Annalena Baerbock in Syrien: Unfreiwillige Misstöne
Der Besuch der Außenministerin in Damaskus war an Unbeholfenheit kaum zu übertreffen. Die Europäer haben keinen Plan für die nächsten Schritte.
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E s hat seit dem Umsturz in Syrien vier Wochen gedauert, aber Annalena Baerbock und ihr französischer Amtskollege Jean-Noël Barrot haben nun endlich den Weg nach Damaskus gefunden.
Das meiste, was die deutsche Außenministerin dort öffentlich sagte, war allerdings so banal, dass man dafür nicht hätte verreisen müssen: Es gibt Grund zur Hoffnung und Grund zur Skepsis; es muss einen „inklusiven Transitionspfad“ geben, und Frauenrechte sind dafür der „Gradmesser“. Und natürlich darf der „innersyrische Prozess“, wie es heißt, „nicht von außen gestört werden“. Was einen gewissen Widerspruch zu den eigenen Forderungen darstellt. Aber Syrien hat momentan größere Sorgen.
Denn so gut und überfällig es ist, dass die beiden größten EU-Mächte nun in Syrien das Gespräch mit der neuen Regierung suchten – so irritierend ist es, dass sie offenbar nichts im Gepäck hatten: keine konkreten Zusagen, keinen Plan für die eigenen nächsten Schritte.
Kein Wunder, dass von diesem Besuch vor allem die Optik hängen bleibt. Der Hilfs- und Wiederaufbaubedarf Syriens ist immens, aber das Flugzeug, aus dem Baerbock stieg, war in dieser Hinsicht leer. Beim Aussteigen trug sie eine kugelsichere Weste – als wähnte sie sich im Kriegsgebiet.
Die Türkei und Saudi-Arabien wissen längst, was sie wollen
Als sie Revolutionsführer al-Scharaa traf, streckte sie ihm die Hand aus, aber al-Scharaa begrüßte sie mit dem traditionellen Gruß zwischen Mann und Frau, also mit der Hand auf der eigenen Brust statt mit Handschlag – das hätte man eigentlich vorher klären können.
Manche Deutsche lasen daraus ein islamistisches Bekenntnis ab und erklärten es zum Eklat, aber Berichten zufolge gab es beim Abschied die umgekehrte Szene, al-Scharaa streckte die Hand aus, Baerbock verzichtete. Der Eindruck der Unbeholfenheit bleibt, auf beiden Seiten.
Mit Unbeholfenheit ist Syrien nicht geholfen. Irgendwann sollte Syrien erfahren, was die Europäer eigentlich wollen. Wissen sie es überhaupt selbst? Die Türkei und Saudi-Arabien wissen es längst. Da spielt die Musik – und zwar eine andere als die der unfreiwilligen Misstöne aus Berlin.
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