Abschaffung der Witwenrente: Charmant in die Altersarmut
Für viele ist die Hinterbliebenenrente eine Aufstockung für den Lebensunterhalt. Eine Kürzung würde nur eins bedeuten: verschärfte Altersarmut.
Über die Rente wird permanent diskutiert, aber ein Thema blieb bisher relativ unbeachtet: die Witwenrente. Doch nun hat die Chefin der Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer eine Reform vorgeschlagen, die darauf hinauslaufen würde, die Witwenrenten langfristig zu kürzen.
Empfohlener externer Inhalt
Konkret stellt sich Schnitzer vor, dass es zu einem „Rentensplitting“ kommt. Dabei werden die Rentenansprüche der Ehepartner hälftig geteilt – und zwar nur die Ansprüche, die tatsächlich während der Ehe erworben wurden. Frühere Beiträge werden nicht berücksichtigt. Wenn dann ein Partner stirbt, erhält der Hinterbliebene diese Hälfte sowie die eigenen Ansprüche, die vor der Ehe entstanden sind.
Auch jetzt ist ein Rentensplitting schon möglich, aber Schnitzer schlägt vor, dass es verpflichtend wird. Faktisch würden damit die Witwenrenten gekürzt, denn bisher erhalten Hinterbliebene im Normalfall 55 bis 60 Prozent der Rente ihres verstorbenen Partners – plus die eigene Rente. Allerdings sind konkrete Berechnungen schwierig, wie groß die Nachtteile tatsächlich wären, weil derzeit das eigene Einkommen des Hinterbliebenen bei der Witwenrente berücksichtigt wird.
Nur eine Minderheit war nie erwerbstätig
Wie auch immer: Klar ist, wer garantiert verlieren würde. Dies wären alle Ehepartner, die selbst nicht arbeiten. Das ist gewollt. „Die jetzige Regelung reduziert die Anreize, eine eigene Beschäftigung aufzunehmen“, sagte Schnitzer dem Spiegel. „Außerdem tragen so alleinstehende Beitragszahlende zur Finanzierung von Rentenansprüchen für nicht erwerbstätige Partner bei, die selbst nicht in das System einzahlen.“
Selbst wenn es zu dieser Reform käme, würde sie nicht sofort greifen. Stattdessen soll es lange Übergangsfristen geben, damit sich alle Arbeitnehmer auf die künftigen Realitäten einstellen können. Die heutigen Rentner müssten also nicht fürchten, dass sie plötzlich ein Teil ihres Einkommens verlieren.
Auf den ersten Blick wirkt es charmant, wenn nicht alle Beitragszahler dafür aufkommen müssten, dass einzelne Ehepartner lieber zu Hause bleiben und nicht arbeiten. Dabei wird jedoch übersehen, dass nur eine Minderheit der Hinterbliebenen nie erwerbstätig war. 2022 bezogen etwa 5,3 Millionen Menschen eine Witwenrente, wovon aber nur etwa 1,2 Millionen keine eigenen Rentenansprüche hatten. Der Rest hat früher gearbeitet – und erhält die Witwenrente zusätzlich.
Rentenkassen benötigen mehr Geld
Diese Zusatzgelder werden dringend gebraucht, damit die alten Menschen überhaupt über die Runden kommen: 2022 erhielten Männer, die auch eine Witwerrente erhielten, im Schnitt 1.717 Euro netto. Frauen mit eigener Rente und Witwenrente bekamen monatlich 1.573 Euro ausgezahlt.
Dies sind Durchschnittswerte. Es gibt viele Rentner, die weit weniger erhalten. Das große Thema lautet also nicht Witwenrente – sondern Altersarmut. Die letzte Statistik stammt vom 1. Juli 2021: Als arm galten damals Rentner, die im Monat weniger als 1.135 Euro bekamen. Das waren rund 18 Prozent der Rentner, also mehr als 3,5 Millionen Menschen, wie die Bundesregierung jüngst auf eine Anfrage der Linksfraktion mitgeteilt hat. Und die Zahl der armen Rentner wird weiter steigen, nicht sinken.
Die Rentenkassen benötigen mehr Geld, wenn Alter nicht zu einem existenziellen Risiko werden soll. Doch die Bundesregierung hat gerade beschlossen, den staatlichen Zuschuss an die Rentenkassen zu deckeln, um die „Schuldenbremse“ einzuhalten. Das kann gar nicht funktionieren. Denn es ist ein Skandal, wenn in einem reichen Land sehr viele Rentner arm sind – obwohl sie diesen Wohlstand aufgebaut haben. Die Rente wird ein Dauerthema bleiben, ganz unabhängig davon, wie die Witwenrente konkret aussieht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann