Gesellschaft in der Klimakrise: Nicht Hitze führt zu Klimabewusstsein, sondern Hilfe
Hitze tötet. Aber die Grünen und Fridays For Future haben es nicht geschafft, das Thema in Aufmerksamkeit zu verwandeln.

H itze tötet meist leise und unbemerkt. Bauarbeiter*innen können während der Mittagsstunden eine Pause machen, Mitarbeiter*innen in der ambulante Pflege in ihren 45 Grad heißen Autos Arbeitszeiten verschieben. Aber wer herz- oder lungenkrank ist, wird von Hitze am Tag und in der Nacht immer weiter geschwächt. Der Körper kann sich kaum gleichzeitig gegen 35 Grad und eine Herzkrankheit wehren. Er gibt auf. In Deutschland sterben mehr Menschen an Hitze als im Straßenverkehr, in Europa gab es 2022 doppelt so viele Hitzetote, als ohne Klimawandel zu erwarten gewesen wären. Dazu kommt die Dürre, die zum Beispiel in Brandenburg so schlimm ist wie nie seit Aufzeichnungsbeginn. Das schadet dem Boden, den Feldern, den Wäldern. Am vergangenen Mittwoch brachen allein in Brandenburg zwölf Waldbrände aus. Den Brand in Gohrischheide konnten sogar die 40 Kilometer entfernten Dresdner*innen riechen.
Das ist die Klimakrise. Sie sorgt für Extremtemperaturen, lässt Böden ausdörren und immer mehr Wasser verdunsten. Wasser wird in Form von Starkregen wieder auf den Boden gepresst und verursacht Überschwemmungen, im schlimmsten Fall Sturzfluten wie 2021 im Ahrtal, wo 135 Menschen starben.
Wetterextreme gab es schon, bevor wir anfingen, die Erde mit Kohle, Gas und Öl zu einem Schnellkochtopf zu machen. Weder die Hitze der vergangenen Woche noch jede Überschwemmung oder jeder Sturm sind ausschließlich auf den Klimawandel zurückzuführen. Aber es gelten die zwei h: Die Erderhitzung macht Wetterextreme häufiger und heftiger. Umso bemerkenswerter ist, dass es die Grünen in dieser Katastrophenwoche nicht geschafft haben, in jeder Hitzesondersendung Forderungen nach mehr Klimaschutz unterzubringen. Auch die Klimaorganisation Fridays for Future, die 2018 und 2019 durch Hitzesommer Hunderttausende auf die Straße brachte, scheitert daran, die Temperaturen in Aufmerksamkeit zu verwandeln.
Angesichts der enormen Gefahr für Leben und Wohlstand müsste aber in erster Linie Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) durchs Land touren, Pflegeeinrichtungen ohne Klimaanlage und Waldbrandgebiete besuchen, Linderung versprechen. Aber die Regierung subventioniert lieber Gas aus dem Klimafonds und treibt Gasbohrungen in der Nordsee voran.

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Die beiden SPD-Männer, die das verhindern müssten – Finanzminister Lars Klingbeil und Umwelt- und Klimaminister Carsten Schneider –, scheinen im Fall Klingbeil unwillig und im Fall Schneider machtlos, der fossilen CDU-Spitze etwas entgegenzusetzen. Schneider kann nur zusehen, wie zuerst CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche und dann Merz die Erreichbarkeit der Klimaneutralität 2045 infrage stellen, ein auf Druck des Bundesverfassungsgerichts gesetzlich verankertes und – von der Industrie attestiert – vollkommen machbares Ziel. Immerhin an einer Stelle hat Schneider den Generalangriff der CDU-Spitze abgewehrt: bei den Geldern für Klimaschutz durch Wälder und Moore.
Nachbarn zum Trinken animieren
Eine Weile hofften Klimaschützer*innen, dass die Menschen Klimaschutz fordern würden, wenn die Klimakrise nur offensichtlich genug würde. Sieben Jahre nach den ersten Klimastreiks kann man sagen: So funktioniert es nicht, im Gegenteil. Wo monströse Hurrikane in den USA ganze Dörfer zerstörten, wählten sogar mehr Menschen den Klimaleugner Donald Trump. Nach der Flutkatastrophe im spanischen Valencia mit über 200 Toten gewann die rechtsextreme Partei Vox an Beliebtheit. Die Rechten mobilisieren und helfen nach Katastrophen. In den von Hurrikanen zerstörten Gebieten in den USA errichteten faschistische Milizen sogar Zonen, in die sie keine staatlichen Katastrophenhelfer*innen ließen.
Bevor der Sozialstaat die Daseinsvorsorge übernahm, taten das häufig Parteien und Gewerkschaften. Sie kümmerten sich um Witwen, halfen Arbeitsunfähigen. In der Klimakrise müssen sie zusammen mit der Klimabewegung diese Funktion wiederentdecken: Wer für mehr Klimaschutz kämpft, klingelt regelmäßig bei älteren Nachbarn und ermuntert zum Trinken, verliert nebenbei ein paar Worte über erneuerbare Energien und den ÖPNV. Parteien können kühle Räume für Menschen zur Verfügung stellen, die in Dachgeschosswohnungen leben, Gewerkschaften in Betrieben für konsequenten Hitzeschutz kämpfen.
Dieser Sommer mit seinen verbrennenden Forsten, verdorrenden Feldern und sterbenden Herzkranken wird uns mild vorkommen, wenn wir ihn mit den Sommern vergleichen, die uns noch bevorstehen. All die damit einhergehenden Katastrophen müssen tragischerweise zugleich Gelegenheiten sein, Demokratie, Freiheit und Klimaschutz durch die Klimakrise zu retten.
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