Christian Lindner beim FDP-Parteitag: Für ein nicht-linkes Deutschland
Christian Lindner ist mit 88 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Der Letzten Generation wirft er physische Gewalt vor.
Die Delegierten stehen auf und beklatschen den Mann, der die FDP nun schon seit 10 Jahren führt. Neben ihnen auf dem Boden, es ist nur ein kleines Detail am Rande, stehen weiße Geschenktütchen vom Deutschen Apothekerverband. Die FDP ringt um den richtigen Kurs in der Regierung und sie will offensichtlich zurück zu ihrem Markenkern. Zu dem, was sie „solide Haushaltspolitik“ nennen: Schuldenbremse, mehr Markt, weniger Staat. Nichts Überraschendes.
Und Christian Lindner hat immer noch ausreichend Rückenwind. Mit 88 Prozent der Stimmen wurde er am Freitagabend als FDP-Chef wiedergewählt. 511 Delegierte stimmten für ihn, 51 gegen ihn, 17 enthielten sich. Bei seiner Wahl 2021 hatte er 93 Prozent erreicht. Auch Wolfgang Kubicki wurde mit 72 Prozent der Stimmen erneut zum Vize-Chef gewählt. Die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger wurde mit 86 Prozent zur Vize-Chefin gewählt. Und Johannes Vogel wurde mit 71 Prozent als Vize bestätigt.
Es ist der zweite Parteitag der FDP, seit sie Teil der Ampelregierung sind. Und seitdem muss sie ihrer Wählerschaft erklären, warum. Denn viele in der Basis fremdeln mit der Koalition gemeinsam mit SPD und Grünen, in der die FDP zwar viel verhindern, aber auch nur wenig gestalten kann. Doch im Ton blieb Lindner zahm gegenüber den Koalitionspartnern, auch wenn er sie zu mehr Sparsamkeit aufforderte. Mehr als eine Billion Euro habe man voraussichtlich im nächsten Jahr an Steuereinnahmen. Dennoch reiche das Geld nicht, um bestehende gesetzliche Verpflichtungen zu finanzieren. „Die Politik muss neu lernen, mit dem Geld auszukommen, das die Bürgerinnen und Bürger ihr zur Verfügung stellen“, sagte Lindner.
Spitzen verteilte er eher in Richtung CDU. Man habe in der Vergangenheit zu viele neue Leistungen beschlossen, die nicht nachhaltig finanziert gewesen seien, kritisierte Lindner. „Jetzt kommt der Bumerang der unsoliden CDU-Finanzpolitik zurück.“ Die CDU kritisierte er auch für die jüngsten Überlegungen, den Spitzensteuersatz zu erhöhen und die Erbschaftsteuer zu reformieren. Ein No-Go für die FDP.
Keine Passatfahrer in Umverteilungsfantasien
Dennoch war Lindner stets bemüht, die FDP als die Partei darzustellen, die die Interessen „der hart arbeitenden Mitte im Blick hat.“ Am Dienstwagenprivileg will er unbedingt festhalten. „Wir werden weiter dafür sorgen, dass nicht die Passatfahrer ins Zentrum der Umverteilungsfantasien von anderen kommen“, versicherte er.
Richtig scharfe Worte fand Lindner, als er auf die Klimaaktivist*innen der Letzten Generation zu sprechen kam. Besorgt sei er, sagte er. Das Blockieren von Straßen und Autobahnen sei nichts anderes „als physische Gewalt“. Gewalt ist für Lindner offenbar, wenn das Auto nicht vorankommt. Zudem warf er den Aktivist*innen in Bezug auf die Forderungen Tempolimit und 9-Euro-Ticket vor: „Das sind ganz kleine Ideen – und dafür der große Ärger. Umgekehrt wäre besser.“
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nahm er ausdrücklich in Schutz. „Volker Wissing macht konkret mehr für den Klimaschutz als die Forderungen der Letzten Generation und der Klimakleber.“ Nur was genau verriet er nicht. Er lobte aber, dass nun die Sektorenziele beim Klimaschutz aufgeweicht werden, weil das mehr Marktwirtschaft beim Klimaschutz ermögliche.
Lindner scheute auch nicht die Streitthemen der Koalition. Stichwort Heizungsaustausch. Am vergangenen Mittwoch hatte das Kabinett dem Gebäudeenergiegesetz zum Austausch von fossilen Heizungen zugestimmt. Der Entwurf sei „noch nicht das, was am Ende vom Bundestag beschlossen werden sollte“, sagte Lindner nun auf dem Parteitag. Er hatte dies in ähnlicher Weise auch in einer Protokollnotiz formuliert. Es ist der Versuch, Regierungsdisziplin zu wahren und gleichzeitig das liberale Profil zu schärfen.
Lindner will in Bildungschancen investieren
Etwas selbstmitleidig klang Lindner, als er auf die Kindergrundsicherung zu sprechen kam. Zu Unrecht werde er in der Debatte als „kaltherzig“ oder als „Kinderhasser“ diskreditiert, beklagte er. Schließlich habe die Regierung bereits das Kindergeld und den Kinderzuschlag erhöht. Die Liberalen möchten dafür sorgen, dass die bestehenden Leistungen auch ankommen, aber diese nicht erhöhen. Stattdessen wolle er in Bildungschancen investieren.
Lindners Rede war eher zäh, als temporeich. Nur in den letzten Minuten nahm der Parteichef Fahrt auf. Es sei „nicht schlimm, wenn die FDP angegriffen wird für das, wofür sie steht. Schlimm ist nur, wenn die FDP angegriffen wird, weil sie für nichts steht.“ Und genau davon muss er die Basis überzeugen. Die letzten Landtagswahlen gingen nicht gut aus für die FDP. Dreimal scheiterten sie an der 5-Prozenthürde – im Saarland, in Niedersachsen und zuletzt in Berlin. Zwei mal verloren sie ihre Regierungsbeteiligung. In den Umfragen im Bund stehen die Liberalen derzeit bei rund sieben Prozent.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Strategien gegen Fake-News
Das Dilemma der freien Rede