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Soziologin über Konfliktsituationen„Polizei ist keine Lösung für Gewalt“

Melanie Brazzell plädiert mit „Transformativer Gerechtigkeit“ dafür, Sicherheit neu zu denken – und eigenverantwortlich für sie zu sorgen.

Ein ikonographisches Foto vom Juli 2016: Demonstration in Louisiana gegen rassistische Polizeigewalt Foto: reuters
Interview von Caren Miesenberger

taz: Frau Brazzell, Sie plädieren dafür, bei Gewaltvorfällen die Polizei nicht einzuschalten. Wieso?

Melanie Brazzell: Das hat verschiedene Gründe. Manche Menschen können oder wollen die Polizei in Konfliktsituationen nicht anrufen, weil sie sich dann selbst oder andere in ihrem Umfeld gefährden würden. Nach der Silvesternacht 2015/2016 in Köln forderten einige Organisationen als Teil der rassistischen Reaktionen einen besseren polizeilichen Schutz von Frauen. Dies nennen wir „Strafrechtsfeminismus“. Die Polizei ist aber keine Lösung für Gewalt. Im Gegenteil: Sie produziert und ermöglicht Gewalt. Diese Gewalt ist teils unsichtbar und normalisiert. Für Personen of Color oder Migrant*innen birgt ein Polizeieinsatz die Gefahr, dass es zu Racial Profiling oder Abschiebung kommt. Auch queere und Trans-Menschen erfahren oft Diskriminierung durch die Polizei. Häufig rufen Leute die Polizei, wenn sie sich in einer Krisensituation wiederfinden und auf diese nicht vorbereitet sind. Sie wollen die Verantwortung an den Staat abgeben. Wenn wir über Alternativen zur Staatsgewalt reden, müssen wir diese Verantwortung füreinander in unserem Umfeld übernehmen. Und uns auch weit im Voraus darauf vorbereiten, weil die Basis im Umgang mit solchen Situationen oft fehlt und viele Menschen damit überfordert sind.

Ist Selbstjustiz nicht gefährlich?

Ich arbeite mit den Konzepten „Transformative Gerechtigkeit“ und „Kollektive Verantwortungsübernahme“: Diese wurden von Frauen, nichtbinären und trans People of Color in den USA entwickelt. Die Wurzeln meiner Arbeit kommen aus diesen Communities, wo ich als weiße Frau selbst nur zu Gast bin. Sie zielen darauf, Sicherheit zu gewährleisten, ohne auf Bestrafung und staatliche Gewalt zu setzen. Nicht alles, was kollektiv organisiert ist, ist auf alle Situationen übertragbar. Rechtsradikale, die sich den Schutz vor sexualisierter Gewalt an Kindern auf die Flagge schreiben, entwickeln eigene Lösungsansätze, sind aber nicht emanzipatorisch. Eine Gruppe aus den USA, Generation Five, hat ein Buch zum transformativen Umgang mit Gewalt an Kindern herausgebracht. Ihre Feststellung ist: Es gibt Formen der Selbstjustiz und Rache, die nicht die grundsätzlichen Machtverhältnisse, die sexualisierte Gewalt an Kindern ermöglichen, angreifen. Diese Machtverhältnisse werden eher noch verstärkt. Selbstjustiz ändert nichts an den Wurzeln des Problems.

Angenommen, ich werde in der Disco sexuell belästigt. Was mache ich, statt 110 zu wählen?

Mein Ansatz ist nie, den Betroffenen Entscheidungsmöglichkeiten wegzunehmen, sondern Alternativen aufzuzeigen. Ich als weiße Frau hätte vielleicht bessere Chancen, mich mit dem Justizsystem auseinanderzusetzen. Aber da ich trotzdem das Gefühl habe, dass dieses System keine Heilung, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung bringen kann, würde ich nicht dort anrufen. Es geht konkret darum, Beziehungen und Skills aufzubauen. Mit den Leuten, mit denen ich unterwegs bin, gut zu kommunizieren, aufeinander aufzupassen und bedürfnisorientiert zu reagieren, also zu gucken, was die Menschen tatsächlich brauchen. Das könnte möglicherweise Deeskalationsstrategien oder Selbstverteidigung beinhalten. Ich empfehle, dass Freund*innen miteinander über mögliche Krisensituationen reden und Sicherheitspläne erstellen, bevor etwas passiert: Wie gehst du mit rassistischen Beleidigungen in der U-Bahn um? Was sollen wir machen, falls dein Ex wieder auf der Party auftaucht? Wie kann ich dich unterstützen? Gibt es Beratungsstellen oder andere Ressourcen?

Stichwort Partner*innengewalt: Ich bin zu Hause, höre in der Wohnung über mir einen lauten Streit. Plötzlich knallt es. Was kann ich tun, außer die Polizei anzurufen?

Wenn Gewalt in intimen Beziehungen passiert, gibt es viele Gründe, weshalb die Polizei nicht unbedingt eingeschaltet werden sollte: komplexe Beziehungsgeflechte, Abhängigkeiten oder dass der Fall möglicherweise vom Gesetz nicht als Gewalttat anerkannt wird. Für Menschen, deren Aufenthaltstitel von ihrer Partner*in abhängt, könnte es ganz gefährlich sein. Oder die Beziehung zu Kindern aufs Spiel setzen. Wenn ich wahrnehme, dass es Gewalt in meiner Gemeinschaft gibt, muss ich mir überlegen, wie ich kurzfristig und langfristig reagiere. Um bei dem Beispiel zu bleiben: Es ist gut, erst einmal bei anderen Menschen aus dem Haus zu klingeln und zu fragen, ob sie etwas gehört haben und ob sie etwas über die Situation wissen. Dann kann man zusammen hingehen und etwas sagen, Beziehungen aufbauen. Bei Partner*innengewalt ist es wichtig, zu verstehen, dass gut gemeinte Interventionen zu mehr Gewalt führen können. Daher muss der Kontext betrachtet und evaluiert werden.

Schützt das die betroffene Person dann unmittelbar?

Schutz vor staatlicher Gewalt: möglicherweise ja. Aber vor Beziehungsgewalt? Nicht unbedingt. Die Auswirkungen sind nicht zwingend einschätzbar. Es ist wichtig, das Umfeld der Person einzuschalten, zu mobilisieren und Unterstützung anzubieten. Ich arbeite ganz viel nach einem Modell von „Incite“, einem US-amerikanischen Netzwerk radikaler Frauen, nichtbinären und trans People of Color. Die waren die Ersten, die den Begriff „kollektive Verantwortungsübernahme“ geprägt haben. In ihrem Modell gibt es vier Bereiche: Unterstützung für Betroffene und Verantwortung für Gewaltausübende, das ist die zwischenmenschlichen Achse. Und die gesellschaftliche Achse mit Veränderung auf der gemeinschaftlichen Ebene und strukturellem Wandel. Um in diesen vier Bereichen etwas zu erreichen ist ein gewisser Grad Koordination notwendig. Unterschiedliche Menschen müssen zusammenarbeiten: Man muss die Gewalt ausübende Person konfrontieren oder in einem Änderungsprozess begleiten, die betroffene Person unterstützen und das Umfeld durch Präventionsarbeit sensibilisieren.

Im Interview: Melanie Brazzell

32, ist in den USA aufgewachsen und beschäftigt sich seit ­15 ­Jahren mit Trans­formativer Gerechtigkeit. 2011 gründete sie in Berlin das Transformative Justice Kollektiv. Derzeit promoviert sie in Soziologie in Santa Barbara.

Sie beziehen sich auf US-amerikanische Konzepte. Sind die eins zu eins auf Deutschland übertragbar?

Das Toolkit ist ein Versuch, aus queerfeministischer Sicht im deutschen Kontext für die Abschaffung von Gefängnissen zu argumentieren. In Deutschland ist das ­Gefängnissystem ein anderes als in den USA, aber auch hier ist der Sicherheitsapparat des Staates kolonialrassistisch und genozidial gewachsen. Unser Toolkit vereint Beiträge von vielen deutschen Organisationen, die wichtigen Widerstand gegen diesen Sicherheitsapparat leisten. Sie machen tolle gemeinschaftlich basierte Arbeit gegen ­Gewalt wie Racial Profiling und Grenzregime. Trans und queere Gemeinschaften of Colorüben diese Alternativen schon lange sowohl aus Not als auch aus einer Vision für einen besseren Umgang heraus miteinander aus.

Bieten Sie neben dem Toolkit, das Sie zum Thema Transformative Gerechtigkeit herausgegeben haben, auch Workshops an?

Mein Kollektiv, das „Transformative Jus­tice Kollektiv“, bietet Workshops und Prozesssupervision zu diesen Themen an. Da geht es darum, Leuten zu ermöglichen, füreinander zu sorgen und dies als ihre Verantwortung und politische Arbeit zu sehen. Wir haben das oft in weißen, linken Kontexten gemacht.

Wie gehen weiße, deutsche Linke mit Gewalt um?

Viele Gruppen sind total zerstört, wenn ein Fall sexualisierter Gewalt passiert. Ich habe den Eindruck, dass in der weiß-deutschen Linken der Fokus stark auf Ideologie, die richtige Position und eine akademische Analyse verschiedener gesellschaftlicher Verhältnisse gerichtet wird. Aber auf der zwischenmenschlichen Ebene fehlen oft ganz grundlegende Skills. Wie lebt man eine gute Beziehung? Wie übernimmt man Verantwortung, wenn man selbst Fehler ­gemacht hat? Die starke Moralhygienekultur führt dazu, dass Leute Angst haben, etwas falsch zu machen.

Wie äußert sich die Moralhygienekultur?

In den USA gibt es den Begriff calling out, dafür, wenn geoutet wird, dass sich jemand diskriminierend verhalten hat. Wenn die diskriminierende oder Gewalt ausübende Person eine Institution wie zum Beispiel den Staat oder eine Firma repräsentiert, ist ein kollektiver Umgang mit dem Vorfall keine Alternative. Aber wenn diese Person Teil der Gemeinschaft und Genoss*in ist, gibt es eine Idee von Ngọc Loan Trần. Sie heißt calling in und richtet sich an diejenigen in meinem Umfeld, von denen ich sage: Du und dein Lernprozess, ihr seid mir wichtig, daher versuche ich, dir zu erklären, warum dein Verhalten verletzend war, und dich zur Verantwortung zu ziehen. Nicht in einer Art, die auf Scham und Strafe und Moralhygiene zielt. Sondern anerkennend, dass du dieses Verhalten irgendwo gelernt hast und auch wieder verlernen kannst.

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107 Kommentare

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  • Gefängnisse abschaffen finden wir gut

    LG

    Eure daltons

  • „Die Wurzeln meiner Arbeit kommen aus diesen Communities, wo ich als weiße Frau nur zu Gast bin."

     

    So weit ich das überblicke ist die Arbeite mit den Konzepten „Transformative Gerechtigkeit“ keine spezielle an eine Hautfarbe gebundene Arbeit. Die Ursprüng des Begriffs „Transformative Gerechtigkeit“ Ligen übrigens bei zwei Quäkerinnen, Ruth Morris (https://en.wikipedia.org/wiki/Ruth_Morris) und Giselle Dias.

    • @Rudolf Fissner:

      Ich denke auch, dass hier im Interview nicht deutlich herausgestellt wird, dass es bei „Transformativer Gerechtigkeit“ verschiedene unterschiedliche Ansätze gibt.

       

      Die Darstellung der Bandbreite ist mager und die politische Positionierung der hier vorgestellten Konzepte wird nicht klargestellt. Und welche Unterschiede gibt es?

       

      Wie arbeitet das Transformative Justice Kollektiv Berlin, in dessen Umfeld das Toolkit entstand mit kirchlichen Initiativen, die das Konzept ebenfalls verfolgen, zusammen? oder sind hier wieder einmal ACaBantikapitalistische, antireligiöse Gräben die dominierenden Faktoren?

  • Das Grundproblem ist doch nicht das Gewaltmonopol des Staates sondern der Missbrauch dieses Gewaltmonopols. Die Idee dieses Gewaltmonopol in Frage zu stellen, ist allerdings in den USA weit verbreitet. Diese Bewegung ist ultrakonservativ und steht hinter dem Recht zum Tragen von Waffen und steht auch hinter diesem Beitrag. Selbstjustiz ist problematisch. Egal ob das mit einer Schußwaffe oder einem Outing auf Social Media geschieht. Die davon betroffenen Menschen haben kein faires Verfahren. Gerade wenn nur noch auf den Horizont des vermeintlichen Opfers abgestellt wird, bleibt nicht nur die Gerechtigkeit auf der Strecke. Vielmehr geht dies in die Richtung von Bandenkriegen und Familienfehden. Wer sich verletzt fühlt, schlägt zurück. Der so getroffene fühlt sich ungerecht angegriffen und erwidert den Kampf mit dem gleichen Argument.

    Wer von seiner Partnerin oder seinem Partner verlassen wird, fühlt sich häufig verletzt. In diesen Situation aber Möglichkeiten zur Vergeltung anzubieten ist hoch problematisch.

  • Vielen Dank für die lustige Diskussion. Endlich mal wieder ein Beitrag bei dem Artikel und Forum Spass versprochen haben und knallhart geliefert wurde.

     

    Meiner Meinung nach sollte die gute Frau mal Ihren Latte Machiatto mal ausserhalb vom S Bahn Ring trinken gehen. Von wegen Realitätskontrolle.

     

    Und als universell gültige Lösung schlage ich vor...

     

    Spass beiseite, mal dran gedacht zur Polizei zu gehen um den Status quo zu verändern? Da kann man sich super den ganzen Tag lang mit prügelnden Arschlöchern unterhalten und wildes rumtheoretisieren kann einem dann auch nicht mehr vorgeworfen werden.

  • "Die Wurzeln meiner Arbeit kommen aus diesen Communities, wo ich als weiße Frau nur zu Gast bin."

    Warum ist dies anscheinend völlig unproblematisch während Sarah Wagenknecht als Rassistin beschimpft wird wenn sie vom Gastrecht spricht?

    Was Frau Brazzell fordert läuft leider in der Realität auf das Recht des Stärkeren hinaus und funktionierte nur dann wenn es ausschließlich gute Menschen gäbe.

  • "Das finde ich aber sehr widersprüchlich, einerseits linke Kritik mit dem Wort "böse" zu verknüpfen, aber andererseits selbst ungebrochen ans "Böse" zu glauben."

     

    Bitte nehmen sie doch zur Kenntnis, daß die Linke Sichtweise wonach Rechte grundsätzlich böse sind oder sein wollen genauso falsch wie das Umgekehrte ist.

     

    NIEMAND steigt morgens aus dem Bett in dem Willen was Böses zu tun.

     

    Ich glaube nicht "ungebrochen an das Böse". Ich sehe nur, daß Menschen einfach nicht in der Lage sind immer und überall gut zu sein, wenn man ihnen nicht Grenzen aufzeigt.

     

    In der Praxis läuft es (nur wenig vereinfacht) doch so:

    Wenn Linke Hierarchien und Repression (etwa: Polizei, Gefängnisse) sehen, sehen sie ein Problem.

    Wenn Rechte ein Problem sehen, sehen sie Bedarf für (mehr) Hierarchien und Repression.

     

    Melanie Brazzell vertritt hier in wirklich schöner und klar verständlicher Weise die reine (linke) Lehre und entwickelt einen Weg das Ziel einer aggressionsfreien Gesellschaft zu erreichen. Schon die Tatsache, daß ein Großteil der

    Diskussionsteilnehmer hier gar nicht verstehen worum es bei dem Interview überhaupt geht ist doch bemerkenswert und läßt das Ziel an sich schon mal richtig schlecht aussehen. Wenn schon die taz-Leser da nicht mitkommen....

     

    @Wolf Haberer

    Wer meinem "letzten Absatz" (Menschen KÖNNEN nicht immer gut sein) zustimmt ist damit für die linke Sache für immer unwiderruflich verloren.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @Werner W.:

      .

      ".....ist damit für die linke Sache für immer unwiderruflich verloren."

       

      Das ist sehr gut möglich. Da es aber DIE linke Sache nicht gibt, besteht noch Hoffnung.

       

      "NIEMAND steigt morgens aus dem Bett in dem Willen was Böses zu tun."

       

      Wie Sie darauf kommen, ist sehr, sehr rätselhaft.

       

      Nur ein einziger Name sei hier genannt: Amon Göth

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Werner W.:

      Was heißt denn "böse"?

      Mit "richtig" und "falsch" kann ich ja sprachlich umgehen. Auch mit "wahr" und "falsch" und sogar mit "gut" und "schlecht". Aber mit "gut" und "böse" kann ich nichts anfangen.

      Erklären sie doch mal, was "böse" ist, im Gegensatz zu "falsch" oder "schlecht". Ich verstehe diese religiöse Vokabel einfach nicht. An eine "Hölle" oder ähnliches glaube ich nicht. Ich habe ja noch nicht mal rausfinden können, was mit "Gott" nun gemeint ist. Was soll denn das sein, das "Überirdische"?

  • Das US-amerikanische Polizieisystem und sein Umgang mit Gewalt kann überhaupt nicht mit der deutschen Polizei in Deckung gebracht werden. Daher sind diese Denkansätze auch überhaupt nicht übertragbar.

     

    Bevor frau solche schräge Thesen in die Welt setzt, empfiehlt sich ein Praktikum in einer deutschen Polizeiwache und in einem Gefängnis.

     

    Im übrigen klingt das sehr nach jemanden, der seinen Badboy mal im Knast besuchen musste und das total ungegerecht fand ...

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Ich habe mir das Toolkit angesehen und ich muss den krassen Unterschied zwischen dem Interview und dem Toolkit bemängeln.

     

    Es wird zwar ein komplementäres Dispositiv zur Diskursmacht entwickelt, das die Schwächen des Definitionsmacht-Dispositivs (kurz: Defma) korrigieren soll. Dabei wird aber ein Grundeinwand gegen Defma, dass Menschen auch lügen können, wenn sie sagen, Opfer geworden zu sein, einfach vom Tisch gewischt, weil mit einem ad-hominem-Argument den Menschen, die diesen Einwand machen, höhere politische Motive unterstellt werden.

    Außerdem kann mit dem Konzept der Defma jede (!) Handlung einfach als Gewalt definiert werden, weil das Gefühl der*des "Erlebenden" dafür ausreicht. Defma ist ein tendenziell totalitäres Recht.

     

    Verharmlosend finde ich es, wenn davon geschrieben wird, "Erlebende" hätten eine sexuelle Belästigung "überlebt".

    Sich beschweren, wenn eine Zeitung (wie die Bild oder die LVZ) eine Vergewaltigung "Sextat" nennt, aber eine sexuelle Belästigung oder gar eine Vergewaltigung ein "Erlebnis" nennen - das ist noch viel verharmlosender! Da wird Sextourismus zum "Erlebnisurlaub" umstilisisiert und das soll dann emanzipativ sein?

    Verharmlosend ist auch das Wort "überlebt" für Situationen, bei denen bei weitem keine Lebensgefahr bestand, wie einer dummen Anmache (sexuelle Belästigung). Ich frage mich, wie mensch diesen Sprachgebrauch im intersektionalen oder syndikalistischen Handeln etwa Menschen vermitteln soll, die über das Mittelmeer in überfüllten Booten hergekommen sind oder in Gulag-ähnlichen Lagern etwa in Libyen eingesperrt sind.

     

    Es wird ferner in der Veröffentlichung gefordert, ein sog. Kollektiv solle eine einheitliche theoretische Auffassung haben und vertreten. Solchen Kollektivismus lehne ich ab. Kritik ist notwendig zum Denken.

     

    Bei all diesen kruden totalitarismusnahen Logiken will ich den Verfasser*innen dann doch mal Hannah Arendt ans Herz legen.

    https://www.transformativejustice.eu/de/das-risiko-wagen-unser-zine-jetzt-online/

    • @85198 (Profil gelöscht):

      "Defma ist ein tendenziell totalitäres Recht."

      Aja? Schießen Sie damit nicht weeeit über das Ziel hinaus? Wie ordnen Sie denn das vorherrschende Recht ein?

       

      Falls sich jemensch über Definitionsmacht und die Hintergründe belesen möchte. Hier geht es zu FAQ: http://defma.blogsport.de/f-a-q/

       

      Ich denke, mensch sollte, den betreffenden Menschen, die Sprache akzeptieren, mit denen sie ihr Erlebtes beschreiben und micht einfach das eigene Sprachverständnis denen überstülpen - insbesondere aus privilegierter Sicht ist dies problematisch. Das wirkt dann paternalistisch. An sich würde ich da auch nicht normativ herangehen. Es gibt ja auch Betroffene, die sich für eine andere Sprache entscheiden.

      Ein Artikel zum Diskurs um Sprache bezüglich sexualisierter Gewalt. Darunter gibt es auch Links zu weiteren Texten: https://maedchenmannschaft.net/opfer_diskurs-zeit-fuer-mut-zum-perspektivwechsel/

      • 8G
        85198 (Profil gelöscht)
        @Uranus:

        Trotzdem kann sich niemand einfach gegen Kritik immunisieren.

         

        Es gibt in dem Konzept keine wirkliche Abbruchbedingung. Es gibt keinerlei Körperzonen oder Bewegung oder Berührungen, die einfach unverdächtig sind. Im Queer-Feminismus ist alles potentiell politisch. Das habe ich auch als theoretischen Ausgangspunkt.

        Was passiert aber, wenn eine Frau per Defma definiert, dass Penetration sexualisierte Gewalt ist? Ist es dann nur eine Sache der Zahl ihrer Unterstützer*innen?

        Über die Gewalthaftigkeit der Penetration hat ja z.B. Deleuze auch schon geschrieben. Dass der Penetration Gewalt innewohnt, ist für mich als Philosophen eher trivial. Die Geräusche allein machen das sehr deutlich. Auch Nietzsche hat schon darauf hingewiesen, dass es nur eine Frage der Sensibilität ist, ob Gewalt als solche wahrgenommen wird. Wenn es also etwa beim Sex etwas grob wird - das kann von beiden Seiten ausgehen - dann hat jede*r Mensch andere Grenzen, ab wann z.B. Penetration gewalthaft erfahren wird. Deswegen bleibe ich doch bei Foucaults Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdmacht und betone, dass Selbstmacht besonders darin liegt, die eigenen Grenzen deutlich zu machen. Niemand kann Gedanken lesen.

        So wichtig aber die Definition eigener Grenzen ist, ist damit nicht die Frage danach geklärt, wann ein Übergriff stattgefunden hat. Das kann nicht einfach die Person definieren, die sich als Opfer empfindet. Wenn jemand im obigen Beispiel auf eine Aufforderung nicht reagiert, es ruhiger angehen zu lassen, dann macht die Rede vom Übergriff Sinn oder wenn er*sie sich so extrem verhält, dass zu erwarten ist, dass er*sie es weiß, dass dieses Verhalten schmerzt.

        Mir wurde auch von einer Ex-Freundin meistens beim Sex wehgetan, weil sie so grob war, aber ich habe nie etwas gesagt. Sie konnte das auch nicht wissen. Mich da hinterher auf eine Definitionsmacht zu berufen und ihr eine Übergriffigkeit zu unterstellen, ist für mich keine schlüssige Handlung.

        • 8G
          85198 (Profil gelöscht)
          @85198 (Profil gelöscht):

          Im Rahmen meiner Selbstmacht liegt es, einen Diskurs herzustelen und genau zu beschreiben, was passiert ist. Dann ist es aber eine Frage kritischer Analyse und gegenseitiger Anerkennung im Diskurs, ob sich dieses Verhalten meiner Ex-Freundin als übergriffig definieren lässt oder ob ich auf meine Selbstmacht zurück verwiesen werde, in deren Rahmen ich meine Bedürfnisse hätte formulieren sollen. Auf keinen Fall kann ich sie im Nachgriff zur Verantwortung ziehen, wenn ihr Verhalten zum Zeitpunkt des Ereignisses nicht als übergriffig definiert war. Das wäre dann tatsächlich ein totalitäres Recht. Leider wirkt gerade in ideologisch homogenen kleinen Gruppen, wie sie im verlinkten Text gefordert werden, erfahrungsgemäß eine Gruppendynamik ab, die sich an der eigenen Gruppenidentität radikalisert. Deswegen werden solche Kollektive auch in der Kritik identitär genannt. Ich kann es nicht verstehen, wie eine Soziologin so etwas unterstützen kann. Auf persönlicher Ebene bin ich damit auch konfrontiert und es ist schwer solches Denken aufzubrechen. Es bedarf einer gewissen Zuhörbereitschaft zum kritischen Diskurs und dazu muss eine Position auf Augenhöhe erreicht werden. Das Interview geht in die richtige Richtung, aber leider werden die Ansätze auf theoretischer Ebene immer noch mit einem Schwarz-Weiss-Denken ausgeführt. Dann heißt es, die Anderen wären farbenblind.

    • @85198 (Profil gelöscht):

      Gegenstand identitärer Politik ist nicht der Praxiserfolg von politischen Forderungen oder Konzepten in der Mehrheitsgesellschaft, sondern die Gruppenkohäsion des eigenen Identitär verstandenen Millieus. Sprache dient hier nicht dem Diskurs, sondern der Definition von In- und Outgroup.

  • Endlich mal ein wissenschaftlich fundierter Beitrag.

    • @Demokrat:

      Der theoretisch sicher absolut richtigen Schlussfolgerung, sollten die Vorschläge auch transformiert werden. Ein guter Ansatz wären hier sicherlich feldstudien um die Theorie zu bestätigen. Thema gefägnis: die Autorin könnte hier sicherlich einen längeren Versuch mit serienvergewaltigern machen, um hier die Praxis mit der Theorie in Einklang zu bringen. Danach wäre nur noch feinabstimmung notwendig.

      • @Demokrat:

        Nur damit ich das verstehe: ist „Demokrat“ ein kollektiv genutzter Account (a la Bugmenot.com), oder führen Sie hier schizophrene Selbstgespräche?

        • @hup:

          Anstatt Beleidigungen könnten sie auch sachliche Beiträge zum Diskurs beitragen.

  • In Absurdistan

     

    "Die Polizei ist aber keine Lösung für Gewalt. Im Gegenteil: Sie produziert und ermöglicht Gewalt. "

    Demnach ist die Polizei Schuld an Verbrechen. Die Täter nicht.

    Folglich muss sie bestraft werden. Durch eine Art Polizei für die Polizei...

    Wenn man also die Polizei abschafft, dann gibt es keine Gewalt mehr oder zumindest weniger. Erkennbar absurd und lebensfern...

    Was soll also ein solches Interview?

    Und das nennt sich Forschung und wird bezahlt.

    • @Hartz:

      Klar, ist die Polizei Schuld an Verbrechen: Polizeigewalt, Racial Profiling, Durchsetzung von Wohnunsräumungen und Abschiebungen, Schutz von Faschist_innen und Kapital... Einiges davon führt ja auch Melanie Brazzell im Interview auf, weswegen sie ja auch für Transformative Justice plädiert.

      Es gibt sogar eine politische Bewegung, die tiefgreifendere gesellschaftliche Umwälzung anstrebt als die Abschaffung der Polizei: Anarchismus > für eine herrschaftsfreie Gesellschaft.

      Wenn Sie mögen, lesen Sie sich doch hier mal ein: http://anarchistischebibliothek.org/library/crimethinc-fur-unser-leben-kampfen

      • @Uranus:

        Ist Ihnen aufgefallen, dass die meisten Ihrer Beispiel keine Verbrechen sind, sondern die Durchsetzung der herrschenden Gesetze?

         

        Die Abschiebungen beschließen die Ausländerbehörden nach den geltenden Gesetzen.

         

        Für die Wohnungsräumungen holt sich der Gerichtsvollzieher zur Unterstützung die Polizei.

         

        "Schutz des Kapitals" ist in dieser starken Abstraktion sehr nebulös. Kapital sieht unsere Rechtsordnung vor.

         

        Was Sie Verbrechen nennen, ist im wesentlichen die Rechtsordnung dieses Staates.

         

        Die Schuld für diese Rechtsordnung liegt nicht bei der Polizei. Überzeugen Sie doch Ihre MibürgerInnen, die Rechtsordnung zu änden!

        • @rero:

          Im legalen Sinne wohl nicht bei allem (Rechtsbeugung, im Nachhinein für unrechtmäßig erklärte Aktionen), im moralischen aus meiner Sicht schon.

          Es können auch gerne andere Begriffe gewählt werden. Gewalt trifft es bspw. häufig.

          Wenn Sie mit Änderung der Rechtsordnung eine Reform der jetzigen meinen - darauf will ich nicht hinaus, sondern auf dessen Abschaffung samt Polizei und Staat. Deswegen finde ich solche Konzepte wie Transformative Gerechtigkeit sehr interessant, da sie eben eine Alternative darstellen sollen.

          • @Uranus:

            Herrschendes Gesetz war bspw. bis 1994 die Verfolgung von Homosexuellen - siehe Paragraph §175. Und klar war da auch die Polizei an der Durchsetzung beteiligt. So einfach würde ich die Polizei nicht freisprechen a la "sie haben die Gesetze ja nicht gemacht" oder vielleicht auch "die machen ja nur ihren Job". Und klar auch Wohnungsräumungen samt Gesetze sind zu hinterfragen und als das zu bezeichnen, was sie überwiegend sind: Verdrängung, Diskriminierung von (armen) Menschen, Teil der systematischen Verarmung von Menschen...

            Niemand muss Bulle sein! https://www.youtube.com/watch?v=qa74_WvLX1E

          • @Uranus:

            Wenn es dann keinen Staat mehr gibt gehen Sie dann von Haus zu Haus und sammeln das Geld ein für die Sozialausgaben?

            Als die ersten Menschen von den Bäumen runter sind gab es zigtausend Jahre lang keinen Staat.

            War alles besser?

            • @Suchender:

              Hypothetisch - Ein "Ja" auf Ihre Frage, bedeutete für Sie letztlich, dass es einen Staat geben müsse?

              Das ganze Unrecht, von dem ich einen Teil aufzählte, wäre mit Sozialausgaben (für wen und zu welchem Preis eigentlich?) wieder wettgemacht/wettzumachen?

              Wie kommen Sie darauf, dass die einzige Alternative zum Staat die gesellschaftlichen Verhältnisse - was auch immer genau damit gemeint ist - sein müssen, die vor "zigtausend Jahren" da waren?

              • @Uranus:

                Weil es auch bei bestmöglicher Erziehung immer einen nicht geringen Anteil von Arschlochmenschen gibt welche bei absoluter Freiheit Angst und Schrecken verbreiten würden.

                Wollte man dies verhindert müßte man das Erbgut des Menschen bis zur Unkenntlichkeit verändern.

                Alle Endorphine und Sexualhormone streichen und den Menschen mit dem Faultier kreuzen.

        • @rero:

          Endlich sagts mal einer!

  • Ich habe schlicht keine Lust, mich mit irgendwelchen aggressiven Leuten zu unterhalten. Ich bin auch kein Therapeut. Mir ist das persönliche Risiko der "Zivilcourage" gerade bei auffälligen PoC-Jungmännergruppen viel zu hoch.

    Leider ist die Autorin immer dann nicht greifbar, also rufe ich eben die Polizei, wenn es muss.

    • @Frank Erlangen:

      Seltsam, dass Sie bei der Erwähnung von aggressiven Leuten gleich auf "PoC-Jungmännergruppen" kommen. So wird Rassismus reproduziert!

      • @Uranus:

        Mich haben halt nur sehr wenige alte weisse Frauen angemacht.

  • Polizei ist dafür da, dass ich meinen Nachbarn nicht verprügeln muss, wenn er die Musik zu laut macht. Das ist eine enorme Errungenschaft, denn ich bin nicht sehr kräftig. Danke Rechtsstaat, danke Polizei.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Mark2013:

      Klingeln und reden. Nicht Gewalt androhen, statt dessen nett sein, das reicht meistens völlig aus. Ihnen fällt als Lösungsansatz für so ein einfaches Problem eben nur Gewalt ein. Außer Sie haben als Nachbarn ein notorisches Arschloch und haben es schon mit Reden versucht. dann hilft aber auch die Polizei nichts. Maximal zieht er woanders hin und ärgert da andere Leute. Damit ist auch nichts gekonnt und das soziale Problem wird hin und her geschoben. Im Gegenteil dürfte so etwas eher zur weiteren Eskalation beitragen.

      Sie möchte ich nicht zum Nachbarn haben, bei den Gewaltphantasien.

      • @85198 (Profil gelöscht):

        Was Sie da sehen, ist ein internet-taugliches Plädoyer für das Gewaltmonopol des Staates. Historisch gesehen hatten sämtliche Fürsten ihre Schläger-Trupps, die jeden Bauern drangsalierten. Das Gewaltmonopol des Staates ist eine republikanische Errungenschaft. Jeder wird gleich behandelt. Keiner nimmt das "Recht" in die eigene Hand. Ist wichtig. Da können Sie so oft an meiner Tür klingeln wie sie wollen.

        • @Mark2013:

          "Jeder wird gleich behandelt."

          Das ist ja eine schöne Mär, die Sie da erzählen. Reiche weiße Männer werden also genauso häufig von der Polizei angegangen und zu vergleichbaren Strafen verknackt, wie Arbeiter of Color oder andere weniger Privligierte?

          Im wahrsten Sinne "etwas" blauäugig Ihre Sichtweise, würde ich meinen.

          • @Uranus:

            Ich glaube, Sie missverstehen da etwas.

             

            Mark2013 schilderte die Idee, das Prinzip. Gewaltmonopol als republikanische Errungenschaft.

             

            Was Sie kritisieren ist dessen tatsächliche Umsetzung.

            Davon hat er überhaupt nicht geschrieben... der Vorwurf, seine Sichtweise sei "blauäugig" geht also am Thema vorbei.

            • @Existencielle:

              Ok, da haben Sie recht. Vielleicht schreibt Mark2013 ja noch etwas dazu, wie sie_er die Umsetzung sieht.

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    "Das Toolkit ist ein Versuch, aus queerfeministischer Sicht im deutschen Kontext für die Abschaffung von Gefängnissen zu argumentieren"

     

    Wow. Und das ist nur eine Perle aus dem reichhaltigen Gedankenschatz der angehenden Soziologin. Wie wird man derartig weltfremd? In was für einem Cocon muss man leben, um Ansichten zu entwickeln, wie sie in diesem Artikel dargelegt werden?

    • @80576 (Profil gelöscht):

      Sie sollten sich überlegen ob es nicht sinnvoll sein könnte zwischen inhaltlicher Aussage und ggf. für Sie nicht adäquater Ausdrucksweise zu trennen.

      • 8G
        80576 (Profil gelöscht)
        @Tom Farmer:

        Ich halte beides für Bullshit.

    • @80576 (Profil gelöscht):

      Ich habe versucht mir vorzustellen, wie Melanie und Caren nach dem Studium in der Taxizentrale arbeiten werden. Ob sie der Typ Mitarbeiter sind, die man wegen der Vernknüpfungsfunktion von Excel um Rat fragt? Dann verwickeln sie einen bestimmt gleich in Diskussionen über nichtbinäre Transformation etc.

  • Satire? Wohl nur für Menschen mit Staats- und Bestrafungsfetisch. Schade, dass das scheinbar einige gleich beiseite wischen. Das ist wohl in Deutschland aber nicht anders zu erwarten. Als Revolutionär gilt es hier bereits, nach gebildeter Nationalversammlung einen König zu fragen, ob dieser nicht deren Kaiser werden möchte ... oder für das Nutzen eines Zuges für ein politisches Anliegen einzuwenden, zunächst eine Fahrkarte kaufen zu müssen...

    • @Uranus:

      Warum muß man denn schwarz zur Revolution fahren?

      Lenin hatte leicht reden, der hat sich von den Deutschen zur Revolution kutschieren lassen.

  • Wenn ich mich daran erinnere, wie die Verurteilung von Ulli Hoeness im Forum hämischen Beifall hervorgerufen hat - und jetzt plötzlich von Abschaffung der Gefängnisse die Rede ist:

    Seid ihr noch alle ganz dicht?

    • 8G
      80576 (Profil gelöscht)
      @Klartext:

      Ja, aber der war doch wirlich böse, ein weißer alter Mann. Der hatte auch gar keinen Bock auf Sitzkreis und so. Da ging es dann eben nicht anders.

  • Finde ich gut das Interview.

     

    Es zeigt wie eine linke Gesellschaft (eben ohne Polizei und Gefängnisse) am Ende auszusehen hat. Letztlich funktioniert das dann gut wenn alle sich an die hier ausgeführten Spielregeln halten.

    Ich als Konservativer erwarte, daß sich tatsächlich nicht alle an die Spielregeln halten werden und es faktisch keine Sanktionsmöglichkeiten gegen diese geben wird. Es wird keinen Schutz für Arme, Schwache oder irgendwie ausgegrenzte geben.

    Nun sehe ich natürlich, daß es in einer linken Gesellschaft keine Armen, Schwachen oder Ausgegrenzte geben wird (oder soll). Und natürlich auch keine Bösewichte, weil der Grund zum "Böse sein" entfällt.

     

    In heutigen und aktuellen Gesellschaften wird die Anwesenheit von "Bösen" (eben Rassisten, Gewalttätern u.ä) als immerwährend angenommen. Deshalb braucht man Polizei und Gefängnisse und Rechte fordern als Lösung immer mehr davon.

    Genau das ist dann ja die linke Kritik an der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, bei der sich immer ein "oben" und "unten" (und damit das "böse") zwangsläufig einstellt.

     

    Der Artikel zeigt in beeindruckender Weise auf die Kerndifferenz zwischen Linken und Nichtlinken Sichtweisen. Es ist bemerkenswert, daß einige Leserbriefschreiber dies offenbar nicht bemerkt haben. Deren Kritik wonach die Vorschläge von Melanie Brazzell unter heutigen Bedingungen gar nicht funktionieren können, geht doch völlig daneben. Sie will ja gerade von diesen Bedingungen weg und in ihrem Denken abstrahiert sie in beeindruckender Weise davon.

     

    Im Interview hätte klarer herauskommen sollen, daß sie gar nichts gegen die Polizei und gegen Polizisten hat, sondern einfach nur eine Situation schaffen will, die die Institution an sich überflüssig machen will.

     

    Ich als fundamentalistischer Christ glaube, das Melanie Brazzell irrt. Dies weil ich weiß das unser Schöpfer Menschen so gemacht hat, daß sie nicht immer und überall gut sein KÖNNEN. Dies ist der entscheidende Schwachpunkt linker Denkansätze.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Werner W.:

      Das finde ich aber sehr widersprüchlich, einerseits linke Kritik mit dem Wort "böse" zu verknüpfen, aber andererseits selbst ungebrochen ans "Böse" zu glauben.

      Trotzdem erstaunlich viel Differenz in ihrem Beitrag, muss ich sagen.

       

      Aus persönlicher Erfahrung heraus bin ich religiöser Atheist. Wenn ich an den "Namen Gottes" glauben würde, dann müsste ich nach meiner Erfahrung auch glauben, dass der "Name Gottes" mein eigener Name wäre. Eine solche Behauptung sehe ich tatsächlich als Wahnsinn an. Ich will weder in der Klapse landen, noch eine Sekte gründen. Deswegen schreibe ich "Gott" auch nicht ohne Anführungsstriche. Ich habe letzten Endes keine Ahnung, was diese Vokabel bedeuten soll, dafür wird sie in zu vielen Varianten verwendet, auch von ein und denselben Menschen ganz widersprüchlich. Die zehn Ochsenbilder aus dem Zen haben mir mehr zu sagen als aller Monotheistische Verklärung.

      Als Literatur könnte ich Kitaro Nishida empfehlen - "Logik des Ortes" oder Jacques Derrida "Über den Namen", als Einstieg in den interkulturellen / interreligiösen Diskurs.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @Werner W.:

      Gut, dass jemand gemerkt hat, wie wir diese Vorschläge zu betrachten haben. Es geht um nichts weniger als eine Vision, die heute schon in kleinen überschaubaren Gruppen ausprobiert werden kann.

      (ab welcher Gruppengröße solche Dinge in sich zusammenfallen, wäre ein Punkt, der eingehend zu untersuchen ist)

       

      Ihrem letzten Absatz muss man vielleicht zustimmen, selbst wenn man nicht im Geringsten daran glaubt, dass ein Schöpfer seine Hände im Spiel hatte.

      • @61321 (Profil gelöscht):

        Nichts für ungut, aber Visionen haben nichts mit Soziologie zu tun. Soziologie beruht, wie jede empirische Wissenschaft, auf einer nachvollziehbaren Rückbindung zur Realität (im Idealfall nachvollziehbare Daten). Nichts von dem was Brazzell sagt wird von ihr empirisch untermauert. Selbst wenn ihr Konstrukt sich innerhalb einer realen lokalen Community hat realisieren lassen (was ich stark bezweifle) dann ist die Verallgemeinerung auf eine ganze Gesellschaft (national, transnational, ethnisch) schlicht nicht zulässig - auf dem Boden der Wissenschaft.

        Nun kann man gerne utopisch fabulieren, aber es stört mich wenn Wissenschaft in einem unwissenschaftlichen Kontext als Stütze herangezogen wird um einem Argument scheinbare Tiefe und Wahrheit zu verleihen.

        Schon allein die spezifischen kulturellen Unterschiede in den Communities und die Beziehung zu der komplett anders organisierten Polizei pulverisieren die Idee das einfach in Europa anzuwenden.

        Mal von allem anderen abgesehen.

        Wenn Brazzell wirklich Leute auffordert in Gewaltsitutionen nicht die Polizei zu holen, sollte sie zumindest auch die Verantwiortung übernehmen, wenn ihre Theorie scheitert und jemand wegen ihrem Rat zu Schaden kommt.

        • 6G
          61321 (Profil gelöscht)
          @hup:

          Man kann tausend Einwände vorbringen, die meisten der Ihren teile ich.

          Man sollte sich jedoch vielleicht völlig davon lösen, es aus unserem geschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext und Blickwinkel zu betrachten.

          Brazzell wäre vermutlich nicht damit einverstanden, wenn man sagt, dass man das mit dem heutigen Menschen schlicht nicht machen kann.

          Ich würde das behaupten.

          Ich würde weiter behaupten, dass unsere derzeitigen politischen und sozialen Organisationsformen es nicht im Entferntesten zulassen, eine Transformation zu diesen "Visionen" hin zu machen, selbst bei äußerstem guten Willen aller.

           

          Allerdings ist sehr gut vorstellbar, dass vorstaatliche einfachere menschliche Gesellschaften kleiner, überschaubarer Größe (jeder kennt jeden, bzw. der Fremde ist die Ausnahme) ganz ähnlich funktioniert haben mögen.

           

          Schaut man jedoch bei rezenten ursprünglichen Völkern, wird man in aller Regell die Herausbildung oder Wahl einer oder mehrerer Autoritäten feststellen (meistens fällt es den Ältesten zu), denen im Konfliktfall die Aufgabe der Beratung oder Entscheidung zukommt.

           

          Habe einmal in einer Doku über eine Dorfgemeinschaft (afair im Amazonasbecken) gesehen, wie ein Outcast versucht hat, zurück in eine Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden. Sein Vergehen war schwer, mit Todesfolge. Opfer und Leidtragende weigerten sich zunächst, überhaupt mit ihm zu sprechen.

          Auf einer Dorfversammlung, auf der Kläger, Gegner und Befürworter der Rückkehr des Delinquenten ihre Argumente teils sehr emotional vorbrachten, wurde am Ende gemeinsam entschieden.

          Es war ein Extremfall und aufwühlend mitanzusehen, wie schwer sich die Leute taten, aber wie sie auch gemeinsam die Entscheidung trugen.

  • Theorie, Theorie, Theorie. Das alles funktioniert vielleicht in einer aufgeklärten Gruppe sich ständig austauschender und verständiger Menschen. Ein Haufen wildgewordener und mit Waffen rumfuchtelnder Agressionsheinis wird man weder mit Gesprächsangeboten oder dem Überreichen von Petitionen stoppen. Aus der Erziehungswissenschaft und der Erinnerung an unsere eigene Sozialisation wissen wir, daß auf ein: "Halt, sonst setzt es was." die angedrohte Strafe bei Regelverletzung unbedingt folgen muß, da sonst kein Effekt und Lernerfolg erzielt wird. Klingt ja alles edel und auch sehr bemüht, aber hier wird versucht, das Rad mal wieder zum x-ten male neu zu erfinden. Genau wie in jeder Theatersaison "die neuen" Regisseure erwartungsgemäß versuchen, mal wieder alles anders zu machen. Seit Jahren hört man immer und immer und immer wieder:"... neue Ansätze, neue Strukturen, neue Konzepte... blablabala. Und der Versuch, der Agression mit Liebe, Umarmungen oder Keksen zu begegnen, mag ja ehrenhaft sein, aber die Erfahrenen wissen, wie´s ausgeht.

    • @Thomas Schöffel:

      Sie haben schon gelesen, dass Melanie Brazzell sich u.a. auf die PRAXIS in den USA bezieht?

  • Irgendwo zwischen interessant und illusorisch.

    Kann letztlich nur in Gruppen funktionieren in denen derlei Vorgehen von der deutlichen Majorität mitgetragen wird und der Schematismus anerkannt ist. Davon sind wir gesellschaftlich weit entfernt.

    Außerdem habe ich den Eindruck dass die Interviewte Exekutive und Judikative etwas durcheinanderbringt.

     

    Dass Gefängnisse, bei den allermeisten Vergehen/Verbrechen keine gute Lösung ist, ist nicht neu.

     

    In Arte kam vor langer Zeit eine Doku über die Bestrafung von Verbechern im Hochland Perus, wenn ich mich recht erinnere.

    Indigene, die egal bei welchem Verbrechen stets ohne Judikative und Exekutive auskommen.Das wird vom Dorf selbst geregelt.

    Selbst bei Mord geht es nicht um Bestrafung sondern Übernahme von Verantwortung... und zwar für die Geschädigten.

    Im konkreten Fall musste der Mörder in die Verantwortung des Opferns eintreten: Nämlich dafür sorgen, dass die Witwe und die Kinder des Opfer genauso gut versorgt sind wie wenn das Opfer noch leben würde. Also Unterstützung bei Feldarbeit, Hausbau... usw. Der Mörder wird dabei NICHT ausgegrenzt oder stigmatisiert, im Gegenteil, weiter volles Mitglied der Dorfgemeinschaft.

     

    In unserer Gesellschaft extrem schwer vorstellbar den Mörder des Liebsten um sich zu ertragen. Dort wohl eine anerkannnte und akzeptierte Sühne, ein Ausgleich.

    • @Tom Farmer:

      Sehr interessant das Peru Beispiel, oder auch der Hinweis von Hannibal Corpse, das er das in linken Projekten schon erlebt hat (wahrscheinlich meint er Übergriffe die etwas unter Mord anzusiedeln sind).

       

      Aber was haben diese Beispiele gemeinsam? Es finden in kleinen und extrem homogenen Gruppen statt. Ja ja ich weiß diese linken Projekt sind oft sehr homogen in Hautfarbe, geschlechtlicher Orientierung oder was weiß ich, aber eben sehr homogen in ihrem Weltbild. In Multikultigruppen geht das nicht, da jeder seine eigenen Bewertungsmaßstäbe ansetzt und man somit nie zu einem gemeinsam akzeptierten Lösungsansatz kommt.

      • 8G
        85198 (Profil gelöscht)
        @DieLinkeIstRechtsGeworden:

        Ja, es geht da eher um den betrunkenen Arschgrabscher. Bestenfalls wird derjenige ins Plenum eingeladen und wenn er sich verantwortlich zeigt, zum Beispiel mit dem Schnaps aufhört, dann ist das die bessere Lösung, als eine Anzeige zu machen.

        Es ist aber richtig, dass es dafür eine soziale Basis geben muss und finde den Ansatz mit den Workshops ganz gut. Im Moralisieren sind viele linke Gruppen gut, aber wenn es um die Fähigkeiten geht, sozial damit umzugehen, wenn so etwas auch in den eigenen Läden passiert, klafft oft auch eine Lücke zwischen Anspruch und Realität.

         

        Selbstkritik hat noch niemandem geschadet. Ich sehe (als libertärer Linker) beides kritisch - zu sehr auf den Staat zu vertrauen, aber auch, sich zu sehr auf die gesellschaftlichen Fähigkeiten zur Problemlösung zu verlassen.

        Ich sehe das so: Wenn der Judikative andere Mittel zur Verfügeung stehen sollen, dann bedarf das einer breiten gesellschaftlichen Unterstützung in der Integration von Täter*innen und ein Abgehen von - für mich - veralteten Ideen von Schuld, Sühne und Strafe.

         

        Als andere Option setzen viele Kritiker - auch die hier interviewte Soziologin oder ich selbst - eine Verantwortungsethik, bei dem statt "Schuld" "Verantwortung" steht, aus "Strafe" wird "zur Verantwortung ziehen" und anstatt "Sühne" sprechen wir lieber von "verantwortlich werden".

        Das ganze ist eine Ersetzung, nicht einfach ein Ersatz für das alte Kategoriensystem. Der Unterschied zum bloßen Ersatz ist es, dass sich auch gesellschaftlich etwas verändern muss. Der Begriff transformative Gerechtigkeit passt da eigentlich ganz gut, wenn mensch ihn etwas doppeldeutig auslegt. Gesellschaftliches oder gemeinschaftliches Agieren sollte im Vorfeld schwerer Verletzungen der körperlichen und seelischen Integrität schon stattfinden und das Gefängnis als richtigen Ort für Gewalttäter*innen sehe ich sehr kritisch, also quasi als Eingeständnis des gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Scheiterns, als interkulturelle Messlatte.

  • Ich bin ehrlich gesagt sowohl über die Antworten, wie über den Mangel an kritischen Nachfragen durch Frau Miesenberger schockiert. Wenn in meiner Nachbarwohnung jemand angegriffen wird und ich nicht die Polizei rufen, erfülle womöglich den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung. Woher weiß ich was für eine Art Angriff läuft, ist der Angreifer bewaffnet, besteht für das Opfer Lebensgefahr, ist es verletzt, denn wenn sie die Polizei nicht rufen, dürfen sie auch den Notarzt oder Krankenwagen nicht rufen, der informiert nämlich bei Gewaltspuren die Polizei. Weiß ich aus der Nachbarwohnung alles nicht! Um mal im Beispiel zu bleiben, ich habe Leute aus der "Community" aktiviert, die haben auch den Knall gehört und wir klingeln dann an der Wohnung und es macht niemand auf was machen wir dann? Von drinnen hören wir weiter Lärm, versuchen wir dann die Tür aufzubrechen, könn wir das überhaupt oder warten wir einfach bis es vorbei ist? Von der Möglichkeit, es macht jemand auf und steht mit seinem Küchenmesser da, fange ich gar nicht erst an. Ich halte das geschilderte Toolkit für unverantwortlich.

    • @Sven Günther:

      Vielleicht sollten Sie, wenn Sie schon in so übelbeleumdete Viertel ziehen, sich einfach mal bei Ihren Nachbarn vorstellen. Das war früher normales höfliches Benehmen, selbst in der Stadt.

       

      Wieso wollen Sie in einer Gegend wohnen, in der Sie offenbar überhaupt keine persönlichen Kontakte haben.

    • @Sven Günther:

      Vorab: Keine Panik Sven, Sie müssen Ruhe bewahren und eventuell um die Ecke denken. Das "Toolkit" schränkt Sie doch nicht ein. Sollte niemand im Haus aufmachen ... einfach beim Nachbarn klingeln. Irgendjemand wird Ihnen in der Straße aufmachen. Anschließend Beziehungen aufbauen und sprechen. Sollte in der betreffenden Wohnung keiner aufmachen .... nutzen Sie die Zeit mit der neu gewonnenen Community. Klingeln Sie doch einfach etwas später.

      Es wurde ja auch nicht nach Hilfe gefragt. Vielmehr ist entscheidend wie Sie reagieren. Der Weg ist das Ziel, Sie wissen schon.

  • Kollektive Verantwortungsübernahme funktioniert aber nicht mit isolierten Einzelmonaden, sondern brauch Strukturen der kollektiven Selbstverwaltung:

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Demokratischer_Konf%C3%B6deralismus

    • @El-ahrairah:

      Das ist völlig richtig, allerdings habe ich in dem Interview auch nicht die Allgemeingültigkeit gelesen, dass dies für alle Situationen und Personen sofort gelten soll.

       

      Manche antworten hier, als wäre es ein persönlicher Vorwurf, wenn man noch nicht in einer Gesellschaft lebt, in dem man auf staatliche Ordnungskräfte vollständig verzichten kann.

  • Unsinn

     

    Ein ziemlich abgehobener und unpraktikabler Unsinn, wie er oft im Elfenbeinturm von "Wissenschaft" gedeiht. So ist es, wenn die Lebenserfahrung ausgeblendet wird. Leider gibt es dafür auch noch Steuerzahlergeld.

    • @Hartz:

      Melanie Brazzell bezieht sich doch auf auf Erfahrungswerte, auf Basis dessen ein Konzept entwickelt und angewendet wird. Wie kommen Sie da auf "Elfenbeinturm"?

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Gefällt mir der Beitrag. Der genaue Umfang von "Whiteness" ist mir immer aber noch nicht klar.

     

    Auf die beschriebene Weise werden die meisten Probleme in den linken Projekten gelöst, in denen ich zugange bin. Was selbstverständlich nicht für alle Gruppen gilt.

    Nicht nur in Sachsen hört die "Whiteness" meiner Erfahrung nach ziemlich schnell auf, wenn mensch die falschen Klamotten trägt, die falsche Frisur hat, Tätowierungen oder den falschen Umgang. Wenn ich von rechter Gewalt betroffen war, habe ich auch nur eine Verweigerungshaltung bei der Polizei erlebt. Trotzdem erwarte ich, dass sie ihre Arbeit macht, denn Selbstjustiz ist auch keine Lösung. Gewisse Probleme übersteigen die Kapazitäten von kleinen Gemeinschaften und dann ist die Justiz besser als der Mob. Aber deren Mittel sehe ich auch als weitgehend inadäquat an.

     

    Auch der Ansatz, dass Knäste Gewalt nur reproduzieren und verstärken und deswegen zum Verantwortlich-Machen nicht geeignet sind, ist im anarchistischen und minarchistischen / libertären Umfeld schon lange verortet. Ich sehe darin auch nur eine Notlösung für extreme Gewalttäter.

    "Transformative Gerechtigkeit" klingt mir nach Recycling von anarchistischem Ideengut. Dagegen habe ich nichts, besonders gut finde ich, dass dieses Konzept gegen die sozialen Pranger angeht und die Gegenwart und nicht die Vergangenheit eines Menschen in den Mittelpunkt stellt.

     

    So langsam komme ich dennoch zu der Ansicht, dass wir es statt mit einer kritischen "Whiteness" eher mit einer kritischen "Black-White-ness" zu tun haben, einem Schwarz-Weiß-Denken, dass u.a. dazu führt, dass in den USA das Rad neu erfunden werden muss und bestehende Optionen zur syndikalistischen / intersektionalistischen Zusammenarbeit deswegen verschenkt werden. So reich sind wir eigentlich nicht, dass wir uns das leisten können.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      Wenn die Nachbarn zu laut Party feiern, kann mensch auch einfach rübergehen und mit den anderen reden, anstatt gleich die Polizei zu rufen.

      Ich war mit ieser Strategie bislang ziemlich erfolgreich. Das erhält das gute Klima in der Nachbarschaft.

      • @85198 (Profil gelöscht):

        Laut Party machen fällt also in die gleiche Kategorie wie seinen Partnern angreifen, interessantes Weltbild haben Sie da.

        • 8G
          85198 (Profil gelöscht)
          @Sven Günther:

          Wegen so einer Extremvorstellung muss mensch ja nicht vor allem Angst haben. Ganz klar kann es m.E, immer Situationen geben, die eine*n Überfordern. Das sollte mensch sich dann auch eingestehen. Wenn sich aber in der Kneipe zwei Stammgäste in die Haare bekommen und prügeln, dann will oft sowieso keiner von beiden die Polizei rufen und viele minderschwere Übergriffe, die im Freundes- oder Bekanntenkreis passieren, werden auch nicht angezeigt, eben weil es sich um Freunde oder Bekannte handelt.

           

          Dann finde ich es wichtig, auch andere Optionen bereit zu haben und die entsprechenden sozialen Fähigkeiten und auch sozial anerkannten Strukturen herauszubilden. Sozialarbeiter sind auch sehr oft in den Kulturen verwurzelt, in denen sie arbeiten und haben eine hohe Anerkennung. Bei mir in Connewitz befindet sich direkt im bösen autonomen Zoro-Gebäude eine Einrichtung mit Jugendsozialarbeiter. Ähnliche soziale Anlaufstellen zur gesellschaftlichen Deeskalation wie die Sozialarbeiter könnten bei vielen Fragen des Alltagsstresses und zumindest der leichten und minderschweren Kriminalität meiner Meinung nach besser und nachhaltiger für Gerechtigkeit eintreten, als dass das der Staat kann. Das kann aber nur mit breiterem Engagement aus den lokalen Gemeinschaften heraus passieren und dem steht auch die Gentrifizierungspolitik entgegen.

          • @85198 (Profil gelöscht):

            Da bin ich bei Ruhestörungen, Alltagsstress und so weiter, völlig bei dir, das ist kein Fall für die Polizei. Aber ich habe habe hinter der Theke gearbeitet, wenn mir auf einmal trinkfeste Frauen die Stammgäste sind, die gerade von nem Partyboot am Main kommen praktisch in die Arme fallen, weil irgend ein Penner Roofies in ihr Glas geworfen hat. Auch ein Fall wo ich nicht die Polizei gerufen hätten. Aber ich hatte bereits auch persönlich solche Fälle und da werde ich leider etwas unentspannt, sollte nicht angreifend gemeint sein.

            • @Sven Günther:

              *Gerade gemerkt. Wenn meinen Gästen jemand Roofies unterjubelt, kann der Typ auf die Polizei hoffen.

  • Das ist ein schon sehr idealtypischer Akademikersprech...wie "der Mensch", der im Rahmen dieser Ideale (im Fühlen, Denken und Handeln) ein entsprechendes Verantwortungsbewusstsein entwickeln soll ist mir schleierhaft...denn dies setzt so viele Fähigkeiten voraus (Empathie, Bildung, differenzierte Reflektionsfähigkeit etc.)...alles andere ist schlicht elitär überhebliches Denken!

    • @Ulrich Sieber:

      Wo sehen Sie da Utopien? Melanie Brazzell bezieht sich ja gerade auf die Anwendung des Konzeptes Transformative Justice in den USA.

      • @Uranus:

        Ups, mein Kommentar mit "Wo sehen Sie da Utopien..." ist an Disenchanted gerichtet.

    • @Ulrich Sieber:

      Was genau wollen Sie denn als "sehr idealtypischen Akademikersprech" erkannt haben?

  • Kommentar entfernt. Bitte formulieren Sie Ihre Kritik sachlich und respektvoll. Danke, die Moderation

  • Dieser Artikel passt sehr gut in meine Vorstellung davon was passiert wenn man den Querfeministinnin mal eine Zeit lang das Steuer überlässt. Derartige Utopien mögen ja eine schöne Fantasie sein aber in der Realität hat das gruseligste Folgen für die Betroffenen.

     

    Ich bin ansich ja offen für gesellschaftlichen Wandel aber ich ärgere mich dennoch regelmäßig über radikale, „progressive“ Vorschläge. Gesellschaftlicher Wandel ist zwangsläufig träge, da er von der Masse unterstützt werden muss. Das ist häufig nicht der Fall und auch hier sicher nicht!

     

    Das Problem das ich mit diesem Turbo-Progressivismus habe ist die Rücksichtslosigkeit mit der da vorgegangen wird. Da wird die Veränderung zum Dogma. Was gegen gesellschaftliche Regeln verstößt wird erstmal kategorisch wohlwollen betrachtet. Wenn man da nicht aufpasst sitzt man eines Tages im Bundestag und muss sich fragen lassen wie es dazu kam das die eigene Partei für die Legalisierung von Sex mit Kindern eingetreten ist,…

    • @disenchanted:

      Aus welchen Antworten leiten Sie ab, dass Frau Brazzell da eine kurzfristig umsetzbare gesamtgesellschaftliche Situation etablieren möchte?

       

      Ich lese eher von Vorschlägen, die im individuellen Verhalten berücksichtigt werden können.

  • Da das Justizsystem "keine Heilung, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung bringen kann" würde Melanie Brazzell nicht bei der Polizei anrufen:

     

    Fürwahr, eine sehr konsequente, unter Umständen aber höchst unkluge Entscheidung.

     

    Vielleicht sollte ich, weil ich dem Gesundheitssystem an sich kritisch gegenüberstehe, auch nicht zu Arzt oder Apotheke gehen, dazu fehlt mir aber die ideologische Festigkeit.

    • @M.Schneider:

      Das antwortet sie auf die Frage. was sie machen würde im Falle einer sexuellen Belästigung in einer Disco.

      Da gibt es sicherlich mehrere, die nicht direkt die Polizei benachrichtigen, wenn sie mal "Schatzi" z.B. genannt werden.

       

      Ebenso wie es viele gibt, die die ideologische Festigkeit besitzen, bei jeder Erkältung direkt zum Arzt zu rennen, um sich pharmazeutisch vollstopfen zu lassen.

  • 2G
    2730 (Profil gelöscht)

    Den Artikels habe ich folgendermaßen verstanden. Wenn der Nachbar seine Frau mal wieder verprügelt, soll ich andere Nachbarn herausklingeln, wir diskutieren unsere Strategie erst untereinander und dann mit ihm. Wenn er seine Frau dann erschlagen hat, machen wir ein "calling in" und erklären ihm, dass er sein Verhalten verlernen könnte.

    Bin ich der Einzige, der glaubt, im falschen Film zu sein? Btw.: Das "weiß" permanent kursiv zu setzen, rettet die Qualität der Aussagen auch nicht mehr...

    • @2730 (Profil gelöscht):

      Nein

    • @2730 (Profil gelöscht):

      Alternativen wären:

      a) die Polizei rufen. Bis diese eintrifft, hat der Nachbarn seine Frau erschlagen.

      b) die Polizei rufen, der Nachbar erschlägt zwischenzeitlich nicht seine Frau, wird aber von der eintreffenden Polizei erschossen.

      c) die Polizei rufen. Der Nachbar erschlägt zwischenzeitlich nicht seine Frau, wird nicht von der eintreffenden Polizei erschossen. Die Frau erstattet jedoch keine Anzeige. Zwei Wochen später prügelt der Mann wieder...

      d) die Polizei rufen. Diese, eingetroffen, stellt fest, dass der Nachbarn keinen Aufenthaltsstatus hat. Die Ausländerbehörde wird eingeschaltet...

      e)...

      ;/

      • 2G
        2730 (Profil gelöscht)
        @Uranus:

        Was ist mit den (deulich realistischeren) Alternativen

        e) Frau wird vor weiteren Misshandlungen geschützt

        f) Täter erhält Platzverweis

        g) die Anzeige wird ncht zurückgenommen/kann gar nicht zurückgenommen werden (Offizialdelikt)

        Nächste Frage: Warum sollte der Täter (DEINE Alterative d) ohne Auentzaltsstaus sein. Ist diese Annahme nicht etwas arg rassistisch?

        • @2730 (Profil gelöscht):

          Vielleicht meinte er ja die allarmierten Nachbarn, die anstelle der Polizei helfen wollten, die bei der Gelegenheit von der Polizei abgeschoben werden.

        • @2730 (Profil gelöscht):

          Klar, sind andere Alternativen denkbar. Ich wollte aber noch mal hervorheben, welche Zusammenhänge Melanie Brazzell im Interview anführt, die die Vorteile von Transformative Justice verdeutlichen.

  • Super Konzept,

     

    die Kriminellen werden sich freuen. Schauen wir mal wer sich besser organisieren kann, Familienklans undRechtsradikale (von denen, das muss man ihnen lassen, viele einen Hang zu Disziplin haben) oder ein Haufen idiologischer Linker. Ich glaube ich kenne die Lösung. Wie kann man nur so Weltfremd sein.

     

    Und noch was zu 'ich als weiße' : Es ist so traurig das die Linke immer mehr dem Rassismus verfallen ist. Können die gar nichts mehr sehen außer Hautfarbe. Martin Luther King, der wollte das seine Kinder aufgrund ihrer Taten bewertet werden dreht sich gerade im Grab um.

    • @DieLinkeIstRechtsGeworden:

      " Schauen wir mal wer sich besser organisieren kann, Familienklans undRechtsradikale (von denen, das muss man ihnen lassen, viele einen Hang zu Disziplin haben) oder ein Haufen idiologischer Linker. Ich glaube ich kenne die Lösung."

       

      Aha, Sie sagen also auch, dass das Gerede vom "Schwarzen Block", der der Polizei angeblich den meisten Ärger verursacht (wie neulich in HH beim G7) alles nur dummes Gequatsche ist und dahinter eben Rechtsradikale und Familienclans stehen?

      Glauben Sie nicht,, dass Sie etwas zu verschwörungstechnisch denken?

      • @Age Krüger:

        Nein ich wollte nicht sagen das der Schwarze Block von jemand anderem als Linken organisiert wurde.

         

        Ich wollte nur sagen wenn sich die anderen genannten ungehemmt anfangen können zu organisieren, die den Schwarzen Block wie Nix wegfegen. Der Schwarze Block kann nur bestehen weil die Polizei leider von depperten Politikern zurückgehalten wird.

  • ... Satire?

    • @Cerberus:

      Das frage ich mich auch...

      • @Strolch:

        Realsatire

    • @Cerberus:

      Real existierende Satire!

    • @Cerberus:

      Vor ein paar Jahren wäre ich noch davon ausgegangen. Aber die Nachrichten und Meinungen werden immer abstruser. Zum Glück habe ich angefangen jeden Morgen nach dem Aufstehen immer erst den Vorspann zu Monty Pythons Flying Circus anzuschauen um mich auf den Tag vorzubereiten.

      • 6G
        61321 (Profil gelöscht)
        @DieLinkeIstRechtsGeworden:

        .

        Ist bestimmt eine Freude, Sie anschließend zur Arbeit gehen/hüpfen/rollen (?) zu sehen!

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    "Nach der Silvesternacht 2015/2016 in Köln forderten einige Organisationen als Teil der rassistischen Reaktionen einen besseren polizeilichen Schutz von Frauen." Bemerkenswerter Satz, Schutz von Frauen, Durchsetzung von Recht und Ordnung ist also Rassismus (Da die Dame nicht spezifiziert was sie mit rassistischer Reaktion meint und dann direkt zu polizeilichem Schutz übergeht ist das für mich der naheliegendste Schluss was sie meint).

     

    Eine kleine hässliche Bemerkung über unsere Welt, die Menschenrechte von nicht-Bürgern enden in dem Moment wo sie der Sicherheit von Bürgern im Weg stehen, mag man abstoßen finden, ist aber faktische der Zustand und schaut man sich die Wahlergebnisse an auch so gewünscht in DE.

  • Eine für unsere ausdifferenzierte und anonyme Gesellschaft völlig unbrauchbare (da unpraktikable) Ideolgie trifft es wohl am ehesten.

     

    Um mal nur ein stark vereinfachtes Beispiel zu nennen: Ein handfester Ehestreit in einem einkommensschwachen Milieu.

     

    Selbst wenn man bei irgendwelchen anderen (meist unbekannten Nachbarn) klingelt, wird man wohl kaum Unterstützung erwarten können, da

     

    a) die Tür erst gar nicht geöffnet wird.

     

    oder

     

    b) die Nachbarn, nichts mit der Sache zu tun haben wollen.

     

    Aber für den unwahrscheinlichen Fall das sich jemand findet und man als Grüppchen die Wohnung der Konfliktehepaars aufsucht, was dann ?

    Es wäre naiv anzunehmen, dass dieses Grüppchen aus Laien in der Lage dazu ist, die Situation zu beruhigen. In der konkreten Situation gelingt dies selbst vielen professionellen Akteuren nicht.

     

    Abgesehen davon, dürften sich nicht wenige (so auch ich) fragen, warum man plötzlich dafür verwantwortlich sein soll, die Defizite anderer zu kompensieren.

    Ich habe weiß gott genug mit meinen eigenen Problemen zu tun und möchte mir nicht auch noch die Erziehung (=oder um den Schein zu wahren "Beziehung") Dritter ans Bein binden.

     

    Von daher leider ein Konzept das die gegebenen Faktoren (insbes. die starke Induvidualisierung der Gesellschaft) nicht ausreichend berücksichtigt.

    • @Tabos:

      "Um mal nur ein stark vereinfachtes Beispiel zu nennen: Ein handfester Ehestreit in einem einkommensschwachen Milieu."

       

      Also da, wo man ältere (älter als 45 ) Sozialpädagogen, Juristen, Ärzte, Kranken- und Altenpfleger, Hochschuldozenten und andere hochqualifizierte Menschen findet, die nicht mehr gebraucht werden. Warum sollten darunter nicht auch gute Mediatoren sein?

  • Vielleicht sollte die gute Frau mal aus ihrem Elfenbeiturm gehen und sich in der realen Welt umsehen. Dann kann sie bei dem Auftreten von Gewalt ihre Workshops anbieten, calling einsetzen und ihre Toolkits ausbreiten. In der Zwischenzeit wird weiter gegrapscht, geschlagen, getreten und gemordet.

    Wenn man aber der Polizei und dem Justizvollzug vorwirft sie wären "kolonialrassistisch und genozidial gewachsen" hat man offenbar keine Vertrauen in staatliche Institutionen. Wirklich praktikable Lösungsansätze werden aber nicht geboten - oder will sie Mediator spielen wenn der gewaltbereite Mob durch die Straße zieht?

  • Zuerst ist festzustellen, dass es Rechtsradikalen nicht um irgendeine Lösung zum Problem sexueller Gewalt gegen Kinder geht, sondern lediglich um Instrumentalisierung dieses und anderer Probleme.

    Weiterhin habe ich starke Zweifel daran, dass Verhandlungslösungen in verschiedenen soziokulturellen Zusammenhängen und/oder Communities als Anliegen zur Beseitigung von Ungerechtigkeit verstanden werden.

    In einigen Bereichen, wo traditionell das Recht des Stärkeren gilt, wird ein staatliches Eingreifen ein wesentlicher Bestandteil zum Schutz von Schwächeren notwendig bleiben, auch wenn dies Konzept Schwächen hat.

    • @aujau:

      eine Alternative wäre der Aufbau einer autonomen Volxpolizei und von autonomen Volxgerichtshöfen.

       

      Bürgerlich-neoliberale Prinzipien wie z.B. die Unschuldsvermutung die nur der Aufrechterhaltung der Privilegien von alten weissen Männern dient könnte man in diesen Alternativen ignorieren.

      • @Alreech:

        Die Unschuldsvermutung wurde allzu oft bei polizeilichen Vorgehen zugunsten rassistischem Vorgehen (siehe u.a. USA) vernachlässigt. Dies hat mit dem bequemen weil unrealistischen Feindbild Volxjustiz weniger zu tun als mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit in vielen Staaten und Gesellschaften

      • @Alreech:

        Unschuldsvermutung ist eine DER Säulen eines jeden Rechtssystems. Was ist die alternative? Willkür? Offensichtlich wenn sie zur Gründung einer Paraleljustiz aufrufen. Bedenklich...

        • @Alfred Sauer:

          Ich denke das war ironisch gemeint, hoffe ich zumindest.

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Weiss Frau Brazzel von was sie redet?

    Das führt zu Verhältnissen wie in den USA.

    Polizei rufen ist keine Lösung - sie nicht zu rufen auch nicht.

    Was tun?