Amnesty-Bericht zu Versammlungsfreiheit: Protest wird unterdrückt
Amnesty International kritisiert die Behinderung von Demonstrant:innen in europäischen Ländern. Auch in Deutschland würden Klimaaktivisten kriminalisiert.
![Mensch in Handschellen neben einem Polizisten Mensch in Handschellen neben einem Polizisten](/picture/7108108/624/35535519-1.jpeg)
Staatsfeind? Klimaaktivist der Letzten Generation nach einer Protestaktion an der SPD-Parteizentrale in Berlin am 10. Juni Foto: Kay Nietfeld/dpa
BERLIN epd/afp | Amnesty International kritisiert den Umgang zahlreicher europäischer Länder mit politischen Protesten. In vielen Ländern werde die Versammlungsfreiheit eingeschränkt, heißt es in einem am Dienstag von der Menschenrechtsorganisation in Berlin veröffentlichten Bericht. Abweichende Meinungen würden durch Überwachung, Gewalt, Verbote oder Einschüchterung unterdrückt. Friedliche Demonstranten würden stigmatisiert, kriminalisiert und angegriffen. Auch in Deutschland wurden demnach Protestierende stigmatisiert und Versammlungen verboten.
Der Bericht trägt den Titel „Under-protected and over-restricted: The state of the right to protest in 21 countries in Europe“ (Deutsch: „Unzureichend geschützt und übermäßig eingeschränkt: die Lage des Rechts auf Protest in 21 europäischen Ländern“). Darin ist von repressiven Gesetzen, unverhältnismäßiger Gewaltanwendung, willkürlichen Festnahmen sowie ungerechtfertigten oder diskriminierenden Einschränkungen die Rede.
Die Einschränkungen friedlicher Proteste erfolgen dem Bericht zufolge auf unterschiedliche Weise. Weit verbreitet ist demnach eine übermäßige Polizeigewalt gegenüber Demonstranten. In 13 Ländern, darunter Deutschland, wurde zudem eine fehlende Rechenschaftspflicht der Polizei festgestellt.
Auch wurden in den untersuchten Ländern zunehmend Technologien zur Überwachung von Demonstranten eingesetzt und Daten gespeichert. Laut Amnesty International wurden etwa Systeme zur Gesichtserkennung angewandt, was dem Bericht zufolge einer „Massenüberwachung“ gleichkommt.
Klimaaktivisten als „Öko-Terroristen“ diffamiert
In Deutschland, Italien, Spanien und der Türkei hätten Behördenvertreter Klimaaktivisten nicht nur als „Öko-Terroristen“ oder „Kriminelle“ bezeichnet, sondern sie auch mit Maßnahmen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität und unter Heranziehung terrorismusbezogener Gesetze ins Visier genommen. Europaweit schränkten Behörden vor allem pro-palästinensische Proteste ein.
In vielen europäischen Ländern wird dem Bericht zufolge auch zwischen verschiedenen Protestbewegungen und Anliegen unterschieden. Als Beispiel führt Amnesty International Demonstrationen der LGBTI+-Gemeinschaft etwa in Polen oder in der Türkei auf, die in diesen Ländern einem erhöhten Maß an Einschränkungen und Schikanen seitens der Behörden ausgesetzt sind.
Europaweit wurden demnach auch besonders nach dem Beginn des Gaza-Kriegs am 7. Oktober vergangenen Jahres pro-palästinensische Proteste eingeschränkt und teilweise komplett verboten. In mehreren der untersuchten Länder wurden laut Amnesty International bestimmte Gesänge und Symbole auf solchen Protesten verboten und das Verbot gewaltsam durch die Polizei durchgesetzt.
In Berlin wurden laut Amnesty zudem die Demonstrationen am palästinensischen Nakba-Gedenktag am 15. Mai in den Jahren 2022 und 2023 bereits vorab behördlich verboten.
Die Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, Julia Duchrow, beklagte, der Bericht zeichne „ein zutiefst beunruhigendes Bild eines Angriffs auf die Versammlungsfreiheit“. Europaweit werden nach ihren Worten Menschen, die friedlich protestieren, verunglimpft, behindert oder unrechtmäßig bestraft.
Leser*innenkommentare
Strolch
Es ist im Ausland (insb. USA und Australien) erlaubt, den Holocaust zu leugnen - dies fällt unter die Meinungsfreiheit in diesem Ländern. In Deutschland ist es strafbar.
Dieses extrem Beispiel nennen ich nur einmal, um zu zeigen, dass es bei Meinungsfreiheit immer eine schwere Grenzziehung zwischen "Meinung" und "Beleidigung" gibt. Welche Worte z.B. gegenüber Israel sind angemessen, die Politik zu kritisieren und wann kippt es in Antisemitismus?
Darüber schlagen sich alle die Köpfe ein. Aber gut ist, dass Amnesty die Weisheit mit Löffeln gefressen hat und hier eine klare Grenzziehung kennt und daher kritisieren kann.
Normalo
Ehrlich gesagt brauche ich Amnesty nicht, um zu wissen, dass hierzulande nicht Alles unter "von der Meinungsfreiheit gedeckt" läuft, was manche Menschen gerne sagen und tun möchten. Ich brauche Amnesty AUCH nicht, um beurteilen zu können, ob diese Einschränkungen immer falsch sind.
...und erst recht werde ich nicht darauf warten, dass ausgerechnet Amnesty mal nach nüchterner Abwägung zu dem Ergebnis kommt, ein staatliches repressives Vorgehen gegen selbstgelesen "progressive" Kräfte sei sachgerecht.
van LaudienZ
So ein Bullshit, wenn ich sowas schon wieder lese, krieg ich Plague auf den Zähnen. Soll die Polizei etwa nicht präventiv eingreifen können, bevor sich wieder irgendwelche Idioten an die Straße zementieren oder was?
Und friedlich waren diese Pro-Palistinänser Demonstration bei weitem nicht. Wer anfängt, Autos, Fahnen oder sonstwas anzuzünden oder israelische Menschen anfeindet oder angreift, ist nicht friedlich. Da ist es auch vollkommen richtig, wenn präventiv gehandelt wird. Ich meine, dafür zahle ich doch ein Haufen Steuern, dass die Polizei für RECHT und ORDNUNG sorgt.
Amnesty hat also auch vergessen zu differenzieren…
Jalella
Gibt es eigentlich einen separaten Index für Deutschland und Bayern? Ich denke, die Kriminalisierung der Letzten Generation in Bayern ist nochmal eine ganz andere Hausnummer als die "normale" Hetze im Rest Deutschlands.
Dass die "Pro forma" Inhaftierung von Mitgliedern der LG allerdings weder vom Verfassungsgericht noch von der Innenministerin verurteilt wurde, sagt auch einiges. Rechtsstaat adé.
Encantado
"wurden demnach ... pro-palästinensische Proteste eingeschränkt und teilweise komplett verboten. In mehreren der untersuchten Länder wurden ... bestimmte Gesänge und Symbole auf solchen Protesten verboten"
Ich möchte jetzt nicht daraus schließen, dass Amnesty International die Symbole einer Terrorvereinigung (Hamas) voll in Ordnung findet oder das Singen von Genozidforderungen ermöglichen will. Es fällt mir allerdings schwer, hieraus anderes zu schlußfolgern.
Ich hab kein gutes Gefühl dabei.
funx xsta
@Encantado Das mit den Gefühlen in politischen Belangen ist so eine Sache, geschätzte*r Encantado.
Auch im Kontext des Nahostkonflikt sind Emotionen die Ursache jahrzehntelangen Sterbens und Leidens auf beiden Seiten.
Und angesichts dem, auch hier im Forum, dominierenden, rein emotional geführten ringen um eine zielführende Herangehensweise, die am Ende etwaig eine für beide Konfliktparteien akzeptable Lösung hervor brächte, stehen diese Gefühle im Weg.
Ich persönlich wünschte mir eine rein faktisch, historisch aufgearbeitete Herangehensweise, die aber aufgrund von Partikularinteressen Dritter, unmöglich scheint.
funx xsta
Wo Regierende sich wie Herrscher aufführen, ist Protest umso notwendiger, je mehr er erschwert wird.
Eine von Abhängigkeitsverhältnissen der Protagonisten in die Industrien geprägte Politik, ist angetreten, eine seit Jahrhunderten stringent verlaufende Ausbeutung von Bodenschätzen, Kulturen, Mensch, Umwelt und Tier möglichst unverändert zu erhalten.
Lippenbekenntnisse wechseln sich mit gespielter, weil von Wähler*innem erwarteter, Empörung ab und ein Ruck in die rechte, nationalistisch-ausgrenzende politische Ecke wird als willkommene Ablenkung zu dem Erhalt eines ausbeuterischen, rein auf Konsum ausgerichteten politischen Dogmas genutzt.
Natürlich werden informierte, unangepasste und kreativ Protestierende in diesem System überwacht, behindert und wo das nicht ausreicht gewaltmonopolisiert.
Die Alternative wäre transparent, selbstkritisch und zukunftorientiert mutige Politik gegen das System der Abhängigkeitsverhältnisse zu machen. Und zu riskieren, die politische Macht zu verlieren.
Wir brauchen dringend andere, abders gemachte Politik von Menschen, denen Zukunft mehr ist, als der Zweitwagen, das Haus im Grünen und die eigene Ignoranz ungestört zu pflegen.
Encantado
@funx xsta "Natürlich werden informierte, unangepasste und kreativ Protestierende in diesem System überwacht, behindert und wo das nicht ausreicht gewaltmonopolisiert."
Es wäre sinnvoll, wenn Sie genauer spezifizierten, von wem Sie hier reden. Ich würde schon deutlich differenzieren zwischen - sagen wir mal - friedlichen Demonstranten, Aktivisten mit kleinkriminellen Handlungen, gewaltbereiten Extremisten oder lauten Terrorunterstützern.
Entsprechend sind unterschiedliche Reaktionen darauf absolut angemessen.
Dodoist
Der Übergang von der Demokratie zur Demikratie ist fliessend.
Thomas Müller
@Dodoist Genau so ist es
Dirk Osygus
Gibt es denn eine "Rechenschaftspflicht" der Demonstranten?
Das Problem ist nicht die Einschränkung des Demonstrationsrechts, sondern die zügellose Gewalt gegenüber der Polizei. Das sind in jedem Land der Welt Straftaten und werden auch so bewertet.
funx xsta
@Dirk Osygus Darf ich aus studentischem Interesse an Gewalt bei Protesten mal fragen, worauf Sie sich bei ihrem Betrag beziehen?
Welche "zügellose Gewalt gegen Polizei" führen Sie hier an?
Andreas J
@Dirk Osygus Weil Klimaaktivisten ja auch ständig die Polizei "zügellos" verkloppen. Meinen sie ernsthaft, Amnesty ist nicht in der Lage die Situation zu beurteilen? Und was spricht gegen eine Rechenschaftspflicht der Polizei in einer Demokratie?
Normalo
@Andreas J Ich sach ma so: Amnesty sieht seine Aufgabe darin, auf der Seite der Objekte staatlicher Gewalt zu stehen. Für Argumente, warum diese Gewalt berechtigt sein könnte, sind Andere zuständig, namentlich die Subjekte besager Gewaltausübung.
Encantado
@Andreas J "Weil Klimaaktivisten ja auch ständig ... Meinen sie ernsthaft, Amnesty ist nicht in der Lage..."
Weder im Artikel noch im Amnesty-Bericht ist ausschließlich von Klimaaktivisten die Rede. Eine Verengung auf diese geht am Thema vorbei.
KlaPe0805
@Dirk Osygus "zügellose Gewalt gegenüber der Polizei". Haben Sie dafür konkrete Belege oder ist das nur Geraune?
Jessica Blucher
@Dirk Osygus Es wird oft überhaupt nicht berichtet wenn die Polizei zuerst zuschlägt, da viele Medien sich einfach an Polizeiberichte hällt.
Bartleby208
@Dirk Osygus Gibt es denn Ermittlungen und echte Konsequenzen bei Polizeigewalt? Wie kann man das Problem bitte so verklären und ins Gegenteil umkehren?
Perkele
... und da gibt's noch Zweifel, ob auch in der Bundesrepublik mit zweierlei Maß gemessen wird? Die Öko- und Klimaproteste werden kriminalisiert, die gewalttätigen der Agrarkrawallis hingegen führen zu einem Einknicken der Regierung(en).
Normalo
@Perkele Gegenfrage: Meinen Sie, Amnesty würde sich ernsthaft über repressives Verhalten des hiesigen "Politzeistaates" gegen Nazis und Reichsbürger ausbreiten?