Bündnis Sahra Wagenknecht: Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Als Nahostexperte hat Michael Lüders unter anderem die Bundesregierung beraten. Jetzt tritt er für Sahra Wagenknecht zur Bundestagswahl an.
Michael Lüders ist schon länger ein scharfer Kritiker nicht nur der deutschen, sondern der westlichen Außenpolitik insgesamt. Bekannt wurde der Journalist, promovierte Islamwissenschaftler und frühere Zeit-Redakteur als Nahost-Experte, der eine Weile lang häufig in Funk und Fernsehen zu Gast war. In seinen Bestsellern wie „Wer den Wind sät“, „Die den Sturm ernten“ und „Hybris am Hindukusch“ widmete er sich hingebungsvoll den ideologischen Irrtümern und Fehlern westlicher Interventionen im Irak, in Syrien und Afghanistan. Manche warfen ihm deshalb vor, antiwestliche Ressentiments zu verbreiten. In Rezensionen wurde Lüders’ Büchern „Schwarz-Weiß-Malerei“, „Provokationslust“ und sogar „Zynismus“ vorgeworfen.
Nun schlägt der 65-Jährige ein neues Kapitel auf, ein politisches. Anfang des Jahres gehörte Lüders zu den Gründungsmitgliedern des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW). Jetzt will er für die Partei in den Bundestag, tritt als Kandidat in Sachsen-Anhalt an, auf Listenplatz 1.
Expertise unbestritten, Einschätzungen umstritten
Politisch passen der Nahost-Experte und das BSW gut zusammen. Mit Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Co teilt er die überaus kritische Haltung zur Nato und den USA, die er in seinen letzten Büchern zu steilen Thesen zuspitzte. In seinem 2021 erschienenen Buch „Die scheinheilige Supermacht“ forderte Lüders, Europa müsse „aus dem Schatten der USA heraustreten“. In „Moral über alles?“ plädierte er zwei Jahre später dafür, Deutschland solle sein wirtschaftliches Eigeninteresse gegenüber Russland über moralische Skrupel stellen. Das klang schon stark nach Wagenknecht.
Schon beim BSW-Bundesparteitag im Januar in Berlin war Lüders der heimliche Star und erhielt als Kandidat für den erweiterten Vorstand und für die Europawahlliste jeweils die besten Ergebnisse von allen. Als „spannenden Versuch“ bezeichnet Lüders seinen Rollenwechsel zum Politiker. Aber droht dieser nicht, seinen Ruf als unabhängiger Intellektueller zu untergraben? „Ich werde ohnehin nicht mehr so oft in Talkshows eingeladen“, wiegelt Lüders ab.
Die Urteile seiner Kollegen über ihn sind gespalten. „Michael Lüders ist sehr freundlich, kollegial und stets sachlich“, sagt die Syrien-Expertin Kristin Helberg. Sie schränkt aber auch ein: „Bei manchen Konflikten macht er es sich mit seiner geostrategischen Analyse zu einfach, indem er dem Westen alle Schuld zuschiebt.“
Lüders’ Expertise ist dagegen unbestritten. Er beriet unter anderem das Auswärtige Amt und die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, erstellte Fachgutachten für das Entwicklungshilfeministerium und lehrte an Universitäten in Marburg, Trier und in der Türkei. Sieben Jahre lang, von 2015 bis 2022, war er Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, in Nachfolge des Welterklärers Peter Scholl-Latour. Nebenher schrieb er mehrere Romane.
Knick in der TV-Karriere wegen Syrien
Seine TV-Karriere erlitt während des Kriegs in Syrien einen Knick, nachdem er wegen seiner damaligen Haltung scharf angegriffen wurde. Wie sein erklärtes Vorbild, der US-Investigativjournalist Seymour Hersh, zweifelte Lüders daran, dass Syriens Diktator Assad im April 2017 einen Giftgasangriff befohlen hatte, wie es westliche Regierungen damals behaupteten. Bei Markus Lanz legte Lüders nahe, die Türkei habe Saringas an Rebellengruppen in Syrien geliefert. Eine UN-Sonderkommission kam später zum Ergebnis, dass das Giftgas aus syrischen Beständen stammte. Wer genau es eingesetzt hat, ist aber bis heute ungeklärt. Seitdem haben Lanz oder andere große Talkshows ihn nicht mehr eingeladen.
Dafür hat sich Lüders selbst ein neues mediales Standbein aufgebaut: Sein Youtube-Kanal hat über 70.000 Abonnent:innen, manche seiner oft über einstündigen Vorträge werden dort teilweise über 100.000 Mal abgerufen. „So ein Format, in dem man mal Zusammenhänge erklären kann, das hat etwas Befreiendes“, sagt Lüders. „Also mir tut das gut. Sonst kann man oft ja nur verzweifeln an der Welt.“
Lüders Kritik an einer „moralisierenden Außenpolitik“ der grünen Außenministerin Annalena Baerbock ähnelt auf den ersten Blick der Kritik des konservativen Historikers Andreas Rödder, einem Vordenker der Union, der in die gleiche Kerbe schlägt. Rödder meint aber etwas ganz anderes: Er will trotz Trump an der Westbindung zu den USA festhalten, auch wenn das gemeinsame Wertefundament bröckelt. Konservative wie Rödder nehmen es in Kauf, wenn Verbündete wie die USA oder Israel eine völkerrechtswidrige Politik der Stärke verfolgen, Russland aber mit moralischen Argumenten kritisieren. Das BSW verhält sich spiegelbildlich dazu: Es ist bereit, Russlands völkerrechtswidrige Politik der Stärke zu akzeptieren, kritisiert dafür aber die Politik des Westens auch moralisch.
Scharfe Kritik an Israels Kriegsführung
Keine andere Partei prangert auch die israelische Kriegsführung in Gaza und im Libanon mit so scharfen Worten an wie das BSW. Wagenknecht spricht von einer „barbarischen Kriegsführung“, Oskar Lafontaine gar von „Völkermord“. Das BSW fordert, Waffenlieferungen an Israel zu stoppen. Das Thema Gaza rangiert in der Partei aber nicht so prominent wie der Krieg in der Ukraine. „Es ist ein sehr stark emotionalisierendes Thema“, sagt Lüders. Darum halte man sich damit zurück, es stärker ins Zentrum zu rücken. Berät Lüders Wagenknecht in Nahost-Fragen? „Wir, die sich innerhalb der Partei mit der Region befassen, tauschen uns aus“, antwortet er ausweichend.
Auch Lüders selbst sieht die deutsche Haltung zu Israel sehr kritisch. Sein neues Buch „Krieg ohne Ende?“ handelt davon. Israel sei dabei, den Nahen Osten „in die Luft zu jagen“. Israelische Extremisten seien „völlig entfesselt“, sagt er. Die deutsche Politik wiederum halte „an Positionen fest, die einmal ihre Berechtigung gehabt haben mögen, aber längst von der Realität überrollt worden sind“. Frankreich, Spanien und Italien hätten Waffenlieferungen an Israel gestoppt, mehrere Staaten der EU Palästina als Staat anerkannt oder sich sogar, wie Spanien und Irland, der Völkermordklage Südafrikas angeschlossen. Deutschland dagegen habe sich als einziges Land in Den Haag an die Seite Israels gestellt.
„Wir machen uns mitschuldig an einem Genozid“, ist Lüders überzeugt. Und er warnt, das werde auch materielle Folgen haben. Es drohe eine neue Fluchtbewegung aus dem Nahen Osten nach Europa, wenn die Palästinenser von dort vertrieben würden. Und Deutschlands Ruf in der Welt habe zudem mindestens so stark gelitten wie das Ansehen der USA nach dem Irakkrieg. „Wir konkurrieren mit anderen Ländern um Energie und Ressourcen. Warum sollen wir Besserwisser, die wir aus Sicht vieler sind, in Zukunft noch den Zuschlag kriegen?“
Pessimistisch für Deutschland
Auch mit Blick auf die Ukraine ist Lüders pessimistisch. „Es hieß immer: Wir rüsten die Ukraine auf, damit sie aus einer Position der Stärke verhandeln kann. Aber inzwischen sind 100.000 ukrainische Soldaten gestorben, es gibt einfach keine Kämpfer mehr.“ Die Ukraine könne diesen Krieg nicht gewinnen. Und der designierte Vizepräsident des künftigen US-Präsidenten Donald Trump, J. D. Vance, habe bereits klargemacht, Deutschland solle nach dem Ende des Kriegs dort den Wiederaufbau übernehmen. „Das wird die deutsche Wirtschaft weiter belasten“, fürchtet Lüders.
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