Die deutsche Linke und Israel: Nie wieder Staatsräson
Können deutsche Linke eigentlich noch guten Gewissens hinter Israel stehen? Ja, können sie. Aber nicht, weil Deutschland das so will.
A m 1. November hielt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine Rede, die Deutschland fast zu Tränen rührte. Sigmar Gabriel nannte sie „großartig“, Dietmar Bartsch gab dem Minister „recht“, Luisa Neubauer bedankte sich für die Worte. Sogar Kritiker*innen der Grünen zeigten sich begeistert. Einige meinten, Habecks Rede war „kanzlerwürdig“.
In knapp zehn Minuten Nichtkanzlerrede erzählte Habeck davon, dass sich Jüdinnen und Juden in Deutschland seit dem Überfall der Hamas auf Israel nicht mehr sicher fühlen, dass jüdische Geschäfte angegriffen und auf Demonstrationen gegen Israel gehetzt wird, und das „hier, in Deutschland, fast 80 Jahre nach dem Holocaust“. Es fällt der Satz „Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson“.
Kollegin Doris Akrap schrieb dazu: „Dem Vorwurf, Schuldgefühle leiteten die deutsche Politik, sollte man in so einer Rede in so einer Zeit schon auch begegnen.“ Recht hat sie, denn: Die Geschichte der Staatsräson ist mit der deutschen Schuld eng verwoben. Konrad Adenauer, einst tatsächlicher Kanzler, sagte 1952 im Luxemburger Abkommen dem noch jungen Staat Israel finanzielle und militärische Unterstützung zu – ausdrücklich zur Wiedergutmachung. Das Abkommen war Bedingung für das Ende der Besatzung Deutschlands.
Für dieses Verhältnis zu Israel fand eine andere Kanzlerin, Angela Merkel, über 50 Jahre später einen Begriff. Die Staatsräson war geboren. Und sie mutierte. Heute wollen deutsche Politiker Migrant*innen ein Bekenntnis zum Staat Israel abnötigen, wenn sie Staatsbürger*innen werden wollen. Ohne Israel kein Deutschland und keine Deutschen, das wusste Adenauer, das wissen Merkel und Habeck.
Ein anderes Israel
Nur: Das Israel Adenauers war ein anderes als das Israel heute. Die Arbeiterpartei Awoda, die seit der Staatsgründung bis 1977 fast durchgängig in Israel regierte, war Teil der Sozialistischen Internationalen. Viele Provinzen, die sogenannten Kibbuzim, betrieben Gemeinwirtschaft, manche davon bis heute. Heute ist die Awoda faktisch bedeutungslos, Israel wird seit Jahren rechts regiert.
Deutschen Linken war das Land, ob links oder rechts, lange ein Dorn im Auge. Zur Wiedervereinigung kamen einige Abtrünnige auf die Idee, Israel zu verteidigen. Ihre Position war der des zionistischen Vordenkers Theodor Herzl nicht unähnlich: Jüdinnen und Juden seien auch in modernen Staaten nie sicher, der antisemitische Vernichtungswahn der Deutschen habe das schlimmstmöglich belegt. Einige schlussfolgerten: In dieser Welt helfe gegen Antisemitismus letztlich ein zur Verteidigung fähiger, jüdischer Nationalstaat.
Um Deutschland ging es diesen Linken nie, im Gegenteil: Ihrer Meinung nach sollte das Land gar nicht mehr sein. Die erste Welle der sogenannten Antideutschen rief „Nie wieder Deutschland“ und verstand sich als radikal antifaschistisch, zionistisch, kommunistisch. Heute ist auch diese Bewegung zersplittert und bedeutungslos. Proisraelisch ist man eher für, nicht gegen Deutschland. Der antideutsche Kommunist Joachim Bruhn schrieb polemisch, die Identität des Deutschen bestünde darin, sich „am genauen Ort, wo Vernunft Platz hätte, freiwillig die Staatsräson zu implementieren“.
Staatsräsonist*innen schwadronieren von „Verantwortung“ und meinen damit massenhafte Abschiebungen, sie nutzen das Bekenntnis zu Israel, um zwischen richtigen und falschen Deutschen zu unterscheiden. Gleichzeitig machen sie Geschäfte mit den größten Feinden Israels, etwa dem Iran, der als maßgeblicher Finanzierer der Hamas eine Mitschuld am größten Massenmord von Jüdinnen und Juden seit der Shoah trägt.
Auf den Vorwurf der Schriftstellerin Deborah Feldman, Deutschland schütze Jüd*innen und Juden selektiv – nämlich nur solche, die sich brav der Staatsräson fügen –, antwortete Robert Habeck in einer Talkshow, er könne als „nichtjüdischer, deutscher Politiker“ Israel keine Vorschriften machen.
Linke müssen aber nicht staatstragend sein und brauchen auch nicht den richtigen Sprechort. Sie können benennen, wenn Israel in bewusst verzerrender Absicht unterstellt wird, „wie die Nazis“ zu agieren – selbst wenn es jüdische Schriftsteller*innen sind, die Gaza mit dem Warschauer Ghetto gleichsetzen –, wenn wahrheitswidrig „Zionisten sind Faschisten“ gerufen und Terror als „Widerstand“ verharmlost wird. Sie können auch opponieren, wenn ein israelischer Politiker verlangt, Gaza in eine KZ-Gedenkstätte zu verwandeln und Zehntausende Zivilist*innen sterben, oder wenn radikalreligiöse Siedler im Westjordanland Jagd auf ihre arabischen Nachbar*innen machen.
Zu verneinen, dass dies geht, wäre nicht links, nur „kanzlerwürdig“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko