Coronazahlen steigen wieder: Die siebte Frustwelle

Die Coronazahlen steigen wieder steil. Lust, sich damit auseinanderzusetzen, hat kaum jemand. Dabei wären Antworten überfällig.

Blick auf eine Menschenmenge

Den Liebsten bitte ein Lebkuchenherz von der Wiesn mitbringen – keine Infektion Foto: Michael Probst/ap

Es ist deprimierend. Nicht nur der Angriffskrieg in der Ukraine und die damit einhergehende Energiekrise schlagen aufs Gemüt. Nun meldet sich auch noch Corona zurück. Und das mit ganzem Elan. Am Mittwoch meldete das Robert Koch-Institut erstmals seit zwei Monaten wieder eine fast sechsstellige Zahl von Infektionen binnen 24 Stunden. Sie ist damit innerhalb einer Woche um mehr als 40 Prozent gestiegen. Und man muss davon ausgehen, dass die reale Zahl noch deutlich höher liegt, weil sehr viele Menschen sich anders als noch im Frühjahr gar nicht mehr offiziell testen lassen.

Darauf deutet auch der Anstieg der Hospitalisierungsrate hin. Die lag am Mittwoch sogar um 67 Prozent höher als vor einer Woche. Ursprünglich war dieser Indikator mal eingeführt worden, um die Belastung der Krankenhäuser zu messen.

Mit der Vielzahl der Patient:innen, die seit der Omikron-Variante nur mit, nicht wegen Corona in die Klinik kommen, hat sich das erledigt. Doch gerade wegen der Menge der getesteten Pa­ti­en­t:in­nen kann die Hospitalisierungsrate als annähernd repräsentative Stichprobe der Gesamtbevölkerung gelesen werden. Und damit heißt so ein enormer Anstieg: Die 7. Welle ist da.

Dass im Herbst eine weitere Welle kommen würde, war erwartet worden. Dass sie so schnell und so vehement gekommen ist, überrascht aber selbst Ex­per­t:in­nen.

Ein Faktor spielt dabei die Feststimmung im Land, die sich nach zwei Jahren Pandemiefrust breit gemacht hat. In München, wo vor fast zwei Wochen das Oktoberfest begann, hat sich die Infektionszahl in den letzten sieben Tagen mehr als verdoppelt. Sie ist also deutlich schneller gestiegen als im Bundesschnitt. Und auch in den beiden Landkreisen Weimarer Land (neun Tage Rummel) und Schwäbisch Hall (Fränkisches Volksfest in Crailsheim), in denen sich die Infektionszahl gar mehr als verdreifacht hat, wurde zuletzt kräftig gefeiert.

Sind also nur die Volksfeste Schuld? Ganz so einfach ist es nicht. In Hildburghausen, dem Landkreis mit dem aktuell dritthöchsten Anstieg, beginnt das Theresienfest erst an diesem Donnerstag. Es muss also noch andere Gründe geben.

Auch unabhängig von den Volksfesten ist die Zahl der Kontakte in Deutschland zuletzt wieder deutlich gestiegen. Niemand hat mehr Lust, sich mit Corona auseinanderzusetzen. Wer im Supermarkt noch eine Maske trägt, wirkt fast schon wie ein Exot. In Bus und Bahn wird die eigentlich noch geltende Maskenpflicht allenfalls halbwegs ernst genommen. Das ist gar nicht mal Böswilligkeit, Leichtsinn oder gar Querdenkerirrsinn. Man vergisst sie nur einfach gern mal. Die Maske. Das Denken an die Maske. Die lästige Präsenz der Pandemie. Es ist verständlich.

Wer etwas über die Stimmung im Land wissen will, kann sich auf Twitter die Kommentare unter einem Tweet von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zur aktuellen Coronalage anschauen. Die einen beschimpfen ihn, weil er nichts gegen die Herbstwelle tue. Die anderen verteufeln ihn, weil er mit den wenigen noch geltenden Beschränkungen den Menschen die Freiheit raube. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es so gut wie nichts. Nachdenkliches Abwägen, Zwischentöne gar sind selten. Und das liegt nicht nur am Medium Twitter. Es liegt auch an einer wachsenden Ratlosigkeit.

Denn es ist ja unübersehbar, dass Corona – auch wegen der Impfungen – längst nicht mehr so tödlich ist, wie noch in den ersten Wellen. Aktuell werden pro 10.000 registrierten Infektionen rund 25 Todesfälle gezählt. Zu Hochzeiten der Pandemie waren es 10- bis 20-mal so viele. Wenn man mit einrechnet, dass die Dunkelziffer bei den Infektionen aktuell sehr groß sein dürfte, bedeutet das nur, dass das Sterberisiko sogar noch viel niedriger ist. Einerseits.

Andererseits sterben dennoch aktuell täglich rund 80 Menschen an den Folgen einer Infektion. Im Herbst werden es noch deutlich mehr werden. 9.000 Opfer zählte das RKI in den letzten drei Monaten. Am kommenden Wochenende wird der 150.000 Tote seit Pandemiebeginn registriert werden. Hinzu kommen Zehntausende, die an Long Covid oder gar Post Covid leiden. Es ist also mehr als gesund, die Masken wieder rauszukramen und über eine weitere Impfung nachzudenken.

Doch wie soll eine Gesellschaft eigentlich umgehen mit so einer Pandemie? Wie soll sie die Risiken der einen gegen die Unbeschränktheit der anderen abwägen? Auf diese großen Fragen gibt es auch nach zwei Jahren Streit und Debatte noch keine befriedigenden Antworten. Dabei wären sie überfällig. Denn so viel ist klar: Corona ist kein Ausnahmezustand mehr. Corona ist das neue Normal, das einfach nicht mehr weggeht. Auch nicht nach der 7. Welle. Es ist deprimierend.

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