Asylrechtsverschärfungen: Mit Anlauf gegen die Wand
Die neue Bundesregierung ignoriert ein eindeutiges Gerichtsurteil – und auch Bundestag und Bundesrat will sie jetzt zum Zweck der Abschottung umgehen.

Kern der Aktion sind die Zurückweisungen von Asylbewerbern. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte sie schon an seinem ersten Amtstag Ende April angeordnet. Kein Interview, kaum ein Talkshowauftritt von Unions-Politiker*innen kam in der Folge ohne stolzen Verweis darauf aus, dass Bundespolizist*innen an den Grenzen jetzt auch Menschen zurückschicken, die verzweifelt nach Schutz suchen. Seht her, so die Botschaft, wir sind nicht mehr die Partei von Angela Merkel, die 2015 rund eine Million Syrer*innen ins Land ließ.
Bis zum Montag. Da holte Merkel die Union gewissermaßen ein, als das Berliner Verwaltungsgericht entschied, dass die Zurückweisung von drei Somalier*innen Anfang Mai unrechtmäßig gewesen sei. So lernten Dobrindt und Merz, was Merkel schon 2015 klar sah.
Damals, zu Beginn des Flüchtlingssommers, war schon alles vorbereitet. Die Bundespolizist*innen standen an der Grenze bereit, die Weisung lag fertig auf dem Tisch. Aber – zum Entsetzen der Hardliner in der Union – entschied sich Merkel in letzter Sekunde um. Zu groß war die Angst vor unerträglichen Bildern, Polizisten, die Frauen und Kinder mit Tränengas vertreiben. Noch größer waren aber offenbar die rechtlichen Zweifel damals, so kann man es etwa in Robin Alexanders Buch „Die Getriebenen“ nachlesen. Merkel erkannte, dass das EU-Recht die Zurückweisungen einfach nicht hergab.
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Absehbar in Konflikt mit dem Rechtsstaat
Fast zehn Jahre schimpften die Rechtskonservativen in CDU und CSU anschließend von einer angeblichen „Grenzöffnung“ Merkels und träumten von dem, was die Kanzlerin ihnen vorenthalten hatte. All das sollte nun unter Merz und Dobrindt anders werden. Wurde es auch, zumindest ein bisschen. Dann aber kam der Berliner Gerichtsbeschluss. Mit zehn Jahren Anlauf gegen die Wand.
Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts sich rein rechtlich nur auf den Einzelfall dreier Geflüchteter bezieht, die Anfang Mai aus Polen kamen. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dürfte auch jedes andere Gericht bei jeder anderen Zurückweisung zum gleichen Ergebnis kommen.
Jetzt könnte man sich darüber freuen, dass Alexander Dobrindt mal wieder abgewatscht wurde. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass der Mann groß tönte und anschließend von Gerichten in die Schranken gewiesen wurde. Stichwort „Ausländer-Maut“. Man kann sich aber auch gruseln, wenn man hört, wie Dobrindt seitdem klingt: „Wir sehen, dass die Rechtsgrundlage gegeben ist und werden deswegen weiter so verfahren – ganz unabhängig von dieser Einzelfallentscheidung.“ Und Kanzler Merz sagt: „Die Spielräume sind nach wie vor da. Wir wissen, dass wir nach wie vor Zurückweisungen vornehmen können.“ Einfach weitermachen, das ist die Botschaft. Egal, was die Rechtslage ist. Es ist ein Weg, der die Bundesregierung absehbar in Konflikt mit dem Rechtsstaat führen wird.
Insgeheim wissen alle, dass die Zurückweisungen unrechtmäßig sind. Mag sein, dass die Union diese Einsicht noch ein bisschen verdrängen kann, vielleicht, bis einige weitere Fälle ähnlich entschieden werden, aber dann wäre wirklich Schluss. Die Union müsste sich entscheiden, ob sie nachgibt oder sich offen gegen die Gerichte stellt. Dabei wäre der jüngste Gerichtsbeschluss eine hervorragende Möglichkeit gewesen, um die Zurückweisungen noch gesichtswahrend zu beenden und stattdessen auf gemeinsame europäische Abschottung zu setzen. Die ist auch brutal und menschenverachtend, kollidiert aber nicht so offensichtlich mit dem geltenden Recht.
Kein Pflichtbeistand mehr
Die neue Bundesregierung demonstriert allerdings auch an anderen Stellen eine gewisse Geringschätzung der gängigen Spielregeln einer Demokratie. Mit einem Trick will Schwarz-Rot den Bundesrat künftig umgehen, wenn es um die Einstufung sogenannter sicherer Herkunftsländer geht.
Geflüchtete, die aus so eingestuften Staaten stammen, haben fast keine Chance auf Schutz in Deutschland, sie können schneller abgeschoben werden und sich nur schwer gegen ihre Ablehnung wehren. Normalerweise muss der Bundesrat zustimmen, wenn ein neues Land auf die Liste der „sicheren Herkunftsländer“ wandern soll, so steht es im Grundgesetz. Doch weil Landesregierungen mit grüner und linker Beteiligung dort immer wieder solche Einstufungen verhinderten, wollen Union und SPD jetzt kurzerhand eine zweite Liste schaffen, die nicht auf deutschem Recht basiert, sondern auf EU-Recht.
Rechtsverordnung der Regierung würde ausreichen
Damit ein Land auf dieser Liste landet, bräuchte es dann nur noch eine einfache Rechtsverordnung der Regierung. Nicht nur der Bundesrat, sondern auch der Bundestag bliebe außen vor. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD auch schon festgehalten, welche Länder es zuerst treffen soll: Marokko, Algerien, Tunesien und Indien. So richtig rechtswidrig ist all das wohl nicht, aber ein schäbiger Trick.
Kritikwürdig ist auch, dass die Bundesregierung künftig Personen in Abschiebehaft oder -gewahrsam nicht mehr automatisch Anwält*innen zur Seite stellen will. Die Ampelkoalition hatte diesen Pflichtbeistand erst im Herbst vorigen Jahres festgeschrieben, es ist also keine altehrwürdige Tradition, die hier gestürzt werden soll.
Aber es ist doch das allererste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass eine derartige Pflichtbeiordnung von Anwält*innen wieder zurückgedreht wird, nachdem sie einmal eingeführt war. Das hat der grüne Bundestagsabgeordnete Helge Limburg recherchiert. Noch dazu zeigen Statistiken, dass Abschiebehaft in vielen Fällen tatsächlich zu Unrecht verhängt wird.
Eine gewisse moralische Wahlblindheit
Und auch die vom Bundeskabinett beschlossene Aussetzung des Familiennachzugs für Geflüchtete mit subsidiärem Schutzstatus offenbart eine gewisse Bereitschaft, über rechtliche und moralische Grundsätze hinwegzusehen. Im Grundgesetz heißt es schließlich: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Anders als oft dargestellt, geht es beim Familiennachzug nicht ausschließlich um männliche Geflüchtete, die nun ihre Familie herholen. Es gibt auch den gegenteiligen Fall: geflüchtete Kinder, die auf ihre Eltern warten.
Schon bisher ist in all diesen Fällen der Nachzug nach Deutschland auf 1.000 Personen pro Monat begrenzt, für Betroffene bedeutet das teils jahrelange Wartezeiten. Die geplante vollständige Aussetzung ist zwar vorerst auf zwei Jahre befristet, doch ob der Nachzug danach wirklich nochmal anlaufen wird, weiß niemand. Anzeichen dafür, dass die Unionsparteien vom Kurs der Härte auf Humanität schwenken, gibt es nicht. Wie war das noch gleich mit dem C im Namen?
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