Bündnis Sahra Wagenknecht: Vernunft und Gerechtigkeit

Niedriglöhne, Umverteilung nach oben, öffentliche Daseinsvorsorge kaputt gespart oder privatisiert, neues Wettrüsten – es kann so nicht weitergehen.

Portrait von Sahra Wagenknecht.

Sahra Wagenknecht sieht Deutschland als ziemlich kaputtes Land Foto: Funke Foto Services/imago

Unser Land befindet sich in einer tiefen Krise. Viele Menschen machen sich Sorgen um ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder. Das Vertrauen in die Ampel-Regierung ist auf einem Tiefstand, doch nur eine Minderheit glaubt, dass die Union es besser machen würde. Aus Wut und Verzweiflung wählen viele AfD. Dafür gibt es Gründe: Unser Rentenniveau gehört zu den niedrigsten in Westeuropa. Statt in einen kompetenten Staat zu investieren, haben Politiker die Wünsche einflussreicher Lobbys bedient und die öffentliche Infrastruktur kaputt gespart und privatisiert.

Statt Leistung zu belohnen, werden viele Arbeitnehmer mit Niedriglöhnen abgespeist. In wichtigen Bereichen fehlen Fachkräfte, weil unser Bildungssystem, für das wir seit Jahren weniger Geld ausgeben als der Durchschnitt der OECD-Staaten, immer mehr junge Menschen ohne gute Ausbildung ins Leben schickt. Jetzt kürzt die Regierung auch noch die Mittel für die dringend nötige Qualifizierung von Arbeitslosen. Viele hatten die Hoffnung, dass die Ampel den Stillstand beenden und gesellschaftliche Probleme – von Wohnungsnot bis Kinderarmut – anpacken würde. Dass sie nach Jahrzehnten, in denen die Infrastruktur auf Verschleiß gefahren wurde, wieder in die Zukunft investiert.

Doch statt einer „Fortschritts­koalition“ kam mit der „Zeitenwende“ ein Rückfall in die Epoche des Wettrüstens und der Konfrontationspolitik. Mit Sanktionen, die uns vor allem selbst schaden, wurde unser Land von preisgünstiger Energie abgeschnitten. Stattdessen importieren wir nun teures Frackinggas aus den USA oder beziehen russische Energie teuer und klimaschädlich über Umwege wie Indien und Belgien. Im Ergebnis drohen die Abwanderung wichtiger Industrien und der Verlust hunderttausender gutbezahlter Arbeitsplätze.

Die Wohnungsnot in den Städten ist dramatisch, Krankenhäuser werden geschlossen, menschenwürdige Pflege wird mehr und mehr zum Privileg einer reichen Minderheit. Vor allem in ärmeren Wohngebieten verschärft die hohe Zuwanderung die Probleme an den Schulen. Das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft gilt nicht mehr, der persönliche Wohlstand hängt längst wieder vor allem vom sozialen Status der Eltern ab. Konkurrenzdruck, Egoismus, Aggressivität und Intoleranz im Umgang miteinander nehmen zu. Wir erleben eine zunehmende Verengung des Meinungsspektrums, in der kritische Stimmen ausgegrenzt und diffamiert werden.

Ich bin gemeinsam mit anderen zu dem Schluss gelangt, dass es so nicht weitergehen darf. Dass es einer politischen Kraft bedarf, die für eine Politik der wirtschaftlichen Vernunft, für soziale Gerechtigkeit, für Frieden und Diplomatie und eine offene Diskussionskultur einsteht. Wir wollen nicht länger zusehen, wie man uns in Kriege verwickelt, wie Unmengen an Waffen exportiert und Konflikte importiert werden. Wie unsere Industrie und unser Mittelstand aufs Spiel gesetzt werden. Wie von den Fleißigen zu den oberen Zehntausend umverteilt wird. Wir wollen den Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts stoppen und die Politik wieder am Gemeinwohl ausrichten. Um den wirtschaftlichen Abstieg unseres Landes zu verhindern, sind preiswerte Energie sowie mehr Investitionen in unser Bildungssystem, unsere öffentliche Infrastruktur und in kompetente Verwaltungen notwendig.

Undurchdachte Maßnahmen helfen dem Klima nicht; sie untergraben nur die Akzeptanz sinnvoller Klimaschutzpolitik

Die Veränderung des Weltklimas und die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen sind ernste Herausforderungen, die die Politik nicht ignorieren darf. Aber undurchdachte Maßnahmen helfen dem Klima nicht; sie untergraben nur die öffentliche Akzeptanz sinnvoller Klimaschutzpolitik. Der wichtigste Beitrag, den ein Land wie Deutschland zur Bekämpfung von Klimawandel und Umweltzerstörung leisten kann, ist die Entwicklung innovativer Schlüsseltechnologien für eine klimaneutrale und naturverträgliche Wirtschaft der Zukunft. Genau da fallen wir aber international zurück.

Mindestlohn von 14 Euro

Unser Land braucht milliardenschwere Zukunftsfonds zur Förderung innovativer heimischer Unternehmen und Start-ups, nicht Milliar­densubventionen für hochprofitable Konzerne. Wir wollen für fairen Wettbewerb sorgen, indem wir marktbeherrschende Unternehmen entflechten und Dumpingkonkurrenz unterbinden. Notwendig ist ein gerechtes Steuersystem, das verhindert, dass große Unternehmen und reiche Privatpersonen sich ihrem angemessenen Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens entziehen können. Notwendig sind eine erleichterte Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und ein Mindestlohn von 14 Euro.

Zugleich braucht unser Land einen guten Sozialstaat, der zuverlässig vor dem sozialen Absturz im Falle von Krankheit oder Arbeitslosigkeit und im Alter schützt. Statt 10 Milliarden Euro Steuergeld in eine spekulative Aktien­rente zu versenken, sollte das deutsche Rentensystem nach dem Vorbild Österreichs umgebaut werden, wo ein langjährig Versicherter im Monat fast 800 Euro mehr zur Verfügung hat.

Keine Sanktionspolitik

Die Privatisierung und Kommerzialisierung existentieller Dienstleistungen – Gesundheit, Pflege, Wohnen – muss gestoppt werden. Da private Wohnungsunternehmen im heutigen Zinsumfeld kaum noch bauen, müssen kommunale und gemeinnützige Anbieter übernehmen und durch zinsgünstige KfW-Darlehen unterstützt werden.

In der Außenpolitik streben wir eine Rückkehr zur Entspannungspolitik an. Als rohstoffarmes und exportstarkes Land sind wir auf gute Handelsbeziehungen zu möglichst vielen Ländern angewiesen. Auch deshalb lehnen wir die einseitige Sanktionspolitik ab. Zur Lösung drängender globaler Probleme braucht es mehr Diplomatie und internationale Kooperation sowie die Akzeptanz einer multipolaren Weltordnung – keinen Kurs der Aufrüstung und erneuten Blockkonfrontation, der Konflikte und Kriege anheizt und damit unser aller Zukunft aufs Spiel setzt.

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war bis vergangene Woche Mitglied der Linkspartei und von 2015 bis 2019 Co-Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Sie ist Vorstandsmitglied im Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht“, aus dem eine neue Partei hervor­gehen soll.

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