Einigung im Haushaltsstreit: Eine Rettung mit unbekanntem Preis
Die Regierung einigt sich beim Haushalt, doch viele Details sind unklar. Wo wird konkret gekürzt? Klar ist nur: Für Bürger*innen wird es teurer.
Die Regierung halte an ihren Zielen fest, nämlich den Klimaschutz voranbringen, sozialen Zusammenhalt zu gewährleisten und die Ukraine zu unterstützen, bekräftigte Bundeskanzler Olaf Scholz nach durchwachter Nacht am Mittwochmittag im Bundeskanzleramt. „Wir müssen aber mit deutlich weniger Geld auskommen, um diese zu erreichen.“
Als Scholz, Lindner und Habeck vor vier Wochen an gleicher Stelle auftraten, waren ihre Mienen deutlich verkniffener. Damals musste das Trio einräumen, dass 60 Milliarden Euro futsch waren. Wenige Stunden zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht nämlich geurteilt, dass Milliardenkredite für Corona nicht einfach für Klimaschutz umgebucht werden durften. Das hatte alle Klimapläne der Ampel über den Haufen geworfen, genauso wie die Haushaltsberatungen für 2024, und das Fundament der Koalition erschüttert. Nun also lächelnde Mienen, seinem Kommunikationsstil von Mitte November blieb das Führungstrio aber treu: Wir verkünden, bitte keine Nachfragen!
Auch in seiner Regierungserklärung im Bundestag verriet Scholz wenig Details, begründete aber noch einmal ausführlich, warum Deutschland die Ukraine nun erst recht unterstützen müsse. Putin, der sein Land auf Kriegswirtschaft umgestellt habe und darauf spekuliere, dass die internationale Unterstützung nachlasse, könnte damit durchkommen. „Die Gefahr, dass dieses Kalkül aufgeht, ist nicht von der Hand zu weisen“, so Scholz, der am Abend weiter nach Brüssel zum Europäischen Rat reiste. Auch in der EU bröckelt die Unterstützung. Deshalb will die Ampel die derzeitige Ukraine-Unterstützung – darunter 8 Milliarden Euro für Waffen, 6 Milliarden Euro für Geflüchtete sowie die Finanzhilfen für den Wiederaufbau, zwar aus dem Haushalt zahlen, sichert sich aber ab, falls sich, so Scholz, „die Lage an der Front verschlechtert, die Sicherheit Europas bedroht ist oder andere Unterstützer zurückfallen“. Für diese Fälle will die Regierung den Bundestag bitten, erneut eine Notlage zu erklären, die es erlauben würde, die Schuldenbremse auszusetzen.
Weniger Haushaltsgeld für die Bahn
Da es am Mittwoch noch keine schriftliche Zusammenfassung der Ergebnisse gab, schälen sich die übrigen Konturen des Haushaltskompromisses erst scheibchenweise heraus.
So muss der Bundeswirtschaftsminister erheblich im KTF kürzen. Ursprünglich waren Ausgaben von knapp 212 Milliarden Euro bis 2027 vorgesehen. Davon sollen insgesamt 45 Milliarden Euro wegfallen, davon allein 12 Milliarden Euro im Jahr 2024.
Auf der Streichliste stehen unter anderem die Mittel für die Instandsetzung und Modernisierung der Deutschen Bahn, über 12 Milliarden Euro. Diese könnten durch andere Maßnahmen aufgebracht werden, etwa indem die Bahn den Lkw-Spediteur Schenker verkauft.
Der staatliche Zuschuss für E-Autos soll früher als bislang geplant auslaufen. Und besonders schmerzhaft für Habeck: Die Mittel für den Wiederaufbau der Solarindustrie werden gekürzt, für den er sich starkgemacht hat. „Das tut mir weh“, sagte Habeck. „Das ist der Preis dafür, dass die zentralen Säulen im KTF erhalten bleiben.“ Erhalten bleiben unter anderem die Mittel für die energieeffiziente Sanierung von Gebäuden, für grünen Stahl und für neue Chipfabriken in Ostdeutschland.
Für private Verbraucher wird es teurer
Um die Kürzungen auszugleichen, will die Ampel den CO2-Preis, den die Große Koalition eingeführt hatte, schneller erhöhen als geplant. Das bedeutet, dass fossile Heizenergie und Sprit teurer werden. Derzeit beträgt der CO2-Preis pro Tonne 30 Euro. Zum 1. Januar sollte er ursprünglich auf 40, nun aber auf 45 Euro steigen. Und im Jahr darauf auf 55 Euro, so ein Sprecher des Bundeswirtschaftministeriums.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband sieht hier eine Schieflage zulasten von Privatleuten, denn „die Industrie soll weiterhin von einer Stromsteuersenkung profitieren“, so deren Chefin Ramona Pop. Die Vorsitzende des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, und die Grüne Jugend fordern nun im Gegenzug das Klimageld einzuführen. „Hohe Preise sind jetzt schon die größte Sorge der Menschen in Deutschland. Wenn Klimaschutz das Leben jetzt noch teurer macht, werden Mehrheiten wegbrechen“, so Grüne-Jugend-Sprecherin Svenja Appuhn.
Für private und gewerbliche Verbraucher:innen bitter ist auch die Streichung von 5,5 Milliarden Euro, mit denen die Bundesregierung die Erhöhung der sogenannten Netzentgelte für die Stromübertragung kompensieren wollte. Das wird sich auf die Preise auswirken. Die Industrie leidet bereits jetzt unter den hohen Energiekosten. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) kritisiert die Streichung. „Damit drohen der Wirtschaft in der gesamten Breite zum Jahreswechsel deutlich steigende Strompreise – und das von einem bereits sehr hohen Niveau aus“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian.
Wie in den vergangenen Wochen vielfach gefordert, nimmt die Ampel auch umweltschädliche Subventionen ins Visier, um die Haushaltslücke zu schließen. Damit sollen laut Lindner 3 Milliarden Euro mobilisiert werden. Die Ampel will – wie von Umweltschützer:innen seit Langem gefordert – eine Kerosinsteuer auf Inlandsflüge erheben. Außerdem soll der Zuschuss des Agrardiesels für Landwirtschafts- und Forstbetriebe wegfallen. Die Plastiksteuer in Höhe von 1,4 Milliarden Euro, die der Staat bislang für Unternehmen an die EU abgeführt hat, sollen die Betriebe künftig selbst bezahlen.
Kritik an ungenauen Angaben
Auch die Ministerien müssen noch einmal kräftig sparen – wo genau, ist noch nicht klar. Auch auf Nachfragen konnten die Pressestellen wenig mitteilen. Doch offenbar soll Arbeitsminister Hubertus Heil 0,6 Milliarden Euro an staatlichen Rentenzuschüssen kürzen, beim Bürgergeld soll der Bonus für Fortbildungen gestrichen und Sanktionen verschärft werden. Die Bundesagentur für Arbeit soll 1,5 Milliarden Euro einsparen. An der Kindergrundsicherung will die Ampel festhalten.
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, kritisiert die ungenauen Angaben zu den Kürzungen. „Für uns als Wohlfahrtsverband stellt sich so die dringliche Frage: Was ist mit den Freiwilligendiensten, was ist mit der Migrationssozialarbeit, mit der Unterstützung von Sozialverbänden, oder wie sieht es mit Einsparungen bei Sozialtransfers aus?“ Das Mindeste, was man erwartet hätte, wäre eine sofortige Aufhebung der aktuellen Haushaltssperre für die sozialen Dienste gewesen.
Am Nachmittag kam der Koalitionsausschuss zusammen, am Abend tagten die Fraktionen. Dass sie die Einigung torpedieren, ist unwahrscheinlich. Daniela Kluckert, parlamentarische Staatsekretärin im Verkehrsministerium, schreibt auf X: „Kein Schleifen der Schuldenbremse und keine Steuererhöhungen!“ Es sind die roten Linien der FDP in der Ampelkoalition.
Die Grünen-Führung lobte die Lösung unisono. „Wir sichern unseren Wohlstand, den sozialen Zusammenhalt und lassen beim Klimaschutz nicht nach“, so Parteichef Omid Nouripour. Auf Unionschef Friedrich Merz, der der Ampel erneut „Trickserei“ vorwarf, entgegnete Fraktionschefin Britta Haßelmann im Bundestag: „Das ist alles andere als Ihr Mimimi, das ist Handlungsfähigkeit.“
Merz will „Trick nicht durchgehen zu lassen“
Merz machte im Bundestag klar, dass die Ampel wohl einen sehr hohen Preis zahlen muss, wenn sie, die Union für eine Aufhebung der Schuldenbremse gewinnen will. Die Unterstützung der Ukraine sei wichtig, aber keine unvorhersehbare Notlage, sagte Merz und kündigte an, „diesen Trick nicht durchgehen zu lassen“.
Zunächst kann die Ampel den Haushalt aber mit eigener Mehrheit beschließen. Noch vor Weihnachten soll der Kabinettsbeschluss fallen und der Haushaltsausschuss sich noch vor Heiligabend zur Bereinigungssitzung treffen. „Mit ein bisschen gutem Willen von allen Beteiligten“ könne der Haushalt für 2024 dann Ende Januar verabschiedet werden, so die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion Katja Mast.
Doch für 2025 wird es dann umso schwieriger. Denn dann klafft im KTF ein noch größeres Loch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW