Neuaufstellung der Linkspartei: „Die Partei, die es jetzt braucht“
Nach dem Abgang von Wagenknecht demonstriert die Linkspartei Einigkeit. Fraktionschef Bartsch erklärt die Bundestagsfraktion aber für „politisch tot“.
Berlin taz | Auf der Treppe vor dem Berliner Franz-Mehring-Platz haben sie sich für die Kameras aufgereiht, die Spitzen der Linkspartei in Bund, Ländern und der Bundestagsfraktion. Sahra Wagenknecht hat sich verabschiedet – und die Linkspartei ringt an diesem Sonntag mit ihrer Zukunft. „Sie sehen unsere Partei heute in großer Geschlossenheit“, sagt der Co-Parteivorsitzende Martin Schirdewan. Man sei nicht nur „ge-, sondern auch entschlossen, die Linke wieder zu stärken und unserer Aufgabe wieder besser nachzukommen.“
Ende Oktober hatte Sahra Wagenknecht nach monatelangem Geraune die Gründung ihres Vereins „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) und ihren Austritt aus der Linkspartei verkündet. 2024 soll die Gründung ihrer eigenen Partei folgen. Mit Wagenknecht haben neun weitere Bundestagsabgeordnete die Linkspartei verlassen, darunter Amira Mohamed Ali, bis dahin noch Co-Fraktionsvorsitzende. Sie haben angeboten, bis zum Ende des Jahres Teil der 38-köpfigen Fraktion zu bleiben.
Es ist ein heikles Angebot: Für die Partei geht es nicht nur um eine Neuausrichtung, sondern darum, ob sie die kommenden Wochen und Monate überstehen wird. Denn mit dem Abgang der bislang zehn Bundestagsabgeordneten steht der Fraktionsstatus im Parlament auf dem Spiel – ebenso wie die Jobs von rund 100 Mitarbeitenden der Fraktion. Deren Verträge würden zu Ende März enden, wenn Wagenknecht und ihre Leute die Fraktion jetzt verlassen.
Einige, darunter Fraktionsvize Susanne Ferschl, hatten vor allem deswegen dafür plädiert, das Angebot anzunehmen. Die Fraktionsjobs müssten dadurch erst zum Juni gekündigt werden. Die Mehrheit aber befürwortet wohl eine sofortige Trennung. Auch, um mit einer Neuaufstellung glaubwürdig zu sein.
Sargnagel oder Chance
Mit dieser Frage werde man sich in der kommenden Woche beschäftigen, wiegelt Fraktionschef Dietmar Bartsch am Sonntag Nachfragen ab. Seine Einschätzung aber ist klar: „Diese Bundestagsfraktion ist politisch tot.“ Eine Fraktion werde es in „naher Zukunft“ nicht mehr geben. Die Linke aber werde im Bundestag vertreten bleiben – „in welcher Form auch immer“.
Ob der Bruch mit Wagenknecht und ihrer Gefolgschaft der Sargnagel der Linkspartei ist oder eine Chance, ist noch nicht beantwortet. Die Parteispitzen setzen auf Letzteres – und haben nun einstimmig ein Strategiepapier beschlossen, mit dem sie in die 2024 anstehenden Wahlen auf EU- und Kommunalebene sowie in den drei ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg starten wollen.
Aktuell schienen „die Krisen überall zu sein“, heißt es in dem Papier, das der taz vorliegt. Die Demokratie sei „zunehmend in Gefahr“. Diese Zeiten erforderten eine linke Partei, welche „die Eigentumsfrage stellt und den Mut hat, sich mit Reichen und Konzernen anzulegen, um den nötigen Umbau sozial zu gestalten“. Halb selbstkritisch, halb zuversichtlich heißt es weiter: „Wir können die linke Partei sein, die jetzt gebraucht wird. Wir werden zu ihr werden.“
Inmitten dieser Krisen setze die Ampel auf den „größten Sparhaushalt in der Geschichte der Bundesrepublik“, kritisiert Schirdewan am Sonntag. Die Linke fordere eine „grundlegend andere Wirtschaftspolitik“: Der Staat müsse den sozial-ökologischen und klimagerechten Umbau gezielt steuern und unterstützen, heißt es in dem Papier – etwa durch eine Industriestiftung, die gezielt Anteile relevanter Unternehmen erwirbt oder durch ein „Sondervermögen Bildung und Qualifizierung“, um Beschäftigten „sichere Perspektiven im sich wandelnden Arbeitsmarkt zu schaffen“.
Auch der Migrationspolitik der Ampel will die Partei eine „linke Opposition“ entgegensetzen: „Das Gerede von Grenzkontrollen löst kein Problem“, sagt Co-Parteichefin Janine Wissler. Stattdessen brauche es mehr Unterstützung für die Kommunen. „Wir haben kein Flüchtlingsproblem, sondern ein Verteilungsproblem.“
Leser*innenkommentare
Herbert Eisenbeiß
Einen Umbau der Wirtschaft und Klimapolitik macht bereits Rot-Grün, dafür braucht es die Linkspartei nicht.
Bei den Flüchtlingen weiter so wie bisher, und es gibt ein Verteilungsproblem: komisch, alle lokal daran Beteiligten in vielen Orten sagen und mahnen immer und immer lauter, dass es keine Wohnungen und Häuser für noch mehr Flüchtlinge gibt. Darunter solch unverdächtige Personen wie der grüne Landrat von Miltenberg.
Da frage ich mich schon, wohin da die Linke noch verteilen will.
Fazit: mit den genannten Themen wird die Linke in der Bedeutungslosigkeit versinken, denn entweder beackeren andere die Wunschthemen bereits, das auch länger und besser, und bei anderen Themen ist einfach die Linke realitätsfremd, und sieht nicht, was Sache ist.
Bürger L.
Es braucht gerade jetzt die Linke - und zwar genau DIE Linke und keine "one woman show".
In einer Zeit, in der die wenigen linken Kräfte innerhalb von SPD und Grünen auch noch untergebuttert werden, und die Verteilungs-Ungerechtigkeit in unserem Land mehr und mehr zum Randthema wird, ist eine funktionierende Linke Partei als Gegengewicht wichtiger denn je.
Neben dem Programm wird offensichtlich, ob es einem nun gefällt oder nicht, Medienpräsenz über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
Obwohl sie schon lange nicht mehr für "die Linke" sprach, war S.W. gern gesehener Gast in sämtlichen Talkrunden im TV. Sie stand auch in den Printmedien öfter im Mittelpunkt als sämtliche Spitzenleute der Linken.
Neben der inhaltlichen Arbeit sollte es jetzt auch um öffentlichkeitswirksames Eintreten für die aktuellen Sozialen Themen gehen. Die besten Ideen und Konzepte taugen nichts, wenn sie nicht wahrgenommen werden.
Also liebe Links-Politiker*innen, geht den Journalist*innen auf Bundes- Landes- und Regionalebene so lange auf die Nerven bis sie euch nicht mehr übersehen und überhören können.
Werdet konkret z.B. mit Aktionen bei Augabestellen der Tafeln sichtbarer.
Wie ich eingangs schon schrieb,es braucht gerade jetzt Die Linke als Korrektiv.
Andreas_2020
Natürlich ist die Linke jetzt geschlossen und wir stehen Seit an Seit, ach sorry, war das von der SPD.
Die Linke wird bei jeder Wahl gegen Sarah Wagenknecht und ihren Ehemann Oskar Lafontaine antreten müssen.
Obgleich Wagenknecht die Behauptung aufgestellt hat, dass sie ihre 'Partei' anders positionieren wird, wird diese Partei in ein scharfes direktes Konkurrenzverhältnis zur Linkspartei treten.
Und dann wird die Stimmung zwar immer noch demonsterativ 'geschlossen' sein, aber die Nerven werden blank liegen, weil man kein Genie sein muss, um zu verstehen, dass Wagenknecht die besten Chancen dort hat, wo die Linke momentan ihre Mandate holt.
In NRW wird das also sofort ums Überleben von Wagenknecht und der Linken gehen, in einigen Ost-Ländern könnte das zugunsten für die Linkspartei ausgehen, aber auch das ist nicht sicher.
Gerade in Sachsen, wo die AfD sehr stark ist, könnte Wagenknecht für Chaos sorgen und das könnte zu Lasten der Linkspartei gehen.
Dass die interne Losung der Geschlossenheit jetzt erstmal Gebot erster Stunde ist, ist zudem eine Selbstverständlichkeit, ob das wirklich reicht und ob das für eine gute Ausgangslage gegen Wagenknecht sorgt, da habe ich große Zweifel.
Wenn in einem Miniteich gleich zwei Gruppen fischen wollen, wird es eng und nur wenige werden einen Fang machen, das ist - glaube ich - nachvollziehbar.
Und vielleicht ist der Teich bald noch mal kleiner, weil die Bundesregierung ein Problem mit einem rechtsextremen Diskurs rund um Migration, Asyl, Sozialleistungen und Identitätsgefühle hat, sprich die Stimmung ist für die AfD, NPD (Heimat), Freie Wähler und alle, die nicht im Bundestag Regierungen stellen oder / und stellten.
Wenn Wagenknecht an diesem Diskurs teilnehmen will, wird sie sich schnell verbrennen, weil sie definitiv nicht auf ein rechtsextremes Profil aus ist, die Linke auch nicht, das belastet also beide Gruppen.
Ajuga
@Andreas_2020 "Obgleich Wagenknecht die Behauptung aufgestellt hat, dass sie ihre 'Partei' anders positionieren wird, wird diese Partei in ein scharfes direktes Konkurrenzverhältnis zur Linkspartei treten."
Das hängt vom Bodenpersonal ab.
BSW ist für einen bestimmten Persönlichkeitstypus interessant: für Ichlinge, die entweder meinen, Politik wäre allein dazu da, um ihren privaten Egoismus zu bedienen, oder um ihre privat ausgearbeiteten "Patentlösungen" umzusetzen.
Das hat bereits die Piratenpartei versenkt.
hedele
@Andreas_2020 Da Sarah Wagenknecht behauptet, man könne nationalistisch und sozial/sozialistisch sein (ein politisches Angebot, dass wir so seit knapp 80 Jahren in der Bundesrepublik nicht mehr hatten?), wildert sie sowohl im Lager der AfD wie in dem der Linken. Das ist also kein Problem allein der Linken. Im Unterschied zum BSW hat die AfD aber auch noch radikalen Demokratieabbau durch Volksentscheide über GG-Artikel, Straßenkampf und stramme Autokratie im Angebot. Das wird wohl ihr Alleinstellungsmerkmal bleiben..
Andreas_2020
@hedele Ich glaube Sarah Wagenknecht wird es schaffen, ein solides Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln, alleine der Personenkult und die Kombi mit Oskar Lafontaine sprechen dafür. Ob Sie wirklich Nationalismus und Sozialismus anbieten wird? Da wäre ich mir nicht sicher, aber sie bietet Populismus an, das ist wohl die Idee, ob sie die so umsetzen kann, dass ihre Partei es in der Wählergunst und damit in die Parlamente schafft?
Mustardman
Eine linke Partei, die sich bei freien Wahlen und unter den aktuellen Umständen in einstelligen Prozentbereichen der Wählerstimmen bewegt, macht ganz offensichtlich schon länger etwas grundfalsch. Das ist ein Fakt, den diese Partei als allerersten einfach mal einsehen sollte.