Die Zukunft des ÖPNV: Dienstwagenprivileg abschaffen
Klimaschädliche Subventionen streichen, günstige Zugtickets finanzieren: Die Umweltorganisation Greenpeace rechnet vor, wie das gehen könnte.
Allein durch die Streichung des Dienstwagenprivilegs könnte der Bund kurzfristig die erforderlichen Milliarden für ein bundesweit geltendes 365-Euro-Jahresticket für den ÖPNV aufbringen, sagt Greenpeace-Verkehrsexpertin Marissa Reiserer. Käme die Abschaffung der Entfernungspauschale hinzu, würde es auch für die dauerhafte Finanzierung des 9-Euro-Tickets reichen.
Die Einführung der günstigen Monatskarte für Juni, Juli und August hat eine breite Diskussion über die künftige Preisgestaltung im ÖPNV entfacht. Mehr als 30 Millionen Menschen nutzen sie. Die bundesweite Flatrate wird von Büger:innen und Politiker:innen überwiegend als sehr erfolgreiches Projekt bewertet.
Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen, wie ein Anschluss aussehen könnte: Die Verbraucherzentralen zum Beispiel sind für ein bundesweites 29-Euro-Monatsticket, die Verkehrsunternehmen schlagen dafür 69 Euro vor, und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spricht sich wie die Linkspartei und die Deutsche Umwelthilfe für ein überall geltendes Jahresticket für 365 Euro aus. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) will die verschiedenen Vorschläge prüfen. Die Vorsitzende der Landesverkehrsminister:innenkonferenz, die Bremer Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne), ist für eine Nachfolgeprojekt: „Ein Anschlussticket an das 9-Euro-Ticket kann ich nur begrüßen“, sagt sie.
365-Euro-Ticket kostet 4 Milliarden
Die Finanzierung jedenfalls muss kein Problem sein, zeigt die Berechnung von Greenpeace. „Es kostet den Bund nicht einmal zusätzliches Geld, wenn er gezielt klimaschädliche Subventionen streicht“, sagt Verkehrsexpertin Reiserer. Die Streichung des sogenannten Dienstwagenprivilegs würde die schätzungsweise erforderlichen 4 Milliarden Euro für das 365-Euro-Ticket bringen. Beim Dienstwagenprivileg geht es um die Bevorzugung einer sehr gut verdienenden Gruppe – also nicht um die Krankenschwester, nicht um die Assistenzärztin, sondern um den Klinikdirektor. Das Privileg bezieht sich auf die private Nutzung des Dienstwagens, die steuerlich enorm begünstigt wird.
Die von Greenpeace ebenfalls ins Auge gefasste Reform der Entfernungspauschale wäre komplizierter, denn sie würde viele Beschäftigte und auch Nicht-Autofahrende treffen. Allerdings gibt es dazu Alternativen, denn es gibt etliche weitere klimaschädliche Subventionen, etwa die Energiesteuerbefreiung des Kerosins. Insgesamt liegen die klimaschädlichen Zuschüsse des Staates der Greenpeace-Kalkulation zufolge bei 46 Milliarden Euro im Jahr.
Eine günstige ÖPNV-Flatrate hat doppelten Charme, sagt Reiserer: Haushalte mit geringem Einkommen werden entlastet, gleichzeitig werden CO2-Emissionen verhindert und so ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Herkömmliche ÖPNV-Abos sind gerade für Haushalte mit wenig Geld eine große Belastung. Auch ein 365-Euro-Ticket ist fast immer günstiger als ein Auto.
Für die Kalkulation hat Greenpeace die bisherigen Verkehrsverlagerungen durch das 9-Euro-Ticket weg vom Auto hin zu Bus und Bahn hochgerechnet. Ein dauerhaft günstiges Ticket mit einer ähnlichen Wirkung würde demnach dazu führen, dass jährlich 2 bis 6 Millionen Tonnen weniger CO2 ausgestoßen würden. Hochgerechnet bis 2030 wäre das mehr reduziert als durch alle Maßnahmen zusammen, die im kürzlich von Wissing vorgelegten Sofortprogramm zur Einhaltung der Klimaziele im Verkehr vorgesehen sind.
ÖPNV ausbauen
Dass sich die Bundesregierung auf ein Aus für autofreundliche Subventionen einigt, ist allerdings unwahrscheinlich. Die FDP hat solche Vorstöße schon bei den Koalitionsverhandlungen abgewehrt. Wie interessegeleitet die ÖPNV-Finanzierung gesehen wird, zeigt die unterschiedliche Haltung der Verbände der Kommunen. Der Deutsche Städtetag ist einem 365-Euro-Ticket gegenüber aufgeschlossen. Der Deutsche Landkreistag dagegen ist skeptisch – in ihm sind eher ländliche Regionen organisiert. Auf dem Land ist der ÖPNV nicht gut aufgestellt.
Dieses Problem sieht auch Greenpeace. Ein günstiges Ticket allein reiche nicht, sagt Verkehrsexpertin Reiserer. „Es muss flankiert werden mit dem massiven Ausbau des ÖPNV, gerade auch auf dem Land.“ Auch das Geld dafür könnte aus den staatlichen Subventionen stammen, die zur Erderhitzung beitragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“