaube das Gesetz aber nicht, argumentierte Kommissionsvorsitzende Schönefeld.

Zum guten Teil habe die Kommission nun die „hohen Tarifabschlüsse“ der vergangenen zwei Jahre nachvollzogen, sagte BDA-Geschäftsführer Kampeter. Das Gremium muss sich unter anderem an der allgemeinen Lohnentwicklung orientieren. Allerdings gibt es ein relativ neues, zusätzliches Kriterium, das aus der EU-Gesetzgebung stammt: Demnach soll die Lohnuntergrenze bei 60 Prozent der „mittleren“ Lohnhöhe liegen. Es „ist ein Erfolg für die Gewerkschaften, den Referenzwert als neues Kriterium durchgesetzt“ zu haben, sagte Malte Lübker von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Wirtschaft warnt vor Stellenverlust

Heikel war die Entscheidung wegen der Stagnation, in der viele Unternehmen momentan feststecken. Deshalb könnten sich nicht alle Firmen höhere Mindestlöhne leisten, betonte Kampeter am Freitag. Er befürchtete, es werde zu „Verlagerungen“ und Stellenverlusten kommen. Das sehen auch einige Wirtschaftsverbände voraus, etwa der Einzelhandel oder das Taxigewerbe. „Die Entwicklung dürfte zu einem schleichenden Verlust von einfachen Jobs führen“, teilte das Institut der Deutschen Wirtschaft mit.

Gewerkschaftsvorstand Körzell argumentierte dagegen, Beschäftigte, die ihre Stelle verlören, könnten in produktivere Unternehmen wechseln. Schließlich herrsche ein verbreiteter Arbeitskräftemangel, und zahlreiche Firmen suchten Leute, auch zu höheren Mindestlöhnen. Laut Marcel Fratzscher, dem Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, könnte die Untergrenze ruhig stärker angehoben werden als jetzt beschlossen.

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26 Kommentare

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  • Wieso muss man noch diskutieren dass die Mindestlohnkommission immer zu gering ansetzt? Deutlich zu gering. Immer und immer wieder seitdem es sie gibt.

    Der Abstand vom Mindestlohn zu dem Lohn den du haben musst um von den Einzahlungen in die Rentenversicherung den Eckrentenwert über 45 Jahre zu erhalten, hat sich seit der Einführung nicht verringert, er ist leicht gestiegen über die Pandemiejahre.



    Der Mindestlohn trägt letztlich weiter zur Schaffung neuer Altersarmut bei, mir unverständlich wie das sinnvoll sein kann.

  • Da freue ich mich jetzt schon auf mindestens 6% jeweils in den naechsten 2 Jahren. In der Regel steigen durch Erhoehung des Mindeslohns ja alle Loehne. Damit steigen natuerlich auch die Preise und es wird nicht mehr lange dauern bis die Forderungen nach Erhoehung des Buergergelds kommen, worauf wieder der Mindeslohn erhoeht werden muss wegen des Abstands zum Buergergeld. Ob das Starten dieser Lohn-Preis-Spirale in der jetztigen Wirtschaftslage vollkommen unabhaengig von der Produktivitaet eine gute Idee ist, wird sich zeigen.

  • Einkalkulieren muss man auch , dass die Referenz nicht das aktuelle Lohnniveau ist. Und viele ordentliche Arbeitgeber zahlen längst mehr. Und es tut der Spzial - und Krankenversicherung gut .

  • Wenn Arbeitnehmer zwei Jahre lang diese Erhöhung bekommen würden wären einige sehr froh.

    • @Der Cleo Patra:

      Wie der zweite Teil des Wortes nahelegt, betrifft der Mindestlohn Arbeitnehmer.

    • @Der Cleo Patra:

      Oder Rentner mit 800€ Rente.

  • Ja vielleicht auch mal festlegen, dass Tarifabschlüsse den Mindestlohn nicht unterlaufen dürfen. Wer zu niedrige Tariflöhne zahlt wird ja über die Aufstockung auf Bürgergeldniveau subventioniert, das hält man scheinbar für normal.

  • Wer dies nun richtig findet,



    muss auch akzeptieren, dass alles auch bald deutlich mehr kostet, ob Gemüse oder Gaststättenbesuch. Es gibt Millionen Rentner, deren Rente deutlichst unter dem Mindestlohn liegt. Sie können sich bald gar nichts mehr leisten.



    Ihr dürft es richtig finden, aber meckert nicht, wenn jetzt alles teurer wird.

  • Es sollte dennoch berücksichtigt werden, dass in der Mindestlohnkommission eigentlich keine Interessenvertreter der Mindestlohnarbeitende vertreten sind

    Vermutlich gibt es keine Gewerkschaftsmitglieder unter diesen Beschäftigten und sind somit auch nicht deren Klientel.

    M E. sollte in der Sozialen Marktwirtschaft der Mindestlohn eine Rahmenbedingung sein, die ein wirklich unabhängiges, Gremium festlegt

  • Na, und hoffen wir mal, das zusätzlich der Einkommensfreibetrag endlich mal massiv erhöht wird.

    Auf z.B. 20. 000 Euro steuerfreies Einkommen pro Jahr.

    Das wäre mal eine wirklich wirksame Maßnahme zur Ankurbelung der Konjunktur.

    Und, bei dieser Gegenfinanzierung freut sich auch der Finanzminister:

    Erstens: Dieselprivileg abschaffen.

    Zweitens: Kerosin-Privileg abschaffen (Inlandsflüge verbieten)

    Drittens: Vermögenssteuer wieder in Kraft setzen (pausiert seit Jahrzehnten).

    Und viertens, als richtig dicken Fisch für den Bundeshaushalt: Gleichbehandlung bei der Erbschaftssteuer einführen (Hintergrund: Erbschaften mit über 300 Wohnungseinheiten sind von jeglicher Erbschaftssteuer vollkommen befreit!).

    Da freut sich der Finanzminister/das Staatssäckele. :-D

    Müssen nur wollen... . ;-)

    • @Goldi:

      Gute Vorschläge, wäre mal was "pro Normalverdiener/in, weniger für ohnehin Reiche bzw. Konzerne bzw. fragwürdige Subventionen".

  • taz: *Wirtschaft warnt vor Stellenverlust*

    Das alte Märchen wird also mal wieder von den gierigen Wirtschaftsmanagern und ihren Wirtschaftsverbänden erzählt. Haben die keinen Märchenonkel, der sich mal etwas Neues ausdenkt?

    taz: *Anfang 2026 soll die Lohnuntergrenze auf 13,90 Euro brutto pro Stunde steigen, 2027 dann auf 14,60 Euro.*

    Die kleinen Arbeitnehmer hätten vielleicht beizeiten in die Politik gehen sollen, denn da steigen die "Löhne" für unsere "Volksvertreter" immer sehr mächtig an. Diese Politiker-"Löhne" heißen Abgeordnetenentschädigungen und Ministergehälter, und sind die Steuergelder der kleinen Arbeitnehmer, denen man wieder mal den Mindestlohn nicht vernünftig anhebt.

    ***Maurice Höfgen, Ökonom - 'Mehr Geld für Abgeordnete'*** www.youtube.com/shorts/S-MJFP4KQIc

  • Diese Einigung zeigt mir, dass eben noch nicht alles polemisch zerbrüllt wird. Das macht Hoffnung.



    Sehr gute Einigung.

  • „Fast 15 Euro“ als Titel zeigt, wie man mit Sprache in die Irre führt. Was Autor Hannes Koch wohl sagen würde, wenn man alle seine Honorare um fast 3% kürzen würde. Für Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, geht es bei 2,67 Prozent weniger als 15 Euro nicht nur um den Lohn, es geht auch um Arbeitslosengeld und Altersrente.

  • Das ist eine gute Nachricht!



    Die Kommission ist unabhängig, doch angesichts der Lohnsteigerungen und dem politischen Willen ist das Ergebnis zufriedenstellend.



    Die Tatsache, dass es keine 15 Euro sind, ist ein guter Kompromiss für ArbeitnehmerInnen, während die Arbeitgeberseite, wie gewohnt, jammert.



    Ganz unabhängig von Lohnentwicklungen verlagern Firmen Produktionen ins Ausland.



    Der Mindestlohn an sich hat allerdings nicht, wie prognostiziert, zu Arbeitsplatzverlust geführt. Der Anteil der ArbeitnehmerInnen ist so hoch wie nie in der bundesdeutschen Geschichte.



    Ich hoffe sehr, dass diese Regelungen nicht für die Landwirtschaft aufgeweicht werden.



    Die "Arbeit soll sich doch wieder lohnen"- oder ?!

  • Juhuuu! Und nächste Woche schimpfen wir auf den Kapitalismus, weil der Haarschnitt schon wieder teurer wurde und fordern eine Haarschnittpreisbremse.

    • @Juleischka :

      So ist es.

  • Die Erhöhung von 12,82€ auf 14,60€ in zwei Jahren bedeutet eine Steigerung von ca. 6,7% pro Jahr. Das ist ganz ordentlich, immerhin im Moment über der Inflation.



    Die Wirtschaft wird zwar maulen, auf der anderen Seite jedoch auch profitieren, wenn mehr Geld zum Ausgeben da sein wird.

    • @Aurego:

      Die Wirtschaft die Konsumgüter herstellt wird evt. profitieren. Die Wirtschaft die hauptsächlich exportiert eher nicht.

      • @Der Cleo Patra:

        Die Exporteure zahlen oft bereits Löhne jenseits der 15€ pro Stunde.

    • @Aurego:

      Ja, scheint ein Kompromiss, mit dem man leben kann.

    • @Aurego:

      Da durch den Mindestlohn alles teurer wird, ist das eine Milchmädchenrechnung.

      • @Samvim:

        Genau um diese Milchmädchen und -jungen geht es hier. Das sind die, die zu wenig verdienen.

    • @Aurego:

      Profitieren ?? gleichzeitig mit der Erhöhung des Mindestlohnes steigen die Preise für alles, es wird zwar mehr umgesetzt, aber dem Arbeiter bleibt unter dem Strich nicht mehr als zuvor. Der einzige Gewinner ist der Staat (MWST).

      • @Günter Witte:

        Wir sollten uns nebenbei natürlich bemühen, unsere Produktivität zu steigern, dann passt's wieder.

      • @Günter Witte:

        ...& die Rüstungsindustrien, denn der BIP steigt auch...