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Genderverbot an SchulenKampf für Gerechtschreibung

Sachsen und Sachsen-Anhalt untersagen geschlechtergerechte Sprache an Schulen. Doch einige Leh­re­r:in­nen widersetzen sich.

Gender-Erlasse schränken Grundrechte ein Illustration: Katja Gendikova

LEIPZIG taz | Fallschirmspringer:in, Chef*in, Tänzer_in, SchlagzeugerIn: Solche Schreibweisen darf Re­li­gi­ons­leh­re­r:in Noah Schmidt in ihren Unterrichtsmaterialien nicht verwenden. Auch muss sie Genderzeichen wie Doppelpunkt oder Sternchen als Fehler anstreichen, wenn ihre Schü­le­r:in­nen sie in Klassenarbeiten benutzen. Grund dafür ist, dass Schmidt an einem Leipziger Gymnasium unterrichtet – und das Gendern mit Sonderzeichen an Schulen in Sachsen seit zwei Jahren verboten ist.

Schmidt – kurzes braunes Haar, eckige Brille, dunkelblaues Hemd – gendert in Lehrmaterialien und Elternbriefen aber trotzdem mit Doppelpunkt. „Ich bin selbst nonbinär und möchte, dass sich alle Schü­le­r:in­nen in meiner Sprache wiedererkennen können – auch jene, die sich nicht als Mädchen oder Junge identifizieren“, sagt die 55 Jahre alte Lehrkaft. „Außerdem will ich meine Schü­le­r:in­nen damit zum widerständigen Denken ermutigen.“

Schmidt, die im Wohnzimmer ihrer Leipziger Altbauwohnung vor einem riesigen Bücherregal Platz genommen hat und an einem Yogi-Tee nippt, heißt eigentlich anders. Sie will anonym bleiben, so wie alle Lehrer:innen, die in diesem Text vorkommen. Schmidt möchte verhindern, dass ihr Schulleiter identifizierbar ist, die anderen Lehrkräfte haben Angst vor Konsequenzen.

Das Gendern mit Sonderzeichen an Schulen ist nicht nur in Sachsen untersagt, sondern auch im Nachbarbundesland Sachsen-Anhalt und, was viele nicht wissen, in Schleswig-Holstein. Weiter erlaubt ist in den drei Ländern hingegen, mündlich im Unterricht zu gendern. Die Erlasse beziehen sich allein auf die Schriftsprache.

Genderzeichen kein Kernbestand der deutschen Orthografie

Wie werden die Anordnungen in die Praxis umgesetzt? Halten sich Schü­le­r:in­nen und Leh­re­r:in­nen daran? Und welche Konsequenzen drohen, wenn sie trotzdem weiter Genderzeichen verwenden wie etwa Noah Schmidt aus Leipzig?

Sachsen ist das erste Bundesland, das verboten hat, an Schulen mit Sternchen, Doppelpunkt, Binnen-I oder Unterstrich zu gendern. Im August 2021 hat das CDU-geführte Bildungsministerium in Sachsen in einem Brief an alle Schul­lei­te­r:in­nen darüber informiert, dass Genderzeichen „weder die Kriterien für eine gendergerechte Schreibung“ erfüllten noch „den aktuellen Festlegungen des Amtlichen Regelwerks, welches die Grundlage für die deutsche Rechtschreibung bildet“, entsprächen. Daher seien die Zeichen „im Bereich der Schule“ nicht zu verwenden.

Zwei Wochen später hat Schleswig-Holsteins Bildungsministerium, das ebenfalls von der CDU geleitet wird, Genderzeichen an Schulen untersagt. Darüber wurde in der Presse allerdings kaum berichtet – ganz anders als über den Gender-Erlass, den das sächsische Bildungsministerium im Juli 2023 auf Kooperationspartner wie Vereine oder NGOs ausgeweitet hat. Beauftragt eine sächsische Schule nun einen Verein, um mit Schü­le­r:in­nen zum Beispiel über Antisemitismus, Sexualität oder die Klimakrise zu sprechen, dann darf dieser Verein der Schülerschaft keine Materialien mit Genderzeichen aushändigen.

Für noch mehr mediale Aufmerksamkeit sorgte Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner (CDU), als sie im August 2023 verboten hat, an Schulen in Sachsen-Anhalt Genderzeichen zu benutzen. Als Grund nannte Feußner einen Beschluss des Rats für deutsche Rechtschreibung von Juli 2023.

Sieben Bundesländer erlauben Genderzeichen an Schulen

Dieses Gremium gibt das sogenannte amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung heraus – an das alle Schulen in Deutschland gebunden sind. Der Rat teilte mit, dass sogenannte Wortbinnenzeichen wie Sternchen oder Doppelpunkte nicht zum „Kernbestand der deutschen Orthografie“ gehörten. Diese könnten zu grammatikalischen Folgefehlern führen, etwa bei den dazugehörigen Artikeln und Pronomen.

Während Sternchen, Doppelpunkte, Unterstriche und Binnen-Is an Sachsens Schulen zwar als Fehler markiert, aber nicht negativ bewertet werden, bekommen Schü­le­r:in­nen in Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein Punktabzug dafür. Genderzeichen werden dort in Klassenarbeiten „beim ersten Auftreten als Fehler und anschließend als Folgefehler“ markiert, wie beide Bildungsministerien der taz bestätigten. Das heißt: Verwendet eine Schülerin ihrer Klassenarbeit zwölf Mal das Gendersternchen, handelt es sich nicht um zwölf Rechtschreibfehler, sondern um einen.

Wie ist die Lage in den übrigen Bundesländern? Rheinland-Pfalz, Bremen, Berlin, Niedersachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland erlauben das Gendern mit Sonderzeichen in Schulen ausdrücklich.

„Gendergerechte Schreibweise, die nicht vom Amtlichen Regelwerk anerkannt wird, darf nicht als falsch bewertet werden, wenn sie in sich schlüssig angewendet wird“, teilte etwa die Berliner Senatsverwaltung für Bildung auf Anfrage mit. Das Bildungsministerium in Saarland betonte, dass es „gendersensibles Handeln, zu dem auch gendergerechte Sprache gehört“, befürworte. Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) sagte im Sommer: „Jugendliche, mit denen ich rede, nutzen die Gendersprache. Warum soll ich denen das jetzt verbieten?“

In Hessen bekommen Ab­itu­ri­en­t:in­nen ab 2024 Punktabzug

In Brandenburg und Bayern müssen Leh­re­r:in­nen Genderzeichen in schriftlichen Arbeiten als „Normabweichung“ markieren, sollen diese aber „nicht negativ bewerten oder in anderer Form sanktionieren“, wie die Bildungsministerien mitteilten. Im Grunde gelten dort also die gleichen Regeln wie in Sachsen. Schon 2021 hatte die damalige Brandenburger Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) betont, dass das Regelwerk der deutschen Rechtschreibung Genderzeichen nicht vorsehe – und daher nichts verboten werden müsse, „was gar nicht erlaubt ist“.

In Hessen bekommen Ab­itu­ri­en­t:in­nen ab 2024 Punktabzug, wenn sie in ihren Prüfungen mit Sternchen, Doppelpunkt, Binnen-I oder Unterstrich gendern. Das sagte das CDU-geführte Bildungsministerium der taz. Darüber hinaus gebe es in Hessen aber „keine verbindliche Regelung“ fürs Gendern an Schulen.

Das Bildungsministerien in Hamburg, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen verwiesen lediglich auf das amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung, das die Verwendung von Genderzeichen nicht vorsehe. Die Ministerien sprachen weder von einem Verbot noch von einer Erlaubnis.

Lilly Hartig, Vorsitzende des Landesschülerrates Sachsen, hat dieses Jahr Abi gemacht. An ihrer ehemaligen Schule in Limbach-Oberfrohna, einer 24.000-Einwohner:innen-Stadt bei Chemnitz, hätten kaum Lehrkräfte mit Sonderzeichen gegendert, erzählt die 19-Jährige – auch vor dem Erlass von 2021 nicht.

„Gendersternchen wurden mir nie rot angestrichen“

„Es war schon sehr fortschrittlich, wenn manche Lehrkräfte überhaupt neutrale Begriffe wie Schülerschaft benutzt haben“, sagt Hartig. Sie selbst habe ab und zu Gendersternchen verwendet, diese seien ihr aber „nie rot angestrichen“ worden. Viele ihrer Leh­re­r:in­nen hätten sich im Unterricht allerdings sehr abfällig übers Gendern geäußert.

Hartig hält das Genderverbot in Sachsen für falsch: „Es sollte jeder Person freigestellt sein, ob sie Genderzeichen verwendet oder nicht.“ Dieser Meinung sind auch die Landesschülervertretungen in Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.

Noah Schmidt, die nonbinäre Lehrerkraft aus Leipzig, erzählt, ihr Schulleiter habe den Gender-Erlass von 2021 „überhaupt nicht“ thematisiert. Erst nach den Sommerferien 2023 habe er das Kollegium in einem Nebensatz darum gebeten, „die Veröffentlichung vom 6. Juli“ zur Kenntnis zu nehmen. „Das war alles, was ich von ihm dazu gehört habe“, sagt Schmidt. „Er hat nicht mal den Namen des Erlasses erwähnt – was mich positiv überrascht hat.“

Sie selbst habe ihre Schü­le­r:in­nen zum Schuljahresbeginn über den Erlass informiert und betont, dass sie sich nicht daran halten werde. „Die Jugendlichen haben gesagt, dass es sie nicht stört, wenn ich weiter mit Doppelpunkt gendere, und sie mich selbstverständlich nicht verpfeifen werden“, erzählt Schmidt. Für ihre Schü­le­r:in­nen sei der Erlass kein großes Thema gewesen, „sie gendern eher weniger“.

Viele Leh­re­r:in­nen widersetzen sich dem Verbot

In ihrem Kollegium sticht Schmidt mit ihrer Entscheidung, Genderzeichen zu verwenden, hervor. Von ihren knapp 80 Kol­le­g:in­nen seien mindestens 70 Prozent gegen das Gendern, sagt Schmidt. Ihr Schuleiter toleriere zwar, dass sie sich nicht an den Erlass hält, „er hat mir aber klar zu verstehen gegeben, dass er Beschwerden nachgehen müsse, falls sich Eltern oder Schü­le­r:in­nen beschweren sollten“. Was genau das für Schmidt bedeutet – ob eine Abmahnung oder gar Entlassung –, wisse die Lehrkraft nicht.

Schmidt ist nicht die einzige Lehrerperson, die sich dem Verbot widersetzt. „In meinem Kollegium hat der Erlass für großes Schmunzeln gesorgt“, sagt eine 35 Jahre alte Lehrerin aus Sachsen-Anhalt am Telefon. Sie unterrichtet Geographie an einer weiterführenden Schule.

„Keine:r meiner Kol­le­g:in­nen würde einem Schüler einen Punkt abziehen, wenn er mit Sonderzeichen oder Binnen-I gendert“, sagt sie. Die Lehrerin verwendet trotz des Erlasses Genderzeichen, sowohl in Mails an Eltern als auch in Unterrichtsmaterialien. Sie vermutet, dass unter ihren Schü­le­r:in­nen zwei nonbinäre Personen seien. „Wir können uns nicht ‚Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage‘ nennen und dann Genderzeichen verbieten“, sagt die Lehrkraft. An ihrer Schule legten insbesondere Schü­le­r:in­nen ab der siebten Klasse „zunehmend Wert“ auf gendergerechte Sprache.

Ähnliches berichtet eine Gymnasiallehrerin aus Sachsen. „Ich habe ein paar Schüler:innen, die konsequent mit Sonderzeichen gendern“, sagt die 52-Jährige. „Neulich hat mich eine Achtklässlerin gefragt, ob ich etwas dagegen hätte, wenn sie Gott mit Sternchen schreibt. Ich habe ihr versichert, dass ich Genderzeichen niemals als Fehler markieren würde.“

Lehrerin aus Sachsen erfährt erste Konsequenzen

Die Lehrerin gendert an ihrer Schule seit 2017 mit Sternchen – bis heute. „Wir Lehrkräfte haben eine Fürsorgepflicht für nicht binäre und trans Schüler:innen“, sagt sie. Dann erzählt sie von einem trans Jungen, der ihr bei einem Abiball vor zwei Jahren gesagt habe, wie gerne er sich an ihren Unterricht erinnere, weil sie Arbeitsblätter mit Gendersternchen gehabt habe. „Das hat mich bestärkt, weiterzumachen“, sagt die Lehrerin und betont, dass manche ihrer Kol­le­g:in­nen ebenfalls Genderzeichen nutzten.

Welche Konsequenzen Leh­re­r:in­nen fürchten müssen, wenn sie sich den Anordnungen zum Gendern widersetzen, beantworten die Bildungsministerien ausweichend. „Dies wäre immer im Einzelfall zu betrachten, daher kann die Frage nicht pauschal beantwortet werden“, hieß es etwa aus Sachsen-Anhalt. Das sächsische Bildungsministerium teilte lediglich mit, Lehrkräfte würden „von der Schulleitung dazu angewiesen, entsprechend des Erlasses zu handeln“.

Juri Haas, Leiter der Landesrechtsschutzstelle der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Sachsen, kann hingegen sehr genau berichten, welche Folgen drohen. Er erzählt von einem Gewerkschaftsmitglied, das an einem Gymnasium in Sachsen unterrichtet und am Landesamt für Schule und Bildung (LaSuB) tätig ist. „Die Behörde hat der Lehrperson Sanktionen angedroht, weil sie aus pädagogischen Gründen weiter Genderzeichen verwendet“, sagt Haas.

Die Behörde habe angekündigt, ihr künftig eine spezielle Aufgabe im LaSuB zu entziehen, wenn sie sich weiter weigern würde, sich an den Gender-Erlass zu halten. Um welche Aufgabe es sich handelt, möchte Haas nicht in der Zeitung lesen, weil die Lehrkraft damit leicht zu idenzifizieren wäre – was wiederum ihren Job gefährden könnte. „Momentan ist der Fall noch nicht geklärt“, sagt Haas.

Gender-Erlasse schränken Grundrechte ein

Haas zweifelt die Rechtswirksamkeit des Erlasses an. „Er schränkt die Grundrechte von Lernenden und Lehrenden ein. Auf die Einhaltung ebendieser Grundrechte haben die Lehrkräfte jedoch einen Eid geleistet“, sagt er. Die GEW gewähre daher Rechtsschutz, wenn Leh­re­r:in­nen aufgrund der Gender-Erlasse sanktioniert würden.

Haas berichtet zudem, dass die Erlasse zu einer Verunsicherung an Schulen führten: „Durch vorauseilenden Gehorsam werden an den Schulen Aushänge der GEW abgehängt, Eltern bedrohen Lehrkräfte, die im Unterricht den Gendergap verwenden, queere Leh­re­r:in­nen fühlen sich kontrolliert und zusätzlich in die Ecke gedrängt.“

Noah Schmidt und die anderen Leh­re­r:in­nen wollen trotz möglicher Konsequenzen weiter mit Sonderzeichen gendern. „Wir dürfen uns nicht beugen, sondern müssen für unsere queeren Schü­le­r:in­nen da sein“, sagt Schmidt.

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