Debatte um Höcke-Aussage: Inklusion heißt nicht Sonderschule

Der Rechtsextreme Björn Höcke empört mit Aussagen zu schulischer Inklusion. Der wahre Skandal ist: Die AfD-Position hierzu ist schon heute Realität.

Eine junge Frau mit rosa Schleife im Haar schaut in die Kamera

Neele, 24, Tänzerin, zieht bald in die erste inklusive WG in Bremen ein Foto: Daniela Buchholz/Gesellschaftsbilder

Der Gähnfaktor ist hoch, wenn der öffentliche Rundfunk wieder mal versucht, die AfD mit Inhalten zu stellen. Die interviewten rechten Politiker und Politikerinnen provozieren mit einer Antwort einen Eklat und dann streiten alle wieder darüber, ob es richtig war, Menschenfeinden eine Bühne zu bieten.

Der Mitteldeutsche Rundfunk, um den es diesmal geht, hat die Kritik antizipiert. Noch vor dem Sommerinterview am Mittwoch mit dem Thüringer Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke wurde die Rechtfertigung verbreitet: Ein Ausschluss der Thüringer AfD, die im Landtag aktuell die drittstärkste Fraktion stellt, vertrage sich nicht „mit unserem journalistischen Auftrag“. Der Sender müsse die Positionen aller Parteien „für die Menschen im Freistaat transparent machen und einordnen“. Nun, zumindest Ersteres hat der MDR eingehalten.

In dem Interview erfuhren die Thüringerinnen und Thüringer unter anderem, dass Höcke die schulische Inklusion für ein „Ideologieprojekt“ hält, von dem das Bildungssystem „befreit“ werden müsse. Genauso wie – wenig überraschend – vom „Gendermainstream-Ansatz“. Wörtlich sagte Höcke: „Alles das sind Projekte, die unsere Schüler nicht weiterbringen, die unsere Kinder nicht leistungsfähiger machen und die nicht dazu führen, dass wir aus unseren Kindern und Jugendlichen die Fachkräfte der Zukunft machen.“

Ein kalkulierter Tabubruch.

Schließlich ist Inklusion ein Menschenrecht. Die entsprechende UNO-Konvention hat Deutschland 2009 ratifiziert. Alle 16 Schulgesetze beziehen sich explizit darauf. Höcke dürfte genau gewusst haben, welche Reaktionen er provoziert, wenn er das Recht auf inklusive Bildung in Abrede stellt.

Menschenrecht nur auf dem Papier

Et voilà. Von einem „Skandal“ spricht die Bundesvorsitzende der Lebenshilfe. Von einem „Angriff auf die Menschenwürde“ eine Vertreterin von Aktion Mensch. Auch die Bildungsgewerkschaft GEW verurteilt Höckes Aussagen. Der Tenor: Wir wollen uns nicht vorstellen, wie die AfD erst mit Menschen mit Behinderung umgeht, sollte sie je in Regierungsverantwortung kommen. Was nicht mehr ausgeschlossen ist. Vor allem in Thüringen, wo die Partei auf dem Weg in den Rechtsextremismus ist, hat sie in aktuellen Umfragen fast so viele Stimmen wie die drei Regierungsparteien zusammen.

Über 330.000 Schü­le­r:in­nen können von der Inklusion nur träumen

Die Warnungen vor der AfD sind sicher berechtigt. Was Höckes Inklusionsaussagen betrifft, ist der Skandal allerdings woanders zu finden: Das Menschenrecht, auf das jetzt wieder lautstark verwiesen wird, existiert oft nur auf dem Papier. Über 330.000 Schü­le­r:in­­nen in Deutschland können von der Inklusion, die Höcke abschaffen möchte, derzeit nur träumen.

Sie gehen nicht auf eine Regelschule, sondern werden schön separat in einer „Förderschule“ unterrichtet – wie die Länder die Sonderschulen mittlerweile nennen. Übrigens seit dem Jahr, in dem die oben erwähnte UNO-Behindertenkonvention in Kraft getreten ist.

Dass das kein Zufall ist, beweist eine aufschlussreiche Studie des früheren Berliner Staatssekretärs Mark Rackles aus dem Jahr 2021. Sie zeigt, wie vehement sich manche Bundesländer – darunter die bevölkerungsreichen Länder Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen – bis heute gegen die Inklusion wehren.

Etwa, indem sie „Förderschulen“ als Teil einer inklusiven Bildungspolitik verkaufen. Indem sie behaupten, dass es für alle Schü­le­r:in­nen besser sei, getrennt unterrichtet zu werden (was Bildungsforscher längst widerlegt haben). Oder indem sie den Rechtsanspruch auf inklusive Bildung zu umgehen suchen, indem sie Eltern entscheiden lassen, auf welche Schule ihr Kind soll.

Einige Bundesländer wie Berlin, Bremen und teils auch Thüringen nehmen das mit der Inklusion zwar ernster. Bundesweit aber ist die Quote der Kinder und Jugendlichen, die die Länder vom regulären Bildungssystem ausschließen, so hoch wie vor zwanzig Jahren.

Oder anders formuliert: Wer Inklusion ablehnt, braucht dafür nicht die AfD zu wählen. Auch nicht in Thüringen. Diese Aushebelung des Menschenrechts findet sich auch unter demokratischen Parteien. Wer CDU, CSU oder FDP wählt, muss keine Angst vor einem Ende der Sonderschulen haben. Selbst Länder, in denen die Grünen mitregieren, sind noch lange kein Inklusions­paradies.

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