Muezzinruf in Köln: Allahu Akbar, Nachbar!
Für vorerst zwei Jahre dürfen Moscheegemeinden in Köln zum Freitagsgebet rufen. Von den Kirchtürmen schallen Anklänge einer Leitkulturdebatte.
Lärmbelästigung rangiert gewiss in den Top-Ten der deutschen Ungemache. Und das zu Recht. Wer wohnt schon gerne unbeschallschutzmauert neben einer Schnellstraße oder sitzt ohne Noise-cancelling-Kopfhörer und fünf Milligramm Benzodiazepam zwischen Fußballfans in der Regionalbahn. Von Häuslebauereien in Eigenregie am Wochenende ganz zu schweigen.
Und darum gibt es in Deutschland – neben Schallschutzmauern – diese schönen Regelungen zu Ruhezeiten, wie etwa die Mittagsruhe. An die sich natürlich stets alle halten. Schockschwerenot also, dass in die schöne Mittagsruhe am Freitag nun künftig islamischer Gebetsruf erklingen soll. Ein entsprechendes Pilotprojekt hat die Stadt Köln nämlich kürzlich begonnen. Für eine Probezeit von zwei Jahren können Moscheegemeinden nun zum mittäglichen Freitagsgebet rufen.
Und weil man das mit der Lärmbelastung in Deutschland so ernst nimmt, geschieht das unter strengen Auflagen. Die Nachbarschaft muss vorher „mittels eines Flyers informiert werden“. Zudem muss jede Moscheegemeinde eine Ansprechperson benennen, falls Beschwerden kommen. Der Muezzinruf darf zudem nur freitags zwischen 12 bis 15 Uhr erklingen, und zwar maximal fünf Minuten lang. Bei der Lautstärke gebe es Höchstgrenzen.
Manch einer mahnt da jetzt deutschen Identitätsverlust
Und weil man sich hierzulande so sehr um Ruhestörung sorgt, sah sich die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker am Samstag auch gleich verpflichtet, das ganze Vorhaben gegen Kritik aus den sozialen Netzwerken zu verteidigen. „Köln ist die Stadt der (religiösen) Freiheit & Vielfalt“, schrieb Reker und verwies auf das allgegenwärtige Kirchengeläut.
Denn natürlich ging es den Kritiker*innen im Netz gar nicht um Lärm. Sondern um ein anderes Top-Ten-Ungemach der deutschen: die „Fremden“. Manch einer mahnt da jetzt deutschen Identitätsverlust. Bild ist bereits eingestiegen und vom Kirchturm her schallen schon wieder Anklänge einer Leitkulturdebatte, für deren Lärmbelästigung es keine Obergrenze gibt.
Am Ende der Muezzin-Probezeit von zwei Jahren will die Kölner Stadtverwaltung auswerten, welche Regelung auf Dauer gelten soll. Zwei Jahre Zeit also für akribische Ruhe- und Identitätsgestörte, Stadt und Moscheen mit Beschwerden über Gebetsruf-Überlängen zu bombardieren, bis die sich dann doch lieber eine App-Lösung besorgen. Die es für Stich- und Kreissägen auf der Nachbarterrasse leider nicht gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Fans angegriffen
Gewalt in Amsterdam
+++ Nach dem Ende der Ampel +++
Habeck hat Bock
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
Trumps Sieg bei US-Präsidentschaftswahl
Harris, Biden, die Elite? Wer hat Schuld?