piwik no script img

Die deutsche Linke und IsraelNie wieder Staatsräson

Konstantin Nowotny
Kommentar von Konstantin Nowotny

Können deutsche Linke eigentlich noch guten Gewissens hinter Israel stehen? Ja, können sie. Aber nicht, weil Deutschland das so will.

Konrad Adenauer (l.) und Ben Gurion in der Wüste Negev, 1966 Foto: Sven Simon/ddp

A m 1. November hielt Bundes­wirt­schafts­mi­nis­ter Robert Habeck eine Rede, die Deutschland fast zu Tränen rührte. Sigmar Gabriel nannte sie „großartig“, Dietmar Bartsch gab dem Minister „recht“, Luisa Neubauer bedankte sich für die Worte. Sogar Kri­ti­ke­r*in­nen der Grünen zeigten sich begeistert. Einige meinten, Habecks Rede war „kanzlerwürdig“.

In knapp zehn Minuten Nichtkanzlerrede erzählte Habeck davon, dass sich Jüdinnen und Juden in Deutschland seit dem Überfall der Hamas auf Israel nicht mehr sicher fühlen, dass jüdische Geschäfte angegriffen und auf Demonstrationen gegen Israel gehetzt wird, und das „hier, in Deutschland, fast 80 Jahre nach dem Holocaust“. Es fällt der Satz „Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson“.

Kollegin Doris Akrap schrieb dazu: „Dem Vorwurf, Schuldgefühle leiteten die deutsche Politik, sollte man in so einer Rede in so einer Zeit schon auch begegnen.“ Recht hat sie, denn: Die Geschichte der Staatsräson ist mit der deutschen Schuld eng verwoben. Konrad Adenauer, einst tatsächlicher Kanzler, sagte 1952 im Luxemburger Abkommen dem noch jungen Staat Israel finanzielle und militärische Unterstützung zu – ausdrücklich zur Wiedergutmachung. Das Abkommen war Bedingung für das Ende der Besatzung Deutschlands.

Für dieses Verhältnis zu Israel fand eine andere Kanzlerin, Angela Merkel, über 50 Jahre später einen Begriff. Die Staatsräson war geboren. Und sie mutierte. Heute wollen deutsche Politiker Mi­gran­t*in­nen ein Bekenntnis zum Staat Israel abnötigen, wenn sie Staats­bür­ge­r*in­nen werden wollen. Ohne Israel kein Deutschland und keine Deutschen, das wusste Adenauer, das wissen Merkel und Habeck.

Ein anderes Israel

Nur: Das Israel Adenauers war ein anderes als das Israel heute. Die Arbeiterpartei Awoda, die seit der Staatsgründung bis 1977 fast durchgängig in Israel regierte, war Teil der Sozialistischen Internationalen. Viele Provinzen, die sogenannten Kibbuzim, betrieben Gemeinwirtschaft, manche davon bis heute. Heute ist die Awoda faktisch bedeutungslos, Israel wird seit Jahren rechts regiert.

Deutschen Linken war das Land, ob links oder rechts, lange ein Dorn im Auge. Zur Wiedervereinigung kamen einige Abtrünnige auf die Idee, Israel zu verteidigen. Ihre Position war der des zionistischen Vordenkers Theodor Herzl nicht unähnlich: Jüdinnen und Juden seien auch in modernen Staaten nie sicher, der antisemitische Vernichtungswahn der Deutschen habe das schlimmstmöglich belegt. Einige schlussfolgerten: In dieser Welt helfe gegen Antisemitismus letztlich ein zur Verteidigung fähiger, jüdischer Nationalstaat.

Staats­rä­so­nis­t*in­nen schwadronieren von Verantwortung und meinen damit Abschiebungen, sie nutzen das Bekenntnis zu Israel, um zwischen richtigen und falschen Deutschen zu unterscheiden

Um Deutschland ging es diesen Linken nie, im Gegenteil: Ihrer Meinung nach sollte das Land gar nicht mehr sein. Die erste Welle der sogenannten Antideutschen rief „Nie wieder Deutschland“ und verstand sich als radikal antifaschistisch, zionistisch, kommunistisch. Heute ist auch diese Bewegung zersplittert und bedeutungslos. Proisraelisch ist man eher für, nicht gegen Deutschland. Der antideutsche Kommunist Joachim Bruhn schrieb polemisch, die Identität des Deutschen bestünde darin, sich „am genauen Ort, wo Vernunft Platz hätte, freiwillig die Staatsräson zu implementieren“.

Staats­rä­so­nis­t*in­nen schwadronieren von „Verantwortung“ und meinen damit massenhafte Abschiebungen, sie nutzen das Bekenntnis zu Israel, um zwischen richtigen und falschen Deutschen zu unterscheiden. Gleichzeitig machen sie Geschäfte mit den größten Feinden Israels, etwa dem Iran, der als maßgeblicher Finanzierer der Hamas eine Mitschuld am größten Massenmord von Jüdinnen und Juden seit der Shoah trägt.

Auf den Vorwurf der Schriftstellerin Deborah Feldman, Deutschland schütze Jü­d*in­nen und Juden selektiv – nämlich nur solche, die sich brav der Staatsräson fügen –, antwortete Robert Habeck in einer Talkshow, er könne als „nichtjüdischer, deutscher Politiker“ Israel keine Vorschriften machen.

Linke müssen aber nicht staatstragend sein und brauchen auch nicht den richtigen Sprechort. Sie können benennen, wenn Israel in bewusst verzerrender Absicht unterstellt wird, „wie die Nazis“ zu agieren – selbst wenn es jüdische Schrift­stel­le­r*in­nen sind, die Gaza mit dem Warschauer Ghetto gleichsetzen –, wenn wahrheitswidrig „Zionisten sind Faschisten“ gerufen und Terror als „Widerstand“ verharmlost wird. Sie können auch opponieren, wenn ein israelischer Politiker verlangt, Gaza in eine KZ-Gedenkstätte zu verwandeln und Zehntausende Zi­vi­lis­t*in­nen sterben, oder wenn radikalreligiöse Siedler im Westjordanland Jagd auf ihre arabischen Nach­ba­r*in­nen machen.

Zu verneinen, dass dies geht, wäre nicht links, nur „kanzlerwürdig“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Konstantin Nowotny
Autor
Seit 2013 freier Journalist, seit 2022 bei der taz. IJP-Fellow (Tel Aviv, 2021). DAAD-Stipendiat (New York City, 2016/17). Themen u.a.: Pop & Punk, Kapitalismus & Kultur, Rechte & Linke. Berlin/Leipzig
Mehr zum Thema

42 Kommentare

 / 
  • Staatsräson? Das klingt so verstaubt wie Majestätsbeleidigung! Natürlich geht es um Wiedergutmachung. Auch wenn man Massenmord nicht wieder gut machen kann. Völkermord kann man nicht sagen. Es gibt kein jüdisches Volk oder gar " Rasse". Das Judentum ist eine globale Religionsgemeinschaft! Staatsräson in Deutschland und im größten Teil der Welt ist der Kapitalismus, die große Weltreligion! Auch in China, Russland , Iran, Israel herrscht das Geld, notfalls mit Gewalt. Die Macht kommt aus den Läufen der Gewehre,sagte einst Mao, und dafür braucht man Geld. Dafür macht man Geschäfte. Die müssen viel Profit bringen. Mehr nicht. Geld stinkt nicht, sagten die alten Römer! Zuerst kommt das Fressen, dann (vielleicht) die Moral (Brecht).

  • @SHANTIVANILLE



    Hervorragend zusammen gefasst :-)

  • Israel ist die westliche Speerspitze der Antifa.

    Israel kämpft gegen die Hamas. Eine Art IS im Dienste des Iran.

    Jedes Land auf der Welt würde nach einem so brutalen Angriff gegen das Land und insbesondere Frauen genau gleich reagieren wie Israel. Wer hat die palästinensische Bevölkerung diesem Risiko ausgesetzt? Allein die Hamas. Sie wusste genau, dass Israel auf diese Art zurückschlagen wird. Die Terroristen verstecken sich bewusst unter Wohnhäusern, Spitälern und Schulen – und beklagen sich dann, wenn Israel diese Ziele unter Beschuss nimmt. Diese Hamas verkriechen sich in ihren Tunnels, während die Zivilisten oben dem Bombenhagel ausgesetzt sind. Würde ihnen das palästinensische Volk wirklich am Herzen liegen und nicht ihre krude Ideologie, würden sie es umgekehrt machen und den Zivilisten in den Tunnels Schutz bieten. Was mit der palästinensischen Bevölkerung gerade passiert, ist unendlich traurig.

    Weshalb wehrt sich die Bevölkerung nicht gegen die Hamas?



    Es gab tatsächlich einige Proteste in Gaza gegen die Hamas. Der Leitspruch der Demonstranten war: «Wir wollen leben.»

    Was oft vergessen geht, gerade bei den Hamas-Unterstützern im Westen: Die Hamas ist eine Bewegung des islamistischen Widerstandes, nicht des palästinensischen. Ihr geht es nicht um einen palästinensischen Staat – die Islamisten lehnen den Begriff der Nation ab – sondern sie streben ein Kalifat an. Wenn in der jetzigen Situation von einem «palästinensischen Freiheitskampf» die Rede ist, ist das eine große Lüge. Der Hamas ist das palästinensische Volk völlig egal, das Leben der Menschen ist für sie nichts wert.

    Je mehr tote Zivilisten, desto größer der Aufschrei in den arabischen Ländern.

    Und - desto höher der Verdienst des Politbüro-Hamas-Führungstrios in Katar. Jeder einzelne Multimillardär.

    Was eine gewisse deutsche Linke davon hält ist wurscht, die hatten auch kein Problem mit Stalin, dem Genozid an den Tibetern oder Pol Poth.

    Verwirrte Ideologie ohne Mitgefühl.

    • @shantivanille:

      Richtig! So sieht es aus.

    • @shantivanille:

      Israel ist ja wie auch andere Staaten keine immerwährendes Heiligtum. Dessen jeweilige Politik müsste beurteilt werden. Schon alleine die politische Ausrichtung der israelischen Regierung steht einer Beschreibung "westliche Speerspitze der Antifa" doch entgegen, würde ich meinen.



      Und desweiteren - wieviele Opfer gibt es bereits aufgrund der Bombardierungen? Bombardierungen von dichtbesiedeltem Gebiet? Wer u.a. bombardiert denn da seit 2 Monaten? Wer trägt die Verantwortung dafür? Doch nicht jede*r Palästinenser*in in Gaza?



      "Weshalb wehrt sich die Bevölkerung nicht gegen die Hamas?"



      Bombardierungen haben offenbar auch gegenteiligen Effekt. Eine erhoffte Revolte, die ich auch mir wünschen würde, kann auch ausbleiben und Bombadierungen kann Menschen zusammenschweißen oder ausharren lassen ...

    • @shantivanille:

      Israel als "Speerspitze der Antifa" zu beschreiben, ist angesichts von mittlerweile c. 20000 toten Palästinensern nicht nur unsäglich zynisch, sondern ignoriert auch den gesamten Kontext der NO-Konflikts, der solche einfachen Rollenzuschreibungen ohnehin nicht zulässt. Sie schreiben es ja selbst: "Verwirrte Ideologie ohne Mitgefühl" - auch in deutschen Leserforen. An den sachlichen Fehlern (insbesondere was das Verhältnis der Hamas zum Iran oder zum Nationalismus angeht) mag sich jemand anders abarbeiten. Ich finde es jedenfalls erschreckend, mit welcher - auch moralischer - Schlichtheit hier inzwischen diskutiert wird.

      • @O.F.:

        Die Opferzahlen auf palästinensischer Seite kann derzeit niemand verfizieren. Einfach die Hamaszahlen abzupinseln ist relativ schlicht.

      • @O.F.:

        Moral ist doch immer schlicht, sie läuft auf die Überwindung von Dummheit. Gier und Arroganz hinaus. Da diese Gifte in uns allen wirken, ist es für Menschen aber sehr schwer, moralisch zu handeln. Nur ganz wenige schaffen das. Die kommen aber nicht an die Macht.

  • ... wobei die Kabarettsendung Die Anstalt einige Äußerungen deutscher Politiker herausarbeitete, wonach die Staatsräson bezüglich Israels vorgeschoben war und es u.a. deutsche Interessen gab, wie im obigen Artikel ja durchaus auch angegeben wird - wie bspw. die deutsche Motivation für das Luxemburg-Abkommen.



    www.zdf.de/comedy/...mber-2023-100.html

    • @Uranus:

      Die deutschen Interessen (wirtschaftlich wie politisch) gegenüber der arabischen Welt wären weitaus gewichtiger...siehe aktuell Katar.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""......Zurückweisung der jüdischen Bevölkerung in den europäischen Mehrheitsgesellschaften.......""



    ===



    Flucht und Vertreibung der Juden aus den arabischen Ländern waren nahezu total. Von den fast 900.000 in arabischen Ländern vor 1948 lebenden Juden sind heute nur wenige übriggeblieben.

    Pogrome in den marokkanischen Städten Oujda und Jérada 1948 sind ebenso wenig bekannt wie der Farhud in Bagdad: Bei jenem Pogrom 1941 wurden etwa 180 Juden ermordet.Es bildete den Auftakt für das Ende der über zweieinhalbtausend Jahre alten jüdischen Gemeinde im Irak.

    Heute ist in Europa weitgehend aus dem kollektiven Bewusstsein gedrängt, dass Ende der 1930er-Jahre zwischen 25 und 30 Prozent der Bevölkerung der irakischen Hauptstadt jüdisch war, ein ähnlich großer Anteil wie zur selben Zeit in Warschau oder in New York, und dass allein in Nordafrika bis 1948 etwa eine halbe Million Juden lebte..



    Gründe für die Flucht von Juden aus arabischen Ländern sind vielfältig.

    Die Hauptursache liegt in den antijüdischen Traditionen islamisch dominierter Gesellschaften, dem manifesten Antisemitismus der jeweiligen arabischen Führungen und der israelfeindlichen Sicht auf den Konflikt mit dem jüdischen Staat in großen Teilen der arabischen Politik.

    ===

    Aus Europa stammende Juden sind ein Teil der israelischen Gesellschaft.



    Gäbe es keinen Antisemitismus in den arabischen Ländern wäre Israel heute wohl kaum ein Problem.

    Das Problem der Linken: Partielle Geschichtsauffassung und Blindheit für alles, was geschichtlich zwischen dem Jahr Null - und 1914 passiert ist.



    Beispiel: Die Revolution von 1848.

    Klartext:



    Es geht um Israel - deren Notwendigkeit der Staatsgründung



    durch den europäischen Antisemitismus & deutschen Holocaust richtigerweise überwiegend als mit ursächlich angesehen wird.

    Bei der Betrachtung Israels das feindliche und antisemitische Umfeld im Orient und Afrika zu verschweigen



    kann aber nur zu ungenügenden Einschätzungen und Urteilen führen.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      "Gäbe es keinen Antisemitismus in den arabischen Ländern wäre Israel heute wohl kaum ein Problem."



      Das glaube ich nicht. Wenn statt der Juden katholische französische Siedler Palästina besiedelt und dort einen eigenen Staat gegründet hätten, wären sie genau so bekämpft worden. Wie es in Algerien geschehen ist.

      • 0G
        06438 (Profil gelöscht)
        @Francesco:

        Die Situation der Juden in Algerien war furchtbar - und die Umsetzung der antijüdischen Gesetze war teilweise drastischer und brutaler als im Herrschaftsbereich des Vichy Regimes in Südfrankreich.

        Quelle siehe Publikation Yad Vashem



        www.yadvashem.org/...o-and-tunisia.html

        • @06438 (Profil gelöscht):

          Ich sprach vom Algerienkrieg, also vom Widerstand der arabisch-muslimischen Algerier gegen die französische Herrschaft und gegen die französischen Siedler.

        • @06438 (Profil gelöscht):

          "Auch in den unblutigen Perioden des jüdisch-muslimischen Zusammenlebens in der arabischen Welt, in denen Juden als "Schutzbefohlene" (dhimmis) toleriert wurden, handelte es sich um eine Toleranz, "die aus Verachtung bestand"."

          Das mag schon so sein. In Europa wurden Juden aber wesentlich schlechter behandelt. (Und kennzeichnen Sie bitte, wenn Sie zitieren!)

          "Ende des 18. Jahrhunderts wurden beispielsweise die Juden aus dem saudi-arabischen Dschidda vertrieben, 1790 kam es zu einem Pogrom im marokkanischen Tetuan, 1828 zu einem in Bagdad, 1834 zu Gewaltausbrüchen gegen die jüdische Gemeinde im heute in Israel gelegenen Safed."

          Sie können gerne eine Liste der Pogrome im christlichen Europa daben legen.

          "Im 19. Jahrhundert nehmen Ritualmordbeschuldigungen gegen Juden im Osmanischen Reich massiv zu."

          Ich kenne den Fall von Damaskus. Da ging die Beschuldigung vom französischen Konsul aus.

        • @06438 (Profil gelöscht):

          Sie sprechen von der Verfolgung der algerischen Juden während des Zweiten Weltkriegs durch das Vichy Regime. Algerien war damals Teil Frankreichs.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      Nur kurz: Der Zionismus war keine Antwort auf Flucht und Vertreibung von Juden aus den arabischen Ländern, sondern umgekehrt: Diese war (zumindest teilweise) eine Reaktion auf die Gründung des Staates Israel.

      • 0G
        06438 (Profil gelöscht)
        @Francesco:

        Auch in den unblutigen Perioden des jüdisch-muslimischen Zusammenlebens in der arabischen Welt, in denen Juden als "Schutzbefohlene" (dhimmis) toleriert wurden, handelte es sich um eine Toleranz, "die aus Verachtung bestand".

        Die Institution der dhimma war ein "Status der Demütigung, der Entwürdigung und der Erniedrigung" der Juden die sie zahlreichen exkludierenden Sonderregelungen unterwarf.

        Schon lange vor 1948 hat die auf Verachtung beruhende Diskriminierung immer wieder auch zu blutiger Verfolgung geführt: Eines der ersten Pogrome gegen Juden in Europa mit etwa 4.000 Opfern war bereits im Jahr 1066 das Massaker von Granada, das zu dieser Zeit unter islamischer Herrschaft stand.

        Ende des 18. Jahrhunderts wurden beispielsweise die Juden aus dem saudi-arabischen Dschidda vertrieben, 1790 kam es zu einem Pogrom im marokkanischen Tetuan, 1828 zu einem in Bagdad, 1834 zu Gewaltausbrüchen gegen die jüdische Gemeinde im heute in Israel gelegenen Safed.

        Im 19. Jahrhundert nehmen Ritualmordbeschuldigungen gegen Juden im Osmanischen Reich massiv zu. Forciert werden sie zunächst vorrangig von christlichen Propagandisten, Ende des 19. Jahrhunderts werden sie jedoch immer öfter in islamischen Publikationen aufgegriffen. Im 19. und 20. Jahrhundert vermischten sich klassisch antijüdische Motive aus der islamischen Tradition mit Elementen des modernen Antisemitismus.

        Diese Radikalisierung der arabisch-islamischen Judenfeindschaft setzte vor der israelischen Staatsgründung ein.

        • @06438 (Profil gelöscht):

          Das evolutionäre Erbe der Menschheit wirkt fort: Wir sind Rudeltiere mit ausgeprägtem Territorilverhalten. Da wir jetzt die Erde erobert haben gibt es ständig Kämpfe zwischen den Rudeln und den Leittieren um Land und Macht. Vielleicht kann uns die Gentechnik ein Update verpassen, das die Menschheit als ganzes überlebesfähig macht? Ein großer Krieg mit den heutigen Waffen wird niemand überleben und die Welt gehört den Kakalaken , Mäusen. Bakterien usw.

          • 0G
            06438 (Profil gelöscht)
            @Matt Gekachelt:

            Übersetzung:



            Das Update - ihr wahrhaft christlich anmutender sehr ernst zu nehmender Wunsch (Friede auf Erden, Lukas 2:14) zeitgemäss digital verpackt -



            übertragen in die reale Welt kann doch nur bedeuten, das Aufklärung, - übersetzt in die europäische Philosophie und Denkrichtung



            (17. Jahrhundert), dass Vernunft und Verstand der Menschen die wichtigsten Grundlagen allen Handelns sein sollten.

            Um beim Thema zu bleiben:



            Das anscheinend erste antisemitische Massaker hat im Jahr 1066 In Grenada stattgefunden und das letzte, nach dem Grauen der Shoah, am 7.Oktober 2023.

            1.000 (tausend) Jahre Antisemitismus mit den furchtbarsten Folgen die ein menschliches Gehin offenbar nicht mehr vollständig nachvollziehen kann.

            Im Sinne der Aufklärung entsprechend Ihrem Wunsch nach einem umfassenden upedate: Wäre es nicht endlich Zeit den Antisemitismus endgültig in der Abfalltonne zu entsorgen?

  • "wenn Israel in bewusst verzerrender Absicht unterstellt wird, „wie die Nazis“ zu agieren – selbst wenn es jüdische Schrift­stel­le­r*in­nen sind". Ich sehe bei der Lektüre des Originalartikels von Masha Gessen im New Yorker:



    www.newyorker.com/...w-of-the-holocaust



    keine bewusst verzerrende Absicht. Der Hauptteil des Essays adressiert die deutsche Erinnerungskultur, die "in Beton und Glas gegossen" scheint und hilft, auch eigene Betonklötze im Kopf zu finden und zu hinterfragen und Gessen scheint dabei weder missionarischen Eifer noch Anspruch auf die absolute Wahrheit zu erheben und lädte genau damit zur Debatte ein. (Den Anspruch, die einzige Wahrheit in Sachen Antisemitismusdefinition zu besitzen, kann man überwiegend nicht jüdischen deutschen Debatteneinenger:innen im kulturellen Raum vorwerfen). Man kann Gessens Vergleich von Gaza aktuell und jüdischen Ghettos in Osteuropa als Provokation oder Schlimmeres von vornherein ablehnen. Wer es liest findet auch eine in der deutschen Debatte ungewohnte (aber explizit nicht DIE) Erklärung für die Entstehung und Absolutheit der israelischen und der deutschen Staatsräson mit Bezug zum Holocoust und daraus resultierendes (Nicht-) Handeln. Der Umgang mit Gessen bei der Preisverleihung sehe ich als Armutszeugnis. Es wäre auch aus historischer Verantwortung durchaus angemessen, die vielstimmige internationale jüdische Communitiy auch dann willkommen zu heißen, wenn sie Standpunkte vertritt, die von der Staatsräson als antisemitisch behauptet werden - um genau - die betonierte Staatsräson und ihre Auswirkung im politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Raum nicht zur Gesinnungspolizei verkommen zu lassen, die in ihren extremsten (leider nicht unrealistischen Auswüchse) Bekenntnisse absoluter Treue zum israelischen Staat von Migrant:innen abfragen will.

    • @Nina Janovich:

      Danke für den Kommentar. Sie haben es auf den Punkt gebracht, worum es in dieser Debatte geht.

    • @Nina Janovich:

      Mir sagt meine glasbetonierte Gedenkkultur das es viele schlimme Dinge auf der Welt die man zum Vergleich hätte nehmen können. Wer da die Juden ausgerechnet mit Nazis gleich setzt, tut es entweder aus bodenloser Dummheit oder in bewusst verletzender Absicht. Beides ist eindeutig nicht geeignet mich zu irgendeiner Diskussion einzuladen.



      Mal ganz jenseits von Toleranzgeschwurbel.

      • @da Customer:

        Danke Da Customer, genauso sehe ich es auch.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    """Staats­rä­so­nis­t*in­nen schwadronieren von „Verantwortung“ und meinen damit massenhafte Abschiebungen, sie nutzen das Bekenntnis zu Israel, um zwischen richtigen und falschen Deutschen zu unterscheiden"""

    ===

    Billige Polemik.



    Nach den Aussagen des Leiters des Verfassungsschutzes in Thüringen ist Hamas gerade dabei, die Funktion der Bundesrepublik als stillen Rückzugsort für die Mitglieder der Terrororganisation und als Ort für die Aquise von Finanzmitteln zu verändern - .und zwar in einen Raum, in dem Hamas auch aktiv tätig sein möchte - was das auch immer faktisch bedeutet.

    Meine Antwort an Hamas - Unterstützer ist die Gleiche wie zur Atomkraft : Nein Danke.

  • "Linke müssen aber nicht staatstragend sein und brauchen auch nicht den richtigen Sprechort."

    Wer behauptet, dass die Linke nicht staatstragend sein muss, den kann ich nicht ernst nehmen.



    Das Konzept, was man durchsetzen will, dass muss Staatstragend sein.

    • @Walterismus:

      Warum sollten Anarchist:innen, Rätekommunist:innen oder andere radikale und revolutionäre Linke denn staatstragend sein?

  • Ich habe Merkels "Staatsräson" sowieso immer anders verstanden, nicht als Doktrin, wie es hier steht, die man bliß nicht hinterfragen darf, sondern vielmehr wie im Französischen: "Se faire une raison" - auf den Boden der Tatsachen kommen, sich mit etwas abfinden, seine Lage verstehen, Vernunft walten lassen, die Lehre aus etwas ziehen. Dann passt es auch zu den hier angeführten Bezügen in die deutsche Geschichte.

  • Ich habe (auch) nicht verstanden, was die Kommentarin ausdrücken will. Für mich (bin ich links?) spricht dieser ganze Konflikt bis hin zu Terrorismus und Krieg für einen Staat, in dem Religion keine entscheidende Rolle mehr spielen darf, bestenfalls als eine traditionelle PRIVATSACHE praktiziert wird. In diesem Sinne betont der Begriff Staatsräson das Gemeinsame, die Toleranz in Bezug auf die Vielfalt, die von allen akzeptiert und geschützt werden sollte. Auch wenn die Verfolgung und Vertreibung durch Rassisten ein Grund für eine Staatsgründung Israels war, sollte doch die Lehre auch für die neue Gesellschaft gerade die Toleranz und Gleichberechtigung auch der Nachbarn sein, wie das auch hierzulande in einer offenen Gesellschaft zum Ausdruck kommen sollte, in der sich jede/r frei ohne Ressentiments entfalten können sollte. Die Betonung der Unterschiede, wie sie -ich denke, inzwischen sollten es Minderheiten sein- von radikalen Siedlern praktiziert werden, widersprechen demokratisch notwendigen Gepflogenheiten und es kann nicht Gegenstand einer 'Staatsräson' sein, bei der eher das Gegenteil einer gleichberechtigten Gesellschaft das Wort geredet wird. Auch hierzulande sollten wir vermeiden, etwa aus SchuldGEFÜHLEN heraus die Unterschiedlichkeiten nicht politisch zu überhöhen. Religionen dürfen nicht zu Staatsdogmen werden.

  • Wer zuerst mal Mensch und dann erst Linker oder was auch immer ist, braucht keine Anleitung, hinter was oder wem man "guten Gewissens stehen kann". Wörter wie Staatsräson oder uneingeschränkte Soldidarität werden in ihrer Absolutheit keinem komplexen Thema gerecht. Was der Autor beschreibt, sind für mich Selbtverständlichkeiten.



    Und wie bei einem Großteil dessen, was zum Nahost Konflikt aus dem linken Lager zu lesen ist, werd ich das Gefühl nicht los, in erster Linie dreht sich mal wieder Alles um die eigene Blase.

    • @Deep South:

      "Was der Autor beschreibt, sind für mich Selbtverständlichkeiten."

      Für Sie ja, aber für Andere? Vielleicht ist das der Punkt.

      Ansonsten d'accord.

  • Wie jeder Text, der zu differenzieren sucht: gut und besser als die meisten.



    "...sie nutzen das Bekenntnis zu Israel, um zwischen richtigen und falschen Deutschen zu unterscheiden" - schön auf den Punkt gebracht und der Grund für die Israel-Begeisterung der offiziellen AfD (untertage feiert und feuert dort der Antisemitismus weiter).

  • Ideologiekritisch betrachtet ist der Zionismus zunächst einmal nichts anderes wie jede andere Ideologie auch, wie der Nationalismus, Faschismus, Kommunismus, Liberalismus etc. Was ihn von anderen Spielarten des Nationalismus heraushebt bzw. unterscheidet, ist die Erfahrung der Desintegration/Zurückweisung der jüdischen Bevölkerung in den europäischen Mehrheitsgesellschaften des 19. Jhdts., die gescheiterte sogenannte Judenemanzipation. Möglicherweise kann der Zionismus auch als die jüdische Antwort auf den aufkeimenden Nationalismus der europäischen Völker betrachtet werden, der immer auch den Antisemitismus mit im Gepäck hatte.



    Das Problem der antideutschen Linken scheint mir zu sein, dass es hier um DEUTSCHE Linke geht, die den Zionismus unkritisch überhöhen - ich spreche hier NICHT von (linken) Jüdinnen und Juden und deren Beziehung zum Zionismus - , deren Haltung durchaus als Deutschenhass (kann man das so zutreffend charakterisieren?) bezeichnet werden kann, die es ansonsten aber an einer kritischen Haltung gegenüber Nationalismus im allgemeinen fehlen lassen (präziser: “westlichen” Nationalismus, denn seine putinistische Variante in Russland wird sehr wohl als imperialistisch oder gar faschistisch gegeißelt).



    Eine solche antideutsche Positionierung ist sozusagen reziprok zu der der antiimperialistischen Linken, deren Kritik fast einer manischen Fixierung auf US-Imperialismus folgt und in der Konsequenz dann auch auf dessen “Anhang”, den Staat Israel, der oft noch - in seiner Haltung gegenüber den Palästinensern - als kolonialer Staat diffamiert wird.



    Wie fast immer liegt die Wahrheit hier wahrscheinlich in der Mitte. Es scheint mir aber wieder einmal eine “typisch” deutsche Diskussion zu sein.

  • In diesem Kommentar geht’s mir wie in Friederike Mayröcker’s „da ich morgens und moosgrün...“-Buch: beiden bleiben mir unverständlich.

    • @Ardaga:

      Das beruhigt mich etwas. Mir geht's nämlich genauso.

  • "Linke müssen aber nicht staatstragend"

    Sind sie auch nicht. Wozu der lange Kommentar?

  • Es sei daran erinnert, das Theodor Herzl, der sicher ein Kind Zeit und damit war nicht von den Vorstellungen des europäischen Hochimperialismus frei war, ein durchaus moderner Staat vorschwebte - ohne Frage ein Judenstaat, jedoch ein eindeutig säkulares Gemeinwesen, in dem Mann und Frau gleichberechtigt und den verschiedenen Bevölkerungsgruppen gleiche Chancen eingeräumt werden sollten.



    So betont der im seine Schrift "Der Judenstaat":



    "Der Zionismus beabsichtigt nicht, den bestehenden Nichtjuden irgendein Unrecht zuzufügen, sondern es beabsichtigt im Gegenteil, Recht und Gerechtigkeit zu schaffen, den bestehenden Nichtjuden gegenüber ebenso wie gegenüber den kommenden."

    und

    "Die Gleichberechtigung der Bürger, ohne Unterschied der Religion, ist ein Prinzip, dessen wir nicht abgehen werden."

    und auch

    "Der jüdische Staat wird das Bemühen um das Recht und den Frieden zum Führer seines Volkes machen. Wir werden die Rechte unserer Minderheiten schützen, als ob sie unsere wären, und die Beziehungen zu den Nachbarvölkern in den Geist des wahren sozialen Zusammenhalts und der wahren Gerechtigkeit stellen."

    • @NormalNull:

      Herzl schön und gut, aber man kann den Zionismus auch “lesen” wie jede andere Ideologie, die nationale Staatlichkeit begründet, beispielsweise den Kemalismus in der Türkei. Meistens sind solche Gründungsideologien noch mit einem Ursprungmythos eines Gelobten/Heiligen Landes bzw. eines Sehnsuchtsortes verbunden, den irgend ein Gott seinem Volk zugesprochen habe.



      Ich kann nur nicht nachvollziehen, wieso eine solche Zionismus-Kritik als Ideologieanalyse - egal, ob von Juden selbst formuliert oder von Nichtjuden - in irgendeiner Weise per se antisemitisch sein soll. Das dürfte dann auch für die sogenannte Israel-Kritik gelten, wenn etwa die israelische Siedlungspolitik oder aktuell das Vorgehen der IDF in Gaza gebrandmarkt wird. Wäre es so, hätten wir hier in den taz-Kommentaren einen permanenten antisemitischen Diskurs.



      Mir ist durchaus bewusst, dass derartige Kritik natürlich auch immer antisemitisch “aufgeladen” werden kann und das geschieht ja leider auch. Ebenso ist die Frage berechtigt, warum denn ausgerechnet immer oder ausschließlich Israel für genau diese Art “Kritik” herhalten muss.



      Aber betrachten wir es mal ganz „unideologisch”, warum sollte eine ursprünglich emanzipatorisch gedachte (sogar sozialistischen!) Vision wie die einer jüdischen Heimstätte in Palästina über die Zeit nicht auch zu einer nationalchauvinistischen, völkisch-nationalistischen Ideologie mutieren?

      • @Abdurchdiemitte:

        Ja, in der Tat - warum nicht.

        Ich denke, da ist zumindest die israelische Regierung inzwischen angekommen.

  • Schwieriger Weg. Vielleicht, vielleicht finden wir eine Position, die das furchtbare Massaker, das die Hamas am 7. Oktober angerichtet hat falsch findet. Die auch die (geopolitisch motivierten) Unterstützer der Hamas (nein, nicht nur Iran. Beim anderen war besagter Habeck zu Besuch, um Gas zu kaufen) verurteilt.

    Die aber auch die langjährige Politik Israels bzgl. Gaza-Streifen und im Westjordanland als falsch sieht. Die den jetzigen Angriff als sinnlos und mörderisch versteht.

    Die versteht, dass die Radikalen auf beiden Seiten die Verbündete sind, die alle Menschen dazwischen als Geisel halten.







    Die sich vor allem mit solchen [1] Menschen Solidarität zeigt.

    [1] taz.de/Aufklaerung-an-Schulen/!5967038/

    • @tomás zerolo:

      Ihr erster Absatz ist mißverständlich formuliert, finde ich. Es gibt zumindest für mich keinen Grund, daß Massaker vom 7. Oktober nicht ganz klar als ein schreckliches Verbrechen zu verurteilen. "Falsch" ist hier schon etwas zu schwach. Jedes "Ja, aber" muss da weggelassen werden.

      Kritik an der Politik in der Westbank usw. ist leider nur zu berechtigt, aber bitte mit deutlicher Trennung vom 7. Oktober. Denn alle Schikanen und alles Unrecht, das die israelischen Behörden oder durchgeknallte Siedler den Palästinensern zugefügt haben, sind kein Grund für den 7. Oktober oder auch das wahllose Abfeuern von Rakten aus dem Gaza-Streifen oder aus dem Libanon.