Verbot von Nakba-Demonstrationen: Palästinenser im Visier

Wiederholt hat die Polizei Versammlungen mit Palästina-Bezug verboten, Veranstalter klagen nun dagegen. Auch der Grundrechte-Report übt Kritik.

Zwei Frauen halten eine Palästinener-Flagge und stehen einer Reihe von Polizist*innen gegenüber

Ein Fall zum Verbieten? „Bombardiert Tel Aviv“ riefen Teil­neh­me­r*in­nen dieser Demo am 15.5.21 Foto: AdoraPress/M. Golojewski

BERLIN taz | An diesem Montag ist Tag der Nakba, Arabisch für Katastrophe. Immer am 15. Mai gedenken Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in aller Welt der Flucht und Vertreibung im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948. Dabei kommt es in Berlin bisweilen zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, etwa weil sich Teil­neh­me­r*in­nen antisemitisch äußern – oder Äußerungen von Polizei und Be­ob­ach­te­r*in­nen so interpretiert werden. Fest steht: Versammlungen mit Palästina-Bezug stehen unter verschärfter öffentlicher Beobachtung.

Der Polizei ist dieser Druck wohl zu groß geworden. Seit einiger Zeit fährt sie eine neue Politik gegenüber propalästinensischen Versammlungen: Sie verbietet sie. Im vorigen Jahr betraf es alle Versammlungen zum Nakba-Jahrestag, im April 2023 wurden zwei propalästinensische Veranstaltungen untersagt, am Freitag geschah es erneut: zwei Demos, die dieses Wochenende hätten stattfinden sollen, wurden kurzerhand verboten.

Tanzen Für den Fall erneuter Nakba-Verbote haben sich die Kampagnen-Macher von Nakba75 etwas Neues ausgedacht: “Sie verbieten, wir tanzen Dabke!“ heißt die Aktion, bei der sich Gruppen ab fünf Personen an öffentlichen Plätzen treffen und Dabke, den arabischen Volkstanz, tanzen sollen. Eine erste Probe soll diesem Montag um 18 Uhr stattfinden.

Demonstrieren Die zentrale Kundgebung zum diesjährigen Nakba-Gedenken ist für Samstag geplant. Ab 16 Uhr geht es los am Hermannplatz. Unterstützt wird die Demo vom Verein Jüdische Stimme, Palästina spricht, die Linke Neukölln und dem Linke.SDS-Bundesverband. (sum)

Die Begründung ist in allen Fällen, dass es bei vorherigen Veranstaltungen zu Gewalttaten, -verherrlichung und Antisemitismus gekommen sei. Daher bestehe die „unmittelbare“ Gefahr, dass es auch bei den anstehenden Versammlungen dazu kommen werde. Auch „Auflagen“ für den Veranstalter könnten dies nicht ändern, so die Polizei.

Nun ist ein präventives Verbot von Demos ähnlich heikel wie Vorbeugehaft für Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen – und es ist kein Wunder, dass Un­ter­stüt­ze­r*in­nen der palästinensischen Sache die demokratischen Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit bedroht sehen. In Berlin steht daher das Gedenken in diesem Jahr – die große Demo ist für kommenden Samstag angemeldet und noch nicht verboten – unter der Überschrift “Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht. Nein zum Demonstrationsverbot“.

Zudem setzen sich zwei Organisationen juristisch zur Wehr: Der Verein „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ und die Organisation „Palästina Spricht“ haben soeben beim Verwaltungsgericht Klage gegen das Verbot ihrer Veranstaltungen vom 15. Mai 2022 eingereicht.

Staatliche Willkür am Werk?

„Dieses Verbot basiert stark auf antimuslimischen und antipalästinensischen Vorurteilen“, sagt der Rechtsanwalt der beiden Gruppen, Ahmed Abed, der zudem Bezirksverordneter der Linkspartei in Neukölln ist. Es bestehe die Gefahr, dass die Strategie der Verbote, wenn ihr nicht gerichtlich Einhalt geboten wird, auch auf andere politisch missliebige Veranstaltungen ausgeweitet werde. „Wenn es möglich ist, Versammlungen nur aufgrund weniger negativer Vorfälle zu verbieten, öffnet das der staatlichen Willkür Tür und Tor“, so Abed.

Mit der Kritik steht er nicht alleine: Kürzlich hatten sich über 100 Jü­d:in­nen und Israelis öffentlich gegen ein Verbot palästinensischer Demonstrationen gestellt. Ihr Argument: „Solche antidemokratischen Maßnahmen kommen einer kollektiven Bestrafung gleich und bieten uns als jüdische Ber­li­ne­r*in­nen keinen wirksamen Schutz“.

Die Polizei wiederum begründet die Verbote mit einer Auflistung von früheren Kundgebungen. Vor allem rund um den 15. Mai 2021 sei es bei Versammlungen zu „erheblichen körperlichen Angriffen auf Polizeikräfte, Flaschen- und Steinwürfen“ gekommen sowie zu Ausrufen wie „Bombardiert Tel Aviv“ und „Kindermörder Israel“, hieß es voriges Jahr in der Verbotsbegründung. Palästina Spricht hatte gegen das Verbot einen Eilantrag eingereicht, war damit jedoch vor dem Verwaltungsgericht gescheitert, ebenso beim Oberverwaltungsgericht.

Doch auch der neue Grundrechtereport 2023, der am 23. Mai erscheint und der taz in Auszügen vorliegt, äußert schwere Bedenken. Autorin Nadija Samour kritisiert nicht nur, dass die Polizei die vielen konfliktfreien Versammlungen zum Thema unerwähnt lässt, sondern auch die Charakterisierung der Teilnehmenden. Als Bedrohung beschreibe die Polizei einen „muslimisch geprägten Personenkreis“, darunter viele Jugendliche und junge Erwachsene, die „erheblich emotionalisiert und nur schwer zu beeinflussen“ seien.

„Israelfeindlichkeit“ als Verbotsargument

Für problematisch aus Bürgerrechtssicht hält der Report auch, dass Polizei und Gerichte Ereignisse von diversen Versammlungen „aus dem propalästinensischen Umfeld“ berücksichtigen – Veranstalter würden also auch für Taten Dritter verantwortlich gemacht. Zudem argumentiere die Polizei nicht nur mit Straftaten: „Es genügen vielmehr schon ‚israelfeindliche‘, im Kern aber nicht-strafbare Aussagen wie ‚From the river to the sea – Palestine will be free‘“, so der Report.

Auch Abed kritisiert, dass seine Mandanten für Vorfälle haftbar gemacht werden, mit denen sie nichts zu tun haben. „Die meisten Versammlungen auf dieser Liste waren von anderen Veranstaltern.“ Zudem habe das Bundesverfassungsgericht enge Grenzen für Versammlungsverbote gesetzt, etwa dass die Gefahr für die öffentliche Sicherheit vom Anmelder ausgehen muss. „Die Taten einzelner Teilnehmer reichen nicht für ein Verbot“, so Abed.

Dass die Polizei tatsächlich vieles über einen Kamm schert, zeigt der Fall der Jüdischen Stimme. Keine Veranstaltung dieses Vereins wurde in der „Gefahrenanalyse“ erwähnt. Zudem ging es bei der verbotenen Veranstaltung nicht einmal um das Thema Nakba. Lili Sommerfeld, die zum Vorstand gehört, hatte für den 15. Mai vorigen Jahres eine Mahnwache für die mutmaßlich von israelischen Sol­da­t*in­nen getötete palästinensische Journalistin Schirin Abu Aqla angemeldet. „Die wurde von der Polizei verboten mit dem Argument, sie bewerteten dies als Ersatzveranstaltung für die verbotenen Nakba-Demos“, berichtet sie der taz.

Sommerfeld und ihr Verein, der mit Palästina spricht des öfteren kooperiert, wird immer wieder mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert – zu Unrecht, wie sie meint. „Ich habe auf keiner Veranstaltung von uns oder Palästina Spricht je etwas Antisemitisches gehört. Wenn laut Medienberichten auf Veranstaltungen oder Demos von anderen Organisationen solche Äußerungen fallen, so gehe ich nach allem, was ich über die Community hier in Berlin weiß, davon aus, dass es sich um Einzelfälle von jungen, testosterongesteuerten Menschen handelt, an denen ich nicht die Legitimität einer Gesamtveranstaltung messen möchte.“

Emotionen ja, Antisemitismus nein

Und, fügt sie hinzu, sie könne die „Emotionalität“ auf palästinensischer Seite auch verstehen, etwa wenn Angehörige bei Bombardements in Gaza getötet worden seien. Gleichzeitig distanzierten sich die Jüdische Stimme und Palästina Spricht „immer und überall“ von Antisemitismus, so Sommerfeld, und wiesen auf ihren Veranstaltungen laut darauf hin, dass es ihnen um Kritik an der Politik des Staates Israel gehe. „Offen gesagt, bin ich es leid, dass ich mir als deutsche Jüdin und Enkelin von Holocaust-Opfern ausgerechnet von Nachfahren der Täter immer wieder Antisemitismus vorwerfen lassen muss.“

Auch Qassem Massri von Palästina Spricht betont, seine Bewegung lehne antisemitische Äußerungen auf ihren Veranstaltungen ab. Dies werde aber in der Berichterstattung so gut wie nie erwähnt, „stattdessen werden wir als emotionale Hitzköpfe dargestellt, mit denen man nicht reden kann“.

Als Beispiel nennt Massri eine Palästina-spricht-Demo vom 23. April 2022, die auch die Polizei als Verbotsargument angeführt hatte. Dabei wurde unter anderem ein Journalist als „Drecksjude“ beschimpft, was zu breiter öffentlicher Empörung führte. „Das war ein Jugendlicher!“, betont Massri. „Und wo kommen wir hin, wenn man von den Handlungen einzelner auf ganze Populationen schließt? Das ist der Kern von Rassismus!“

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