Belästigung bei Konzerten: Hallo, hört mich jemand?
Rapper Drake hat bei einem Auftritt einem Belästiger die Meinung gesagt. Ich hätte auch gern einen Drake, denn selber komme ich nicht durch.
Wenn du nicht aufhörst, Mädchen anzufassen, komme ich runter und fuck dich ab!“ So legte sich am Mittwoch der ḱanadische Rapper Drake während eines Auftritts in Sydney mit einem Mann im Publikum an. Der Mann soll dort Frauen sexuell belästigt haben. Drake brach daraufhin seinen Song ab – und setzte damit ein klares, wichtiges Zeichen.
Ein solches Bewusstsein für sexuelle Belästigung ist in Clubs, Bars, auf Parties und Konzerten leider nicht selbstverständlich. Das musste ich selbst vor paar Wochen feststellen. Im Oktober war ich in einem Club in dem Berliner Stadtteil Wedding, wo ein Rap-Auftritt stattfinden sollte. Peti Free, eine Band aus Köln, und Hip-Hop-Produzent Figub Brazlevič waren zu Gast. Ich hatte einen Mann dabei, wir tranken und tanzten. Es war ganz nett, bis es irgendwann weniger nett wurde.
Meine Begleitung ist irgendwann Bier holen gegangen, und gleich landete ein Typ neben mir und tanzte mich an. Ich habe ihn nicht mal angeschaut, habe mit meiner Körpersprache klar gemacht, dass ich kein Interesse für Interaktion mit ihm habe. Er hat das ignoriert.
Der Typ blieb, bis meine männliche Begleitung wieder zurückkam. Dass ich kein Interesse gezeigt hatte, hat ihm nicht ausgereicht. Die Existenz eines anderen Mannes war für ihn wichtiger. Dabei wusste er ja noch nicht einmal, wie wir zueinander stehen – meine Begleitung hätte mein Mitbewohner sein können, mein Bruder, mein Cousin. Egal, offenbar hat der Antanzer diesen Mann für „meinen Besitzer“ gehalten, und so ist er zur nächsten Frau gegangen.
Ich habe ihn nicht aus dem Auge verloren: Er tanzt sie an. Sie, so wie ich, schaut ihn nicht mal an. Auch bei ihr klar: kein Interesse. Ihm ist es egal. Er tanzt die Frau solange an, bis sie keine Lust mehr hat, da zu sein. Sie ist „leider“ alleine, hat keinen Mann dabei, der diesen Antanzer wegscheucht. Sie verlässt den Raum, geht einfach weg – und ich finde es überhaupt nicht lustig.
Ist sexuelle Belästigung wirklich schlimm?
Ich bin schon angetrunken und stinksauer auf den Mann. Die Band auf der Bühne rappt vor allem „für den Frieden“. Und sie sagt böse Sachen über die Polizei, die ich gar nicht so schlecht finde. Es sind People of Color, möglicherweise kennen sie Unterdrückung, insbesondere den institutionellen Rassismus und die Polizeigewalt. Ich fühle mich wohl bei ihnen. Als der Song endet, gehe ich zur Bühne und frage den einen Rapper, ob ich kurz auf die Bühne darf. Er sagt ja, und gibt mir ein Mikro.
Ich will sagen, dass eine Frau wegen sexueller Belästigung den Raum verlassen musste. Dass sie eingeengt wurde. Auf das Konzert ist sie sicherlich nicht dafür gekommen, um von einem antanzenden Mann zu flüchten. Nein, sie ist für die Musik da, zu tanzen, um sich zu entspannen. Aber ihr wurde der Raum entnommen, der ihr zur Verfügung steht. Wir diskutieren seit Wochen über sexualisierte Gewalt – in diesem Land, in dieser Welt. Die Sache ist doch ganz klar. Sie kennen Unterdrückung. Ich kann die Leute erreichen, die Zeit ist reif.
Ich fange an: „Hallo, mein Name ist Sibel, ich bin Feministin. Wir diskutieren seit Tagen über sexualisierte Gewalt…“ und werde sofort stillgelegt. Von etwa sieben Männern, die auf der Bühne stehen. Sie sind panisch, wollen, dass ich verschwinde, dass ich die Klappe halte. Das sagen sie auch, und ich lehne ab, möchte es unbedingt loswerden. „Nein, lasst mich reden. Ich will unbedingt reden.“ Wenn ich einmal erzählen kann, was passiert ist, verstehen sie mich, denke ich. „Frauen wollen nicht ständig daran erinnert werden, dass sie ein Geschlecht haben“ möchte ich sagen. „Wenn sie Lust haben, sieht man ihnen das an. Wenn sie euch ignorieren, dürfen sie nicht mehr angetanzt werden.“ Ich kann aber nicht, weil sie mein Mikro ausschalten. Wie naiv ich manchmal sein kann.
Zwei junge Frauen kommen sofort zu mir: „Also wir denken auch so wie du, aber wie du es gemacht hast…“ Dabei konnte ich mich nicht mal ausdrücken. Ich durfte ja nicht. Sie wussten also gar nicht, was ich sagen wollte, worum es ging. Als das Ganze passiert ist, hat sich meine Begleitung überfordert die Decke des Clubs angeschaut, und dabei Bier getrunken.
„Nimm es doch als Kompliment“
Nach dem Auftritt kommen die Rapper von der Bühne zu mir: Was war das, was du sagen wolltest, fragen sie. Ich fange an zu erzählen, und werde gleich unterbrochen: „Nimm das doch als Kompliment an. Du bist doch so 'ne heiße Frau.“ Ich sage „Warte, lass mich mal aussprechen.“ Ich erzähle weiter, obwohl die Niederlage feststeht: Menschen, deren erster Instinkt ist, den belästigenden Mann zu verteidigen, sind nicht zu erreichen. Ich erzähle trotzdem zu Ende, und ähnliche Kommentare folgen: „Du bist doch hübsch, nimm es doch nicht böse an.“ Und dann aber auch: „Ihn fandest du respektlos, aber dass du auf die Bühne springst, ist okay, oder wie?“
Eine hilflose Aktion, um auf sexuelle Belästigung hinzuweisen, und bisschen Gerechtigkeit für die Frau zu fordern, die gehen musste, wird mit sexueller Belästigung gleichgesetzt. Ich sage „Klar hätte ich das anders machen können, aber ich bin wütend.“ Ein Rapper sagt: „Nur wegen dem einen Typen oder was?“ Er fühlt sich beleidigt, sie sind alle beleidigt. Und ich stehe da, und versuche ihnen zu erklären, dass sexuelle Belästigung keine gute Sache ist. Sie erwarten, dass ich ihnen sage, dass doch nicht sie die bösen sind. Dass sie anders sind. Dass da nur der eine blöde Typ war.
Ich verliere langsam die Geduld. Bei dem einen Mann, der sagt „Körperkontakt gehört zum Tanzen“ explodiere ich. Ich sage ihm, dass es unsinnig ist, dass es einfach nicht stimmt. Frage ihn, wie er das fände, wenn ich an seinen Körper rumfummeln würde. Er sagt ich wäre ein Nazi, weil ich ihn nicht reden lasse. Das reicht mir, ich verlasse den Raum.
Auf dem Rückweg zieht meine Begleitung einen Vergleich: Meine Erfahrung sei so ähnlich, wie wenn er von seinem Arbeitgeber aufgrund seiner Tätowierungen blöd angeguckt wird. „Ich verstehe dich,“ sagt er. Ich kann nicht fassen, wie realitätsfern sein Kommentar ist. Das muss seine schlimmste Diskriminierungserfahrung sein. Der arme.
Hätte Drake auf dieser Bühne gestanden, wäre es vielleicht anders gelaufen. Ich wäre vielleicht zu Wort gekommen und losgeworden, was ich loswerden wollte. Ich glaube, wir werden es nie wissen, aber alleine die Wahrscheinlichkeit erleichtert mich. Danke Drake, weiter so, ich hoffe deine Aktion wird ein Vorbild für alle. Und Männer: Hört endlich damit auf, Frauen zu belästigen.
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