Arbeitsbedingungen an Sonderschulen: Sonderpädagogik lohnt sich nicht

In Hamburg streiken Beschäftigte an Sonderschulen. Es gebe zu wenig Personal für zu viele Schüler*innen. Ein Grund dafür sei das geringe Gehalt.

Zwei Schüler sitzen an einem Tisch, einer auf einem Stuhl, ein anderer auf einem Rollstuhl

Unterricht, Pflege, Therapie, Betreuung: An einer Schule für Kinder mit Förderbedarf ist viel zu tun Foto: Maurizio Gambarini/dpa

HAMBURG taz | Die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gingen am Donnerstag in die dritte Runde. Zuvor fand an der Schule Bekkamp in Hamburg-Jenfeld eine Protestkundgebung von Elternvertretungen und den Beschäftigten von Speziellen Sonderschulen in Hamburg statt.

„Wir können diese Situation nicht mehr verantworten und haben uns deshalb zum Streik als letztes Mittel entschieden, um eine Lösung für uns und die Kinder zu erkämpfen“, sagt Marion Ziegler, Erzieherin an einer Hamburger Sonderschule. „Wir brauchen eine höhere Bezahlung.“ Auch die El­tern­ver­tre­te­r*in­nen teilen die Forderungen nach verbesserten Arbeitsbedingungen an den Schulen. Zugleich rufen sie zu einer schnellen Lösung auf. Denn viele Familien können die Streiktage nicht auffangen und fühlen sich alleingelassen. „Wir und unsere Kinder sind auf verlässliche Beschulung existenziell angewiesen“, sagt Leonie Milionis, Vorstand im Kreiselternrat der Sonderschulen.

Pädagog*innen, Eltern und Kinder – sie alle leiden unter der angespannten Personallage an Hamburger Sonderschulen. Eigentlich sollen hier Son­derpäd­ago­g*in­nen gemeinsam mit Er­zie­he­r*in­nen und The­ra­peu­t*in­nen in den Klassen arbeiten. „Als wir an die Schule kamen, wurde uns gesagt, dass vier Be­treue­r*in­nen pro Klasse geplant sind“, sagt Steffi Ramizi aus dem Elternrat Bekkamp. Die Realität ist aber eine ganz andere. Die Schulklassen sind zu groß, es gibt viel zu wenig Personal in Pflege, Betreuung, Therapie und Unterricht.

Viel Arbeit, wenig Geld

Der Hauptgrund für den eklatanten Personalmangel sei die geringe Bezahlung, argumentieren die Mit­ar­bei­te­r*in­nen der Speziellen Förderschulen, von denen es in Hamburg elf gibt. Weil sie nach dem Tarifvertrag der Länder bezahlt werden, verdienen sie aktuell 10,5 Prozent weniger als viele ihrer Kolleg*innen, die zum Beispiel in Kommunen außerhalb Hamburgs angestellt sind und nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt werden. Die Jobs an den Speziellen Förderschulen werden so zunehmend unattraktiv, viele der freien Stellen bleiben unbesetzt. Das führt zu einer dramatischen Überbelastung für die Beschäftigten, die Qualität des Unterrichts und der Betreuung leide extrem darunter.

Die Hamburger Schulbehörde konnte gegenüber der taz keine Angaben machen, ob eine bessere Bezahlung der Fachkräfte die Situation an den Förderschulen verbessern würde. Auch die Frage, wie viele Stellen an den Speziellen Förderschulen in Hamburg aktuell unbesetzt sind, blieb unbeantwortet.

Dass den Schulen Leute fehlen, ist unbestritten. Allein am Bekkamp sind im Moment vier Lehrer*innen-Posten nicht besetzt – etwa ein Drittel des Kollegiums. Immer wieder müssen deshalb Klassen zusammengelegt werden, die Lehrkräfte können ihrer Arbeit häufig gar nicht richtig nachgehen. „An Unterricht ist kaum noch zu denken, wir machen oft nur noch Betreuung“, sagt Marion Ziegler. Viele Kol­le­g*in­nen seien überfordert, von Burn-out bedroht, reduzierten ihre Stelle oder wechselten irgendwann den Beruf, wodurch sich die Personallage noch weiter verschärfe.

Der Frust innerhalb der Lehrerschaft wächst. Vor allem, weil der jetzige Zustand die Entwicklung der Kinder ausbremse. „Wir arbeiten mit den Kindern, damit sie später in der Lage sind, selbstständig an der Gesellschaft teilzuhaben. Darauf haben sie ein Recht“, sagt Ziegler. Dieses Recht werde durch die Situation an den Schulen gefährdet, so Zieglers Kollegin Svea Wolkewitz. Schlimmer noch: „In der täglichen Arbeit können wir oft die Sicherheit der Kinder nicht mehr gewährleisten“, sagt Erzieher Martin Grafton. Das kann schreckliche Folgen haben. Anfang des Jahres ertrank ein 10-jähriger Autist in der Elbe, nachdem er aus seiner Schule weggelaufen war.

Belastung für Kinder und Eltern

Häufig bleibt als einziger Ausweg, die Eltern darum zu bitten, ihre Kinder für den Tag zu Hause zu behalten. Ein großes Problem vor allem für berufstätige Eltern. Doch ein Kind mit gesondertem Förderbedarf zu betreuen, das sei selbst im Homeoffice fast unmöglich, erklärt Elternvertreterin Milionis. „Wir können nicht mehr“, sagt sie. „Seit Jahren sind wir es, die die Sparpolitik des Senats auffangen.“ Schon während der Coronapandemie mussten viele Familien an die Grenze des Leistbaren gehen.

Der Streik des Schulpersonals, den sie ausdrücklich unterstützen, stellt die Eltern nun vor eine weitere große Belastung. „Wir wollen das nicht mehr hinnehmen“, sagt Milionis. Deshalb fordere man beide Seiten dazu auf, den Streik beizulegen und eine schnelle Lösung für die Probleme der Schulung zu finden.

Was es braucht, da sind sich Leh­re­r*in­nen und Eltern einig, sind tiefgreifende Veränderungen – über den Streik hinaus. Die vielen unbesetzten Stellen seien nur die Spitze des Eisbergs, die Stellenbemessung grundsätzlich fehlerhaft, sagt Grafton. Um dem Förderbedarf der Kinder tatsächlich gerecht zu werden, müssten deutlich mehr Stellen geschaffen werden.

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