Stationierung von Mittelstreckenwaffen: Rolf Mützenich ist nicht begeistert
Der SPD-Fraktionschef hat Bedenken gegen die geplante Stationierung von Mittelstreckenwaffen. Außenministerin Baerbock verteidigt die Entscheidung.
Am Rande des Nato-Gipfels in Washington hatten das Weiße Haus und die Bundesregierung vor eineinhalb Wochen bekanntgegeben, dass die USA von 2026 an Tomahawk-Marschflugkörper, die Mehrzweckrakete SM-6 sowie derzeit noch in der Testphase befindliche Hyperschallraketen in der Bundesrepublik stationieren wollen. Diese Waffensysteme verfügen über eine deutlich größere Reichweite als die derzeitigen landgestützten Systeme in Europa.
Es handele sich um eine „Reaktion auf die von Russland ausgehende Bedrohung“, heißt es in einem gemeinsamen Schreibenmit dem die Parlamentarischen Staatssekretär:innen Siemtje Möller (Verteidigung) und Tobias Lindner (Auswärtiges Amt) am Freitag den Auswärtigen Ausschuss und den Verteidigungsausschuss des Bundestages über das mit den USA vereinbarte Vorhaben informierten.
„Russland hat in den vergangenen Jahren massiv im Bereich weitreichender Raketen und Marschflugkörper aufgerüstet“, so die SPDlerin und der Grüne. Vergeblich habe die Bundesregierung mehrfach auch öffentlich „zu einer Umkehr von diesen eskalatorischen Maßnahmen aufgefordert“. Die Stationierung weitreichender konventioneller US-Waffensysteme in Deutschland trüge „zu einer effektiven und glaubwürdigen Abschreckung und zum Schutz Deutschlands und seiner Verbündeten bei“.
In Washington hatte Bundeskanzler Olaf Scholz bereits verkündet, das sei „ein Element der Abschreckung, ein Beitrag zum Frieden und eine wichtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt“.
„Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation“
Dagegen wendet sein Parteifreund Mützenich jetzt ein, dass er zwar die Bedrohung durch Russland „überhaupt nicht ignorieren“ wolle. Gleichwohl verfüge die Nato „auch ohne die neuen Systeme über eine umfassende, abgestufte Abschreckungsfähigkeit“.
Die Waffensysteme, die nun neu stationiert werden sollen, hätten eine sehr kurze Vorwarnzeit und eröffneten neue technologische Fähigkeiten. „Die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation ist beträchtlich“, warnte Mützenich. Darüber hinaus würde er sich wünschen, „dass die Bundesregierung ihre Entscheidung einbettet in Angebote zur Rüstungskontrolle“.
Noch deutlich schärfere Worte findet eine Gruppe überwiegend älterer Sozialdemokrat:innen, unter ihnen Ex-Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin, die frühere NRW-Wissenschaftsministerin Anke Brunn, die ehemalige Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann und – mal wieder – der 75-jährige Willy-Sohn Peter Brandt. „Nein zu neuen Mittelstreckenraketen!“, ist ihr gerade veröffentlichter Aufruf überschrieben.
Deutschland brauche eine starke Friedensbewegung
„Die Gefahr eines großen Krieges in Europa droht wieder zu einer denkbaren Zukunft zu werden“, heißt es darin. Dazu trage bei, dass in Deutschland wieder Waffensysteme stationiert werden sollen, „die mit sehr kurzen Vorwarnzeiten konventionelle Sprengköpfe und sogar Atomwaffen nach Russland tragen können“. Dass am Ukraine-Krieg Russland „die unmittelbare Kriegsschuld“ trage, stehe zwar „außer Frage“, ändere aber „nichts daran, dass es zuerst um den Frieden gehen muss“.
Sie sagten „Nein zu einem neuen Kalten Krieg, aus dem ein Heißer Krieg werden kann“, schreiben die Verfasser:innen, zu denen auch das Ex-IG Metall-Vorstandsmitglied Helga Schwitzer, Ostermarschorganisator Willi van Ooyen und Jörg Sommer, der Vorsitzende der Deutschen Umweltstiftung, gehören. Was Deutschland brauche, sei „eine starke Friedensbewegung, die sich der zunehmenden Militarisierung in der Politik und den öffentlichen Debatten entschieden widersetzt“.
Demgegenüber verteidigte Außenministerin Annalena Baerbock erwartungsgemäß die vereinbarte Raketenstationierung. Der russische Präsident Wladimir Putin habe „das Arsenal, mit dem er unsere Freiheit in Europa bedroht, kontinuierlich ausgebaut“, sagte die Grünen-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Dagegen müssen wir uns und unsere baltischen Partner schützen, auch durch verstärkte Abschreckung und zusätzliche Abstandswaffen“, so Baerbock. Alles andere wäre „nicht nur verantwortungslos, sondern auch naiv gegenüber einem eiskalt kalkulierenden Kreml“. Putin habe schon vor Jahren mit Abrüstungsverträgen und der gemeinsamen europäischen Friedensarchitektur gebrochen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Wahlkampfchancen der Grünen
Da geht noch was
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“