Neonazi-Angriff in Berlin: Junge Journalist*innen geschlagen und getreten
Neonazis haben am Berliner Bahnhof Ostkreuz zwei Journalist*innen angegriffen, die zuvor beim CSD in Bautzen fotografierten. Bereits im Zug gab es Bedrohungen.
Fotos von der Situation, die der taz vorliegen, zeigen, wie sich eine Gruppe von Neonazis gegen 23.20 Uhr auf einem Bahnsteig den beiden Journalist*innen nähert. Auch eine Ausholbewegung und ein Schlag sind darauf zu sehen. Ein Video einer anderen Quelle zeigt wenige Augenblicke später hektische Szenen auf dem darüberliegenden Ringbahnsteig. Polizist*innen verfolgen schwarz gekleidete Personen, die in Richtung eines Ausgangs rennen.
Laut einem Sprecher der Polizei wurden noch vor Ort die Personalien der zwölf aufgenommen, einer sei erkennungsdienstlich behandelt worden. Vorgeworfen wird ihnen Landfriedensbruch. Die beiden Angegriffenen, die zuvor ebenfalls in Bautzen zum Fotografieren waren, aber bereits auf anderem Weg nach Berlin zurückgekommen waren, mussten nicht ärztlich behandelt werden. Der Angriff auf sie sei nicht zufällig erfolgt, so eine der Geschädigten: „Die Neonazis kennen uns.“
Eine mögliche Attacke durch Neonazis hatte sich schon zuvor angedeutet. Gegen 21.30 Uhr machte in linken Chatgruppen ein Hilferuf von Teilnehmer*innen des CSD die Runde. Demnach befänden sich mit ihnen etwa 30 bis 40 „gewaltbereite, alkoholisierte“ Neonazis im RE2 von Cottbus Richtung Hennigsdorf. Aufgrund dieses Hilferufs hatten sich auch die freien Journalist*innen zum Ostkreuz bewegt.
Vermummte Neonazis an Zugtür
Mehrere Fotos aus dem Zug, die die taz einsehen konnte, zeigen Neonazis an einer Verbindungstür zwischen zwei Abteilen. Einem Augenzeugen zufolge hatte die Zugbegleiterin die Tür bei der Abfahrt in Cottbus verschlossen. Auf einem Bild formen die Männer mit ihren Händen die „White Power“-Geste.
Einige der abgebildeten Personen können den Neonazi-Gruppierungen „Deutsche Jugend Voran“ (DJV), „Berliner Jugend“ sowie „Deutsche Patrioten Voran“ zugerechnet werden. Sie sind in der Vergangenheit immer wieder bei Aktionen der Gruppen in Berlin und Brandenburg in Erscheinung getreten.
Polizei glänzt mit Abwesenheit
„Die Situation war sehr bedrohlich“, erzählt ein Augenzeuge am Montag der taz. „Die Neonazis standen an der verschlossenen Tür, haben posiert, sich vermummt und dann minutenlang versucht, die Tür aufzubrechen.“
Laut dem Antifaschisten haben die Schikanen bereits am Bahnhof in Bautzen angefangen. Dort seien die Neonazis noch in einen anderen Zug gesteckt worden. Darunter befand sich nach taz-Informationen auch der bereits im April zu einer mehr als dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilte Anführer der „Deutschen Jugend Voran“ Julian M.
Beim Umstieg in Görlitz seien die abreisenden CSD-Teilnehmer*innen aber wieder auf sie getroffen. Die Stimmung sei aggressiv gewesen, es habe eine Konfrontation am Bahnsteig gegeben – und zunächst seien nur zwei Beamte der Bundespolizei vor Ort gewesen.

Die Gruppen seien erneut getrennt worden, aber wegen der Verzögerungen in Görlitz habe man in Cottbus den Zug nach Berlin verpasst. Am Cottbuser Hauptbahnhof hätten zudem schon weitere Neonazis auf die Antifaschist*innen gewartet, sich am Ausgang postiert.
Schließlich landeten beide Gruppen in der gleichen Regionalbahn. Polizei sei zu keinem Zeitpunkt mit im Zug gewesen.
Ausstieg am Ostkreuz statt am Alexanderplatz
Die CSD-Teilnehmer*innen aus dem Zug baten angesichts der Bedrohungen um eine Abholung am Bahnhof Alexanderplatz in Mitte. Dort fanden sich dann zur Zugankunft gegen 23.30 Uhr nach Schätzung von Beteiligten bis zu 200 Antifaschist*innen ein, die sich am Bahnsteig und an den Ausgängen postierten.
„Am Alex war es richtig toll, es wurde gejubelt, die Leute hatten Kekse dabei und Wasser“, sagt der Augenzeuge. „Es ist eine schöne Erfahrung von Gemeinschaft, wenn Sonntag am späten Abend spontan so viele Leute mobilisiert werden.“
Doch die Neonazis waren bereits zehn Minuten zuvor am Ostkreuz ausgestiegen. Dort kam es noch zu Pöbeleien mit den im Zug verbliebenen ehemaligen CSD-Teilnehmer*innen. Als diese dann weiterfuhren, erfolgte der Angriff auf die Journalist*innen.
Die mutmaßliche Attacke vom Sonntagabend ähnelt einem Vorfall vom vergangenen Sommer. Damals hatten vermummte Neonazis eine Gruppe Antifaschist*innen überfallen, die sich zur gemeinsamen Anreise zu einer Demonstration verabredet hatten.
Hinweis: In einer früheren Fassung hieß es, bei den Angegriffenen habe es sich um CSD-Teilnehmende auf der Rückreise gehandelt. Inzwischen ist klar: Die Betroffenen waren als Journalist*innen in Bautzen und haben dort die rechtsextreme Gegendemo fotografiert.
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