Demokratien in Händen der Alten: Nicht mehr zeitgemäß
Die Demokratien haben mächtige Probleme. Ließen sie sich retten, wenn nicht nur alte Männer ihre Geschicke lenken würden?
E s war eine schwere Woche für Demokraten, was auch immer mit diesem Wort genau gemeint ist, und es werden noch viele weitere schwere Wochen, Monate, Jahre kommen. Wir stehen ja erst am Anfang eines wuchtigen Epochenwandels, und die Frage, was Demokratie ist, wird sich dann anders stellen als heute.
Aber was ist heute überhaupt Demokratie? Wer meint was, wenn er oder sie dieses Wort benutzt, das ja in sich so viele Möglichkeiten und Widersprüche birgt, dass es schwierig ist, diese Varianten auf einen Nenner, auf einen Begriff zu reduzieren? Ist es ein Set von Idealen? Ist es eine Prozedur, eine Praxis, um Macht zu gewinnen und auszuüben? Wie zeitgemäß sind die gegenwärtigen Formen der Demokratie wirklich? Und welche Gesellschaft, welche Wirklichkeit bildet sich durch die demokratische Maske hindurch ab?
Die vergangenen Tage jedenfalls haben gezeigt, dass sich hinter dieser Maske eine Art stiller Coup ereignet: Die Alten sind dabei, die Macht zu übernehmen, und sie haben damit eine bestimmte Form demokratischer Praxis etabliert, die in vielem genau gegen die Notwendigkeiten zielt, die eine veränderte Zukunft verlangt. Besonders schockierend deutlich wurde das gerade im Fernsehduell der beiden Kandidaten für die US-Präsidentschaft, Joe Biden, 81, und Donald Trump, 78, zwei Machtgreise mit je unterschiedlich demokratischen Defiziten.
Bei Trump, dem gerade der amerikanische Oberste Gerichtshof eine Art Turbobeschleuniger autoritärer Gelüste ermöglicht hat, indem er die Macht des Präsidenten weitgehend über das Recht stellte, ein weiterer stiller oder nicht so stiller Coup in dieser wüsten Zeit – bei Donald Trump also sind diese Defizite allzu deutlich. Bei Joe Biden hingegen, das muss man nach seiner desaströsen Performance sagen, sind diese Defizite deutlich mit seinem Alter verbunden und dem Widerwillen, sich einzugestehen, was die Welt gesehen hat: Er sollte wohl nicht mal mehr ein Auto fahren in seinem Zustand.
Wo sind die Demokraten mit Verstand?
Und schon gar nicht sollte er ein Land regieren, im Grunde egal, welches. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wie konnte eine Frau wie Nancy Pelosi bis ins greise Alter von 82 Jahren die Demokratische Partei in den USA führen? Wie konnte es sein, dass Ruth Bader Ginsberg sich weigerte, als Richterin des Obersten Gerichtshofs zurückzutreten, und im Alter von 87 Jahren im Amt starb, was den Machtmissbrauch des gegenwärtigen Gerichts erst mitermöglichte? Und wie kann es sein, dass die Demokratische Partei heute nicht in der Lage ist, eine Kandidatin oder einen Kandidaten zu stellen, die im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten ist?
Demokratie ist ja kein Spiel, wie Golfen, über das sich die beiden Greise tatsächlich auch stritten in dieser Debatte für die Geschichtsbücher einer alternden Demokratie – bevor der weniger kindische Donald Trump Joe Biden ermahnte, doch bitte wieder sachlich zu werden. Und Demokratie ist auch keine Privatsache für Familien oder Dynastien wie die Trumps, dessen Schwiegertochter die Republikanische Partei kontrolliert, oder die Bidens, wo es nun auf Jill ankommt, Bidens Ehefrau, ob er zurückzieht (total unwahrscheinlich) oder nicht (total gefährlich, total unverantwortlich).
Die Alten sind im Vorteil
Was macht man also mit störrischen Alten, sorry für die harten Worte? Oder anders gesagt, und ernst gemeint: Wie schützt man die Demokratie vor den Alten? Denn auch in Frankreich hat sich gezeigt, dass bei all den Spaltungen, die gegenwärtig die Gesellschaften durchziehen, die des Alters doch eine der wirkmächtigsten ist – 48 Prozent zwischen 18 und 24 Jahren stimmte für die linke Nouveau Front Populaire, dagegen nur 18 Prozent der mehr als 70-jährigen. Aber die Wahlbeteiligung dieser Altersgruppe war eben am höchsten.
Die Alten sind damit zweimal bevorteilt: Sie wachsen in einer alternden Gesellschaft als Bevölkerungsgruppe immer weiter, werden also immer mehr; und sie sind in einer Form von Demokratie aktiver, die für viele junge Wählerinnen und Wähler einfach nicht mehr funktioniert. Weil sie nicht mehr in die Zeit passt, weil sie nicht das liefert, was sie verspricht, Gerechtigkeit und Chancengleichheit etwa, weil die Karten, so scheint es ihnen, gezinkt sind.
Es greift deshalb in jedem Fall zu kurz, sich darüber zu mokieren, dass die Jungen nun nicht mal ihre demokratische Chance nutzen würden. Denn aus gar nicht unplausiblen Gründen glauben sie eben nicht daran, dass Wahlen etwas bewirken – etwa, weil die Kandidaten so alt sind. Viel wichtiger wäre es, wirkliche Veränderungen der demokratischen Praxis zu ermöglichen, damit diese durchlässiger wird für alle Altersgruppen und sich die Gesellschaft in ihrer Diversität und Vielfalt auch in der politischen Praxis abbildet, die ja doch dem Namen nach repräsentativ sein sollte.
Interessen einklagen
Zu solchen Veränderungen gehören dann Karrierewege und innere Logik von Parteien genauso wie Veränderungen im Wahlrecht, etwa eine höhere Gewichtung der Stimmen junger Menschen. Dazu gehören Gesetze mit Verfallsdatum genauso wie eine Art von Politikplanung, die wesentliche Grundsatzfragen einer Gesellschaft, also Altern, Wohnen, Migration, Klima, aus dem Hickhack der Parteien nimmt und andere Wege aufzeigt, zu gemeinschaftlichen Lösungen zu kommen.
In der Zwischenzeit bleiben andere Möglichkeiten, um die Interessen der Zukunft im Wortsinn einzuklagen – die „Zukunftsklage“ etwa, die Greenpeace gerade gegen die Bundesregierung gestartet hat, ist eine deutliche Verschiebung der demokratischen Praxis, und sehr sinnvoll angesichts der politischen Lähmung von Parlament und Regierung, Legislative und Exekutive also. In diesem Moment wird die Judikative wichtiger, die Gerichte also Korrektiv. Oder aber, wie in den USA, leider zum oligarchischen und gerontokratischen Putschinstrument.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden