Braunkohleabbau am Niederrhein: Das Dilemma der Grünen
Die Grünen haben als Anti-Kohle-Partei Wahlen gewonnen. In der Regierung lassen sie das symbolträchtige Dorf Lützerath abbaggern. Schadet ihnen das?
Sich jetzt der Parteidisziplin beugen? Für Grothus unmöglich. „Eine Räumung ist nicht zu vermitteln“, sagt sie, während im 30 Kilometer entfernten Lützerath die Polizei ihren Großeinsatz vorbereitet. Das besetzte Dorf soll abgebaggert werden, das ist Beschlusslage in Partei und Landesregierung – und seit Dezember auch Gesetz.
Jetzt rüsten sich in Lützerath Polizei und Aktivist*innen für das große Finale. Für den 14. Januar ist eine Großdemo angekündigt. Kurz danach, so die allgemeine Prognose, wird die Räumung beginnen. Die Polizei rechnet mit einem langwierigen Einsatz. Möglicherweise wird es sich über Wochen ziehen – und Bilder von der Abbruchkante liefern, die für die Grünen nicht gut aussehen. Immerhin kommt die Polizei auch in ihrem Auftrag.
Vor zwei Jahren gab es ähnliche Bilder aus Hessen, wo die schwarz-grüne Landesregierung den Dannenröder Forst für einen Autobahnbau räumen ließ. Damals konnten sich die Grünen rausreden: Er finde die Pläne selbst falsch, sagte sogar der grüne Wirtschaftsminister und Hardcore-Realo Tarek Al-Wazir. Die Entscheidung habe aber der Bund getroffen.
In Lützerath ist das anders. Die Räumung geht zurück auf eine Vereinbarung, die der grüne Vizekanzler Robert Habeck und die grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur mit dem Energieversorger RWE getroffen haben. Ein Parteitag hat dem Deal zugestimmt, im Bundestag gab es keine grüne Gegenstimme.
Entfremdung mit der Klimabewegung
Spitzen-Grüne finden die Pläne diesmal auch inhaltlich richtig. Sie verweisen zum Einen auf die Habenseite der Vereinbarung: Im Gegenzug für die Zerstörung von Lützerath werden fünf andere Dörfer erhalten. Der Kohleausstieg in NRW soll von 2038 auf 2030 vorgezogen werden. Zum anderen hält es gerade Vize-Ministerpräsidentin Neubaur aus Gründen der Energiesicherheit für nötig, dass RWE Zugang zu den mächtigen Kohleflözen unter Lützerath erhält. „Deshalb geht leider kein Weg daran vorbei, Lützerath zu räumen“, sagt sie.
Die Gegenseite hält mit Gutachten dagegen: Es gehe trotz Ukraine-Krieg und Energieknappheit auch ohne die Lützerath-Kohle. Werde sie verfeuert, könne Deutschland seine Klimaziele nicht mehr einhalten. Entsprechend groß ist der Frust in der Klimabewegung. Spricht man die Aktivist*innen im besetzten Dorf auf die Grünen an, kommen meist einsilbige Antworten zurück; man erhofft sich dort nicht mehr viel von ihnen.
Auch Dirk Jansen vom Umweltschutzverband BUND in NRW verbirgt seine Enttäuschung nicht. „Die Grünen können nicht mehr reklamieren, eine Anti-Kohle-Partei zu sein“, sagt er. Seit Jahrzehnten kämpft er gegen die riesigen, bis zu 400 Meter tiefen Tagebau-Löcher Garzweiler, Hambach und Inden.
Jetzt zieht er ein bitteres Fazit: „Der Schulterschluss zwischen Klimabewegung und Grünen ist verloren gegangen.“ Die Entfremdung macht Jansen auch an Austritten fest: Mitglieder seines Verbandes treten ihm zufolge aus der Partei aus, umgekehrt landen in der BUND-Geschäftsstelle Kündigungsschreiben von Grünen.
Aus der Opposition heraus arbeiteten die Grünen eng mit der Klimabewegung zusammen, profitierten bei Wahlen auch von deren Mobilisierungserfolgen. Es ist noch nicht lange her, dass sie selbst für den Erhalt von Lützerath stritten, oft im Ton großer Empörung über CDU und RWE. Kein Wunder, dass sich die Partner von einst jetzt von der Regierungspartei hintergangen fühlen.
Ein Risiko für die Glaubwürdigkeit der Grünen und am Ende vielleicht auch für ihre Wahlergebnisse? Offiziell gibt man sich gelassen, im Bund wie im Land. „Die Räumung eines Dorfs für einen Braunkohletagebau ist nie schön – und schmerzt mich auch persönlich“, sagt Wibke Brems, Fraktionschefin der NRW-Grünen. Eine Spaltung der Partei aber drohe „definitiv nicht“. In NRW wird erst 2027 wieder gewählt. „Wir treffen Entscheidungen nicht mit Blick auf Stimmungen, sondern mit Blick auf unsere langfristigen politischen Ziele“, sagt sie.
Grüne Jugend mobilisiert zu Protesten
Tatsächlich ist die Gelassenheit der Grünen aber nicht grenzenlos. Eine Eskalation in Lützerath, so hört man immer wieder, gelte es zu verhindern. Dass ein Grüner als Aachener Polizeipräsident für die Räumung verantwortlich ist, könnte helfen. Parteichefin Ricarda Lang ist schon im Oktober nach Lützerath gefahren, um sich dort in Ruhe zu erklären – ohne Kameras.
Nicht nur für die Außenwirkung ist die Räumung heikel, sondern auch nach innen. Auf dem Parteitag gab es eine heftige Debatte und die Mehrheit war dünn. Bewegte der Streit um die Atomkraft im Spätsommer vor allem ältere Grüne, sind jetzt auch die Jüngeren involviert, von denen viele überhaupt erst über die Anti-Kohle-Bewegung in die Partei gekommen sind. Die Grüne Jugend mobilisiert bundesweit für die Teilnahme an den Protesten in Lützerath. „Wir werden auch Teil von Sitzblockaden sein“, sagt Nicola Dichant, Sprecherin der Parteijugend in NRW.
Schon jetzt ist Kathrin Henneberger vor Ort. Die Bundestagsabgeordnete kommt aus der Antikohlebewegung und hat selbst einmal einen Sommer lang in Lützerath gezeltet. Seit 15 Monaten sitzt sie jetzt im Bundestag. Im Dezember hat sie nicht gegen den Kohlebeschluss gestimmt, sondern enthielt sich, nachdem sie in Verhandlungen immerhin Klauseln durchsetzen konnte, die Schlupflöcher für RWE verkleinern. Sie spricht auch nicht mehr davon, bei den Protesten selbst auf die Bäume zu klettern.
Falsch findet sie die geplante Abbaggerung aber immer noch. Und ob die Räumung der Partei schaden wird? „Ja, ganz ehrlich“, sagt Henneberger. „Im Bundestag erlebe ich, wie groß die Macht der Fossillobby ist. Dagegen brauchen wir die gemeinsame Kraft von Zivilgesellschaft und Menschen in Parlamenten. Eine Spaltung tut dem Ziel nicht gut“, sagt sie.
Ähnlich klingt Philip Hiersemenzel, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Energie, einer Art parteiinternem Thinktank. „Ich habe großes Verständnis für die Leute, die in Lützerath protestieren“, sagt er. Er hätte es für strategisch sinnvoller gehalten, den Konflikt zu befrieden. „Dann könnten Partei und Bewegung ihre Energie jetzt in die Energiewende stecken, statt sich miteinander zu beschäftigen.“
Immerhin: Dass in der sonst so geschlossenen Partei eine Unzufriedenheit gärt, ist spätestens durch die knappe Parteitagsabstimmung auch bei Spitzen-Grünen angekommen. Lützerath wurde durch diesen Warnschuss nicht mehr gerettet, Gespräche gab es im Nachgang aber so einige.
In die heiße Wahlkampfphase
Wenn sich zu Wochenbeginn der Bundesvorstand zu einer zweitägigen Klausur in Berlin trifft, wird die Energiewende einmal mehr Schwerpunkt-Thema sein. „Wenn 2022 nachvollziehbarerweise das Jahr der Energiesicherheit war, muss 2023 umso mehr zum Jahr des Klimaschutzes werden“, heißt es in der Ankündigung.
Für einen Schaden, der schon in wenigen Wochen droht, könnte das allerdings zu spät kommen. Am 12. Februar wird in Berlin die Wahl zum Abgeordnetenhaus wiederholt. Die Grünen hoffen darauf, mit Spitzenkandidatin Bettina Jarasch das Rote Rathaus zu erobern. Sorgen machen sich einige nun, weil die Lützerath-Räumung mitten in die heiße Wahlkampfphase fällt.
Lützerath ist von Berlin natürlich weit weg. Die Hauptstadt hat eigene Probleme, für die Masse wird die Räumung nicht wahlentscheidend sein. Das Rennen mit der SPD könnte aber knapp ausfallen und am Ende zählt vielleicht jede Stimme. So wie in Baden-Württemberg, wo es bei den Wahlen 2021 hauchdünn nicht zu Grün-Rot reichte – während mit der Klimaliste eine Kleinpartei um enttäuschte Grünen-Wähler*innen warb und immerhin 0,9 Prozent der Stimmen holte.
Auch in Berlin wird im Februar eine Klimaliste antreten. „Wir bekommen viel Feedback von Leuten, die beim letzten Mal noch grün gewählt haben und diesmal ernsthaft zweifeln“, sagt deren Sprecherin Denise Ney. „Lützerath werden wir im Wahlkampf auf jeden Fall zum Thema machen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um Neuwahlen
Inhaltsleeres Termingerangel
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Überwachtes Einkaufen in Hamburg
Abgescannt
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Linkspartei nominiert Spitzenduo
Hauptsache vor der „asozialen FDP“
Obergrenze für Imbissbuden in Heilbronn
Kein Döner ist illegal