Unterlassene Evakuierung von Afghanen: Moralisch beschämend
Afghan*innen sollen gegen Geld auf ihre Aufnahme in Deutschland verzichten. Darauf antworten sie mit einem offenen Brief an den Bundeskanzler.
W Wir alle haben eine offizielle Aufnahmezusage der deutschen Regierung und warten seit Monaten und seit Jahren unter ihrem Schutz in Pakistan und in Kabul auf unsere Evakuierung. Wir lernen gerade schmerzhaft, dass die neue Bundesregierung Deutschlands mit immer neuen Wegen versucht, den versprochenen Prozess zu beenden – ungeachtet der Tatsache, dass dadurch unser Leben in akute Gefahr von Tod und Gewalt gerät.“
Das schreiben die Afghan*innen, denen die Bundesregierung vergangene Woche Geld angeboten hat, wenn sie das humanitäre Aufnahmeprogramm „freiwillig“ verlassen, in einem Brief an Kanzler Merz. Sie fahren fort: „Wir sind nicht vor Armut geflohen, sondern vor Gewalt und Tod. Unter uns sind Mütter, deren Kinder vor Angst zittern, wenn nachts jemand an die Tür klopft; Väter, die in den Gefängnissen der Taliban gefoltert wurden; Töchter, denen das Recht auf Bildung genommen wurde.“
Es geht um Menschen, denen humanitäre Aufnahme in Deutschland versprochen wurde. Die jetzige Bundesregierung verschleppt die Verfahren und will die Verpflichtung, die die Ampelregierung eingegangen ist, mit allen Mittel loswerden. Ohnehin werden seit Jahren reihenweise Aufnahmeerklärungen zurückgenommen, meist ohne Begründung. Viele Afghan*innen sind daher nun „illegal“ in Pakistan und jederzeit von Abschiebung nach Afghanistan bedroht.
Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Einige Autor*innen des Briefs wurden bereits nach Afghanistan abgeschoben. Sie betonen, dass das Geldangebot sie nun erst recht gefährdet: Sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan befürchten sie nun Erpressung. Einige wurden vom pakistanischen Geheimdienst befragt, ob sie das Angebot annehmen wollen.
Verbände von Jurist*innen bezeichneten das Angebot der Regierung als „moralisch beschämend, politisch desaströs und rechtsstaatlich ein Skandal“; sie fordern die unverzügliche Aufnahme der Afghan*innen. Kann man noch darauf hoffen, dass sich diese Regierung auf ihre rechtlichen und ethischen Verpflichtungen besinnt?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert