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Volksfest fürs Grundgesetz in BerlinPunktlandung im Banalen

Kommentar von Joscha Frahm

Beim Berliner Bürgerfest ist Grundkonsens: Die Demokratie ist zwar ein bisschen in Gefahr, aber das kriegen wir hin. Dabei gäbe es Gesprächsbedarf.

Wer ist Fahne, wer Fallschirm nach der Vereinigung? Bundespolizei springt jedenfalls hübsch ab Foto: Kay Nietfeld/dpa

E ndlich gibt es in Deutschland mal wieder was zu feiern. Schluss mit der ewigen Miesepetrigkeit, der fiesen Regierungskritik und dem Gerede von immerharten Zeiten. Heute können wir uns auf die Schultern klopfen, heute wird auf den Putz gehauen! Und nein, dabei geht es einmal nicht um Fußball. Jedenfalls nicht nur.

Am Spreeufer vor dem Bundestag drängen sich am Wochenende zwischen Zuckerwatte-Ständen, Glücksrädern und Infozelten zahlreiche Be­su­che­r:in­nen beim „Fest der Demokratie“, das zum Anlass des 75. Geburtstags des Grundgesetzes stattfand. So weit, so einschläfernd (immerhin bestückten zahlreiche „Coffee Bikes“ das Gelände, um dieser Wirkung etwas entgegenzusetzen).

Doch die Attraktionen überbieten sich gegenseitig: Im Bürgerdialog kann man mit Robert Habeck, Bärbel Bas und sogar Olaf Scholz plaudern, auf einer Bühne im Bundestag ist Oppositionsführer Merz zu hören, und draußen lauschen Menschen bei wunderschönem Sonnenschein einer mittelmäßigen Performance von „Wonderwall“. Bier, Bratwurst und allgemeines Selbstlob stehen auf der Tagesordnung. Der Grundkonsens bei Red­ne­r:in­nen und Be­su­che­r:in­nen scheint: Alles super so weit, die Demokratie ist zwar ein bisschen in Gefahr, kriegen wir aber schon – gemeinsam – hin.

„Gemeinsam“, „Einheit“, „Wir“: schöne Buzzwords, die zahlreiche Stände, Plakate und Gratiskulis auf dem Fest zieren. Auch sonst sind sie in Mode: Eines der Worte musste als Titel für das kürzlich erschienene Buch von Bundespräsident Steinmeier herhalten, andere bestücken Wahlplakate. Und doch fehlt das „gemeinsam“ dort, wo es wichtig gewesen wäre: Nach dem Mauerfall 1989 entschied man sich gegen die Erarbeitung einer neuen gemeinsamen Verfassung von Ost und West, obwohl das Grundgesetz – im Wiedervereinigungsartikel 146 – eine Möglichkeit dafür bot. Stattdessen blieb man bei der Verfassung, die sich schon in der Bundesrepublik bewährt hatte. So wenig wie möglich wollte man für Westdeutsche bei der Wiedervereinigung wohl verändern.

Tischkickern statt Perspektive

Diese Entscheidung wirkt bis heute nach. In einem der Festzelte erzählen drei junge Frauen, die für verschiedene ostdeutsche Initiativen tätig sind, dass viele Ostdeutsche sich auch heute, 35 Jahre nach der Wende, nicht zugehörig fühlen würden. Die Entscheidung, ostdeutsche Perspektiven nicht in die deutsche Verfassung einzubeziehen, sei ein Grund dafür.

Gemeinsam ist es am schönsten: Angela Merkel und Dragqueen Olivia Jones Foto: Michael Kappeler/dpa

Eine Gruppe von Rent­ne­r:in­nen aus Lippstadt genießt die Sonne. Auch sie sehen die damalige Entscheidung kritisch. Auf Nachfrage erzählen sie, dass man von dieser Perspektive auf dem „Fest der Demokratie“ vor lauter Eis am Stiel und Tischkickern kaum etwas mitkriege. Immerhin: „Sächsische Spargel-Kartoffel-Suppe“ und „Bier-Chili con Chemnitz“ werden hier für 7,50 Euro aus einer Bude verkauft. Darüber hinaus verschwinden ostdeutsche Perspektiven, bis auf pflichtbewusste Bekundungen à la: „das ist die Verfassung aller Deutscher“ auf der Veranstaltung eher im Hintergrund.

Als Nächstes geht es zum Polaroids schießen, denn so kann man an einem der Stände ganz einfach „Gesicht zeigen für Demokratie“. Nach getaner Arbeit schlendern die Ret­te­r:in­nen der Demokratie Eis schleckend und gut gelaunt weiter. Auf die Anmerkung, dass die Verbreitung demokratiegefährdender Einstellung in Deutschland zwischen 2018 und 2023 stark gestiegen ist, wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung nahelegt, folgen ernstes Nicken und Ratlosigkeit. Nun ja, egal. Weiter geht es zur Tischtennisplatte, die Laune will man sich nicht verderben lassen.

Hat Justizminister Marco Buschmann etwa recht, wenn er sich mehr „Verfassungspatriotismus“ wünscht, wie kürzlich in einem Interview mit der Rheinischen Post geschehen? Der Pa­trio­tis­mus, den ein Großteil der Be­su­che­r:in­nen an den Tag legt, gilt scheinbar eher dem favorisierten Fußballverein, zahlreiche Leverkusen- und Kaiserslautern-Fans schlagen die Zeit bis zum abendlichen DFB-Pokalfinale hier tot. Auf die auf einer Tafel gestellte Frage „Wenn ich Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in von Brandenburg wäre, dann würde ich …“ folgen entsprechend Antworten wie „Leverkusen zum Meister machen“ (ob das auch dabei helfen kann, die AfD, die in Brandenburg laut aktueller Umfragen bei rund 25 Prozent liegt, einzudämmen?).

Fressbuden, Früchtebowl, Musik und Kindertheater ziehen immerhin recht viele interessierte Gäste an. Wer wird beim Knoblauchbrot von Knobi Bobby nicht schwach und ganz nebenbei vielleicht ein bisschen verfassungspatriotisch? Damit die Deutschen aber nicht zu feierwütig werden – bei der Performance von „Blinded by the Lights“, die die Polizeikapelle hinlegte, wippten einige gar wild hin und her – machte Justizminister Buschmann schon einmal klar: Ein weiterer gesetzlicher Feiertag passe wirtschaftlich nicht in die Zeit. Für das Abfeiern der Verfassung muss das dreitägige Demokratiefest wohl ­reichen.

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36 Kommentare

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  • Käptn Blaubär , Moderator*in

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Natürlich gibt es genügend Gesprächsbedarf und sehr viel zu tun, gegen die Feinde und das Aushölen der der Demokratie. Und natürlich täuscht der Schein der Beliebigkeit und der Volksfest Charakter darüber hinweg, dass ein Teil der Bevölkerung - und da sicher mehr in den neuen Ländern- mit dem Grundgestz fremdelt.



    Aber ernsthaft. Erstens sind die Gründe dafür wesentlich vielfältiger und die damalige Übernahme des GG für Gesamtdeutschchland eher nebensächlich für das Erstarken demokratiefeindlicher Kräfte in den letzten Jahren, als der Artikel suggeriert.



    Und zweitens hat auch niemand behauptet, dass so eine Feier Probleme lösen kann oder soll. Das GG und damit eng verbunden auch 75 Jahre Demokratie und Frieden ist natürlich trotzdem auch ein Grund zum feiern. Der Großteil der Menschheit wäre glücklich das zu haben. Und auch die meisten Ostdeutschen wissen das zu schätzen.



    Notorische Miesepeterei und ätzende Polemik bringt zumindest mal keinen Zentimeter Raumgewinn für gesellschaftlichen Zusammenhalt und demokratisches Bewußtsein.

  • Die Überschrift "Punktlandung im Banalen" passt ungewollt gut zum Inhalt des Kommentars. Angeblich fehlende "ostdeutsche Perspektiven " werden mehrfach angemerkt, ohne dass ausgeführt wird, was das sein soll. Es liegt im Wesen eines Grundgesetzes, dass es nicht spezifische Perspektiven oder Interessen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe abbildet, sondern allgemeingültig ist. Es geht um gesetzliche Regelungen, nicht um Gefühle.

    Es gibt natürlich auch gar keine Interessen, die alle Ostdeutschen gemeinsam haben, die Westdeutschen aber nicht. Es ist 30 Jahre nach der Wende doch gar nicht mehr wirklich möglich, von Ostdeutschen zu sprechen. Wer ist denn Ostdeutsch? Alle die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR leben, vom aus dem Westen gekommenen Unternehmer bis zum Dorfnazi aus Sachsen-Anhalt, von der amerikanischen Gaststudentin in Westberlin bis zur Stasi-Funktionärin, die der DDR nachtrauert? Oder alle die bis 1990 dort gelebt haben, auch diejenigen, die bald in der dritten Generation im schwäbischen Dorf wohnen?

  • Bei berechtigt ostdeutschen Einlassungen mit Verweis auf Verfassungsentwurf Zentralen Runden Tisches nach Berliner Mauerfall 9. November 1989, der nicht einmal in erster frei gewählten DDR Volkskammer 18.3.1990 zur Lesung kam gegen Grundgesetz (GG) Artikel 23 DDR Beitritt statt Art. 146 im Fall Deutscher Einheit, verfassungsgebende Nationalversammlung einzuberufen, Grundgesetzdurch neue Verfassung abzulösen, darf erinnert werden, dass weder DDR Bürgerbewegte noch westdeutsche SPD, Grüne, Anti AKW Bewegung nach Tschernobyl AKW Block 4 GAU 26.4.1986 mental auf dem Radar hatten, dass es außer ostdeutschen, Interessen osteuropäischer und 53 ehemals gegen Deutsches Reich 1939-1945 kriegführenden Ländern gab, die durch DDR Beitritt über GG Art. 23 statt Art.146 zur Deutscher Einheit 3.Oktober nach deutsch-deutscher Währungsunion 17.Juni 1990 über „2 plus 4 Format“ Sommer 1990 ausgebootet werden sollten, Fragen nach Friedensvertrag mit Deutschland, Reparationsforderungen, Entschädigung Überlebender der 12 Millionen Zwangsarbeiter 1939-1945 im Deutschen Reich, deutschbesetzten Teil Europas Nordafrikas völkerrechtliche Basis weiter vorzuenthalten, war Signal auf dem kein Friedenssegen lag

    • @Joachim Petrick:

      Zwei, drei Sätze mehr (auf gleicher Textlänge), hätten dieses Posting verständlich machen können...

      • @Normalo:

        die Quintessenz ist doch verständlich. Es gab formal weder Einheit noch Friedensvertrag, weil zu anstrengend und teuer.

    • @Joachim Petrick:

      Dass erster und letzter freigewählte DDR Außenminister Markus Meckel SPD in diesem Kontext Kampagne anstößt, bis 2025, 35. Jahrestag Deutscher Einheit 3. Oktober Art. 146 aus Grundgesetz zu streichen, fortbestehende Bestrebung nach Friedensvertrag Deutschlands mit ehemals 53 kriegführenden Ländern völkerrechtlich zu blockieren, ist politisch fatales Signal, auf dem kein Friedenssegen liegt eher nach Schlussstrich klingt. Wo hingegen Buchautoren Sturm laufen, Daniela Dahn u. a. und vielem mehr „Vertreibung ins Paradies“ 1998,in dem die Aufklärung nie vorbei gekommen sei, weil dort das Verbot herrsche, Früchte vom Baum der Erkenntnis zu pflücken und zu essen, Dirk Oschmann „Der Osten ist eine Erfindung des Westen“ 2023, beide in DDR aufgewachsen mit kritischen Beiträgen zu lesen in aktueller Der Freitag Ausgabe zu Grundgesetz Feierlichkeiten. Dabei bürgt GG Art. 146 Provisorischen Charakter Grundgesetzes, der unerwartet doch noch sinnstiftend sein könnte mit Blick auf eine zu erwartend kommende EU Verfassung evtl. Auf Basis Lissabon Vertrages?

      www.rnd.de/politik...BZP7NKMDYT2RI.html

  • "Diese Entscheidung wirkt bis heute nach. In einem der Festzelte erzählen drei junge Frauen, die für verschiedene ostdeutsche Initiativen tätig sind, dass viele Ostdeutsche sich auch heute, 35 Jahre nach der Wende, nicht zugehörig fühlen würden. Die Entscheidung, ostdeutsche Perspektiven nicht in die deutsche Verfassung einzubeziehen, sei ein Grund dafür."

    Was konkret hätte denn eine ostdeutsche Perspektive in einer Verfassung bedeutet?

    • @BrendanB:

      Da "wir" zur Wendezeit keinen Diskurs geführt haben, können "wir" nur spekulieren.

      Sie merken, was "uns" entgangen ist.

  • Unterhaltsamstes Überbleibsel der Veranstaltung m.E. der F.W.Steinmeier-"F*ckstern"-Dance Remix von Luksan Wunder.

    youtu.be/DG9CLkTkA...i=6NpasBFGIu3u0cOH

  • Das Grundgesetz ist eine sehr dynamische Verfassung, im Gegensatz zu vielen anderen Staaten, gibt es in Deutschland zahlreiche Veränderungen im GG seit 1990. Damit ist es anpassungsfähig und nie veraltet.



    1990 oder besser bereits Ende 1989 (Dezember: Kohl in Dresden) wurde deutlich, dass die Geschwindigkeit des Zusammenbruchs der DDR exponentiell zunahm: "Deutschland - einig Vaterland" kam als Slogan auf, Kohls 10-Punkte-Plan wurde begeistert aufgenommen, während im Oktober 1989 in Plauen es noch eine Einzeltat war (aus der DDR-Deutschland-Fahne den inneren DDR-Teil - Ährenkranz etc. - herauszuschneiden, so dass nur SCHWARZ-ROT-GOLD übrig blieb mit einem runden Loch in der Mitte) wurde es in Thüringen und Sachsen im Winter 1989/90 zur Winterlandschaft: Überall, in jeder Gartenkolonie, gab es hunderte oder tausende DDR-Fahnen ohne Innenleben, SCHWARZ-ROT-GOLD prangte ohne DDR-Bezug in Erfurt, Eisenach, Gotha und anderswo entlang der Eisenbahnstrecke und wohlgemerkt noch zu Zeiten der DDR!



    Dies war ein Fingerzeig, die meisten DDR-Bürger wollten einen LEGITIMEN und EFFIZIENTEN, also schnellen und reibungslosen ÜBERGANG zu "Deutschland und wählten deshalb Art. 23.

    • @Peter Stolz:

      Und jetzt zählen Sie mal alle Änderungen auf, welche davon Teilhabe und Mitspracherechte ausgeweitet haben.

      Hier die Lösung in Spiegelschrift: 0



      Bitte erst selbst suchen und dann vergleichen ;)

      Der Grund für die Nutzung der Beitrittsoption Art. 23 GG ist im übrigen plausibel und absolut nachvollziehbar und aus meiner Sicht auch absolut richtig gewesen. Und trotzdem stellt sich die Frage, warum man Art. 146 GG nicht im Nachgang trotzdem angewandt hat oder sich wenigstens das GG hat vom Volk als Verfassung in einem Referendum bestätigen lassen. Hätte gemeinsam, Einheit und wir gut zu Gesicht gestanden.

      Allerdings hatte man im Bundestag ja noch nicht mal das Vertrauen, die Deutschen zum Euro oder zur geplanten EU-Verfassung (2004) zu befragen. Offenkundig ist das Vertrauen in die Demokratie auch bei unseren Parlamentariern nicht besonders ausgeprägt. Seltsam nur, dass man sich da noch über die Einstellung in der Bevölkerung wundert!

    • @Peter Stolz:

      Demokratie und Verfassung dürfte dem Großteil der Ossis nicht annähernd so wichtig gewesen sein, wie Banane und Westmark. Es ging um einen schnellen und reibungslosen Übergang von "sozialistischer Mangelwirtschaft" zu "blühenden Landschaften". Volle Regale in den Läden statt Bückware. Ist ja im große und ganzen auch so geschehen.Nur die Details hat man sich doch etwas anders vorgestellt.

    • @Peter Stolz:

      Die wenigsten Anpassungen seit 1990 waren progressiv, die meisten dienten eher der Zementierung neoliberaler Technokratie.

      • @Wonko the Sane:

        Meisten, eher, …. Der Kommentar ist so unkonkret, dass er weder richtig noch falsch ist.

        • @Kasimir_Affe:

          Passt doch. "Gefühlte" Tatsachen stehen in der Bedeutung längst vor echten Fakten. Manchmal mehr, manchmal weniger offensichtlich.

  • Zählen sie dochmal ein paar ostdeutsche Perspektiven auf die im Grundgesetz fehlen. Oder ein paar westdeutsche Perspektiven die für Ostdeutsche nicht tragbar sind.



    Interessiert mich wirklich.

    Ich finde die Unterscheidung Ost/West mittlerweile genauso überflüssig wie Nord/Süd oder Ruhrpott/Ostseeküste.... von daher: Was fehlt für ein gesamtes Deutschland im Grundgesetz dringend?

    • @F. Tee:

      Ich sehe das genauso wie Sie! Danke!

    • @F. Tee:

      Der Einfachheit halber mal hier ein finde ich recht gute Erklärung des Problems.

      verfassungsblog.de...le-ostdeutschland/

      Das Sie nicht mal die reine Existenz spezifisch ostdeutscher Interessen anerkennen wollen, da Sie keinerlei Sinn in einer Unterscheidung mehr sehen, spricht ja bereits Bände. So war die Feier auch wieder eine rein westdeutsche Veranstaltung wie eigentlich immer.

      • @Šarru-kīnu:

        Spezifisch ostdeutsche Interessen? Welche wären das, die in die Verfassung gehören? Pekuniär gibts den Soli. Welche Sonderinteressen der ostdeutschen Länder von Verfassungsrang kennen Sie? Und wie konkret sollen die in eine Verfassung eingearbeitet sein?

        • @BrendanB:

          Den Soli können Sie ruhig stecken lassen. Das war eine Konjunkturmaßnahme für die westdeutsche Bauindustrie. Den können wir gern weiterführen für die nächsten 30 Jahre und mit den Einnahmen die wetsdeutsche Infrastruktur sanieren. Dann gehen aber 99% aller Aufträge an ostdeutsche Unternehmen. So ein Deal hätte uns auch damals schon mehr geholfen.



          Ich versuche mal die drei für mich wichigsten ostdeutschen Interessen von Verfassungsrang zu benennen.

          1. Ein Recht auf regionale Selbstverwaltung. Warum sind noch immer alle Leitungspositionen im ÖD in Ostdeutschland in westdeutscher Hand? Warum sind immer noch nur 15% der Richter von hier usw. ? Der Staat müsste hier verpflichtet werden gegenzusteuern

          2. Mehr Elemente direkter Demokratie als Lehre aus der friedlichen Revolution.

          3. Ein Recht auf Eigentum an Grundbesitz und Immobilien für die lokale Bevölkerung. Aktuell gehören fast 80% aller Immobilien im Osten Westdeutschen. Wir sind hier jetzt nur noch Mietzahler im eigenen Haus. Der Staat sollte hier verpflichtet werden gegenzusteuern und beispielsweise Erwerb von Immobilien nur bei vorhandenem Wohnsitz erlauben. Solche Schutzklauseln gibt es ja in vielen Ländern.

          • @Šarru-kīnu:

            Ich verstehe die drei Punkte, und gebe hier auch teilweise Recht. Nur geht das leider nicht so einfach.

            zu 1. Mit demselben Recht wie ein Ostdeutscher oder Süddeutscher in Ostfriesland Leiter eine Bank werden kann, darf ein Norddeutscher das in Sachsen werden. Wenn man hier anfängt gegenzusteuern, dann endet das in Quoten. Diese haben erhebliche Nachteile, und so einfach ist das leider nicht. Hätten sie denn die SED-bestimmten Richter der DDR gerne übernommen? Die wachsen ja auch nicht auf Bäumen....

            zu 2) Dieser Wunsch ist bei vielen Deutschen eine Idee. Ich persönlich mag das nicht, können wir gerne Gesamtdeutsch drüber abstimmen, oder eine Partei wählen die das unterstützt. Ich kann mich nicht entsinnen, das dafür mal jemand ernsthaft eine Initiative gezeigt hat.

            zu 3) Dann würde niemand mehr ins Eigentum in den Osten ziehen können, weil er ja keine lokale Bevölkerung ist. Ansonsten: Was hindert sie daran die Immobilien zu kaufen wenn sie frei sind, bzw. warum verkaufen ihre Landesgenossen nicht ausschliesslich an Ossis?



            Gegenfrage: Da wir ja EIN Land sind, würde das für alle gelten, also auch wenn Ossis nach Norden/Süden/Westen wollen. Macht das wirklich Sinn?

          • @Šarru-kīnu:

            Zu 1: Wie sollte man das denn normieren? Eine - hochgtradig diskriminierende - "Landeskinderregelung" ins Beamtenrecht?

            zu 2. Direkte Demokratie mag in Teilen der Bevölkerung Mode gewesen sein, aber wo ihre spezielle Heimat in Ostdeutschland zu finden sein soll, wäre mir schleierhaft. Eher ging es doch vielleicht darum, über Volksentscheide mehr Unanbhängigkeit vom Bund zu erlangen - ein Ansinnen, das ich eher als "von Bayern abgeschaut" bezeichnen würde.

            zu 3.: Der Umgang mit den massenhaften Enteignungen durch das SED-Regime brauchte keinen Verfassungsrang, um ziemlich aufwändig und differenziert ausgeformt zu werden. Das geschah auch, aber ja, je nach Fall blieb das ursprüngliche Eigentum "siegreich", manchmal fiel das Land seinen aktuellen Bewohnern zu.

            Wie sich die Lage in den vergangenen 35 Jahren entwickelt hat, war 1990 schwer vorauszusehen. Jetzt ex post zu mosern, fällt einwenig unter das Steinbrück-Zitat.

            Vergessen Si bitte auch nicht, dass die ehemalige DDR gerade mal soviele Einwohner hatte wie Nordrhein-Westfalen (oder Bayern und BaWü). Hätte man damals das Paket "Grundgesetz" aufgeschnürt hääten ALLE ihre Partikularinteressen auf den Tisch gepackt.

          • @Šarru-kīnu:

            Entweder ist das nichts spezifisch Ostdeutsches oder es hat nichts in der Verfassung zu suchen.

          • @Šarru-kīnu:

            Zu 1: Damals, nach der Wende gab es kaum hochrangige bzw. kompetente Ost-Verwaltungsexperten oder Juristen ohne lästige Verbindungen in die SED oder gar die Stasi. Verwaltungsgerichte gab's bekanntlich gar nicht. Richter werden nun einmal auf Lebenszeit ernannt und auch, wenn damals für viele mittelmäßige Juristen aus Westdeutschland die Glocken geläutet haben mögen, die nach der Wende Eingestellten müssen erst einmal pensioniert werden.

            Zu 2: Direkte Demokratie ist kein Allheilmittel. Oder wollen Sie dass dort, wo Bauernfänger à la AfD reüssieren, stimmungsgetragene Plebiszite zu aktuellen Aufregerthemen zur Entscheidung stehen?

            Zu 3: Wenn der alte Staat entschädigungslos Menschen enteignet hat, hat das nun einmal Folgen, wenn das rückabgewickelt wird. Im Übrigen wurde das "Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen" mit dem Grundsatz "Rückgabe vor Entschädigung" noch durch die Volkskammer der DDR beschlossen.

            de.wikipedia.org/w...rm%C3%B6gensfragen

      • @Šarru-kīnu:

        Na ich würde ja gerne drüber nachdenken, also her mit den spezifisch ostdeutschen Interessen!

        Und Andersrum gefragt: Welche spezifisch Westdeutsche Interessen sind denn im Grundgesetzt abgebildet, die Ostdeutschen gewaltig nerven?

        Ich meine die Fragen durchaus ernst, daher her mit den Antworten!

      • @Šarru-kīnu:

        Das scheint Ostdeutschland genau so gewollt zu haben. Und hey, wegen 100 Mark Begrüßungsgeld.... das war auch schon ein cooles Argument.



        Ich wage die Behauptung: Es würde genauso wieder kommen, selbst wenn alle mit den nun 35 Jahren Erfahrung per Volksentscheid abstimmen dürften. Also, für oder gegen was argumentieren Sie? Würde mich jetzt echt interessieren!

      • @Šarru-kīnu:

        Das stimmt einfach nicht. Der Bundespräsident erwähnte die Friedliche Revolution mehrfach - obwohl sie ja nun wirklich nichts mit dem Grundgesetz von 1949, also dem Jubiläum, zu tun hat.

        Nach 34 Jahren muss langsam mal gut sein. Es gibt absolut nichts im Grundgesetz, was Ostdeutsche irgendwie systematisch benachteiligt.

      • @Šarru-kīnu:

        Sorry, aber der link bestätigt doch nur die Meinung, dass alles gut so ist wie es ist.

        Ost und West wollten genau dieses Grundgesetz, und zwar sofort

  • Auch wenn das bereits der xte Artikel zur angeblich verpassten Chance einer neuen Verfassung ist, so verkennt der Autor - wie die vielen anderen vor ihm - dass es so eine Chance realistisch nie gab. In den alten Bundesländern hätte sich niemand damit befasst, zum Bayern heute noch darauf stolz ist, daß alte Grundgesetz nicht ratifiziert zu haben.

    • @DiMa:

      Sehr richtig, danke.



      Ich weiß noch gut als die ersten Trabbis im TV über die Grenze rollten ging meine Oma in den Keller Kartoffeln zählen weil "der Russe wiederkommt..."



      Gut, sie hatte ihre persönliche Odyssee zu Kriegszeiten mit 'den Russen', aber diese Grundhaltung war in Bayern soweit ich es mitbekommen habe schon allgegenwärtig - "sperrs Haus zu die Grattler kommen"



      Wenn ich das im Nachgang betrachte: es wurde gefeiert das Deutschland 'sein Land' zurückbekommen hat, aber die Menschen die 'auf unserem Land' lebten wollte man eigentlich nicht dazuhaben 🤷‍♂️



      Ich sehe Theo Waigel noch heute lebhaft vor mir: 'Mit der Kapitulation am 8. Mai 1945 ist das Deutsche Reich nicht untergegangen. Es gibt keinen völkerrechtlichen Akt durch den die östlichen Teile des Reiches abgetrennt worden sind' oder so ähnlich 🤔



      Für die jüngere Leserschaft mag diese Aussage völlig grotesk klingen, aber die "Deutsche Frage" ist für viele, damals wie heute, nicht beantwortet - schon gar nicht zufriedenstellend, der Großdeutsche Traum ist schwelt ewig weiter 🤷‍♂️



      PS hab ihn gefunden, den Theo: youtu.be/AL9KKVlcD...i=bdn3ou5_-ko5XL_g

    • @DiMa:

      Es ist vor allem völlig unnötig.

      Unsere Verfassung ist sehr gut. Es gibt überhaupt keine Notwendigkeit, eine neue zu finden. Was soll denn so ein drängender Missstand sein, dass man ihn nur mit einer ganz neuen Verfassung beheben kann?

      Dass irgendwelche DDR-Bürgerrechtler vor 34 Jahren mal enttäuscht waren?

  • In anderen Ländern hätte man das 75jährige Jubiläum des Staates viel größer gefeiert. Im ganzen Land, mit Volksfesten und Feuerwerken.

    Und ausgerechnet in Zeiten, in denen Deutschlands Demokratie einer großen Gefahr von rechts ausgesetzt ist, werden 75 Jahre Bundesrepublik mit einer Veranstaltung „gefeiert“, die selbst in Berlin kaum einer wahrnimmt.

    Peinlich.

    • @Suryo:

      Ich fand es sehr symbolisch, dass die Veranstaltung am Rande der im Aufbau befindlichen Fußball-Fanmeile stattfand. Zeigt doch sehr deutlich, wo die Prioritäten liegen.

      • @Mustardmaster:

        Zufällig kenne ich einige Menschen, die im Bundestag und in Ministerien tätig sind.

        Die Einladung zum Staatsakt verschickte das Bundespräsidialamt ca 2 Monate im Voraus. Ungefähr genauso lange hatte man Zeit, Staatsakt und Fest zu organisieren. Tatsächlich schien die ganze Bundesrepublik von ihrem eigenen 75. Geburtstag überrascht zu werden…

    • @Suryo:

      Solche Veranstaltungen des "Verfassungspatriotismus" galten (gelten?) den Linken doch als schlecht verdeckter Nationalismus und peinliche Lobhudelei auf die herrschenden Unterdrückungsverhältnisse.



      Die jetzige Verfassungsordnung soll ja auch von Linksaußen überwunden werden.