Antisemitismusvorwürfe gegen Hubert Aiwanger: „Freiflug durch den Schornstein“
Bayerns Wirtschaftsminister soll als Schüler ein antisemitisches Pamphlet verfasst haben. Dieser weist die Vorwürfe zurück, kenne aber den Verfasser.
Aiwanger dementierte am Samstagnachmittag die Vorwürfe entschieden. „Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend“, erklärte der Spitzenkandidat der Freien Wähler für die Landtagswahl zu einem Pamphlet, das bei ihm als 17-jähriger Schüler an seiner früheren Schule gefunden wurde. Der Verfasser des Papiers sei ihm bekannt, dieser werde sich selbst erklären.
Das Flugblatt ruft laut Süddeutscher zur Teilnahme an einem angeblichen Bundeswettbewerb auf: „Wer ist der größte Vaterlandsverräter?“ Teilnahmeberechtigt sei „jeder, der Deutscher ist und sich auf deutschem Boden aufhält“. Bewerber sollten sich „im Konzentrationslager Dachau zu einem Vorstellungsgespräch“ melden. Als erster Preis wird ausgelobt: „Ein Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz“.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger aufgefordert, Vorwürfe gegen ihn wegen eines antisemitischen Flugblatts aus Schulzeiten umgehend aufzuklären. „Diese Vorwürfe müssen jetzt einfach geklärt werden. Sie müssen ausgeräumt werden und zwar vollständig“, sagte Söder am Samstag am Rande eines Termins in Augsburg.
Aiwanger wolle gegen „Schmutzkampagne“ vorgehen
Die Süddeutsche Zeitung hatte über das Flugblatt berichtet. Über einen Sprecher teilte der Freie-Wähler-Chef der SZ mit, er habe „so etwas nicht produziert“ und werde gegen diese „Schmutzkampagne“ im Falle einer Veröffentlichung rechtlich vorgehen.
Zu dem von der SZ berichteten Flugblatt sagte Söder: „Es sind schlimme Vorwürfe im Raum. Dieses Flugblatt ist menschenverachtend, geradezu eklig.“
Auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur reagierte Aiwanger bis Samstagmittag nicht. Ein Sprecher der Freien Wähler sagte, Aiwanger und die Freien Wähler kommentierten „diesen Vorgang“ vorerst nicht. Aiwanger sollte ursprünglich auch zu dem Termin auf einem Volksfest in Augsburg kommen. Er war aber nicht erschienen.
Aus der Politik kamen umgehend aus fast allen Richtungen Forderungen nach Konsequenzen. Die SPD-Fraktion beantragte eine Sondersitzung des Bayerischen Landtags, der in der Sommerpause ist. SPD-Fraktionschef Florian von Brunn sagte laut einer Mitteilung: „Das Flugblatt ist Rechtsextremismus der untersten Schublade, das die Millionen Opfer des Holocausts und der Nazi-Diktatur auf das Übelste verunglimpft.“
„Rechtsextremismus der untersten Schublade“
Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katharina Schulze und Ludwig Hartmann sagten einer Mitteilung zufolge: „Wenn die Vorwürfe sich bewahrheiten, dann muss Markus Söder Hubert Aiwanger entlassen.“ Für die FDP forderte Fraktionsvorsitzender Martin Hagen: „Hubert Aiwanger muss sich persönlich erklären und die Vorwürfe ausräumen.“
Scharfe Kritik kam von SPD und Grünen. „Was sitzen da eigentlich für Leute in der bayerischen Landesregierung?“, fragte der SPD-Parteichef Lars Klingbeil am Samstag auf einem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen SPD in Münster. „Solche Leute gehören nicht in Verantwortung in diesem Land.“ Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dürfe dazu nicht schweigen.
Der bayerische SPD-Fraktionsvorsitzende Florian von Brunn bezeichnete das Flugblatt als „Rechtsextremismus der untersten Schublade“, der die Millionen Opfer des Holocausts und der Nazi-Diktatur auf das Übelste verunglimpfe: „Es ist unvorstellbar, dass ein Verfasser derartiger Zeilen im Bayerischen Landtag sitzt oder auch nur einen Tag länger ein öffentliches Amt in unserem Land bekleidet.“ Seine Fraktion werde deshalb deswegen unverzüglich eine Sondersitzung des Bayerischen Landtags beantragen.
Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze bezeichnete die Inhalte des Flugblatts als menschenverachtend: „Wer so denkt, schreibt und redet, zeigt seinen Antisemitismus klar und deutlich. Wenn die Vorwürfe sich bewahrheiten, dann muss Markus Söder Hubert Aiwanger entlassen.“
In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern fortsetzen zu wollen.
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