Start der Münchner Sicherheitskonferenz: Kulturkampf gegen Europa
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz provoziert der US-Vize J. D. Vance die europäischen Nato-Partner. Nicht nur Boris Pistorius reagiert empört.
![JD Vance JD Vance](https://taz.de/picture/7531730/14/37677070-1.jpeg)
In seiner 18-minütigen Rede kritisierte Vance den Weg, den die Regierungen in Europa eingeschlagen hätten. Die Verhältnisse in manchen Ländern auf dem alten Kontinent würden ihn wegen deren vermeintlicher Planwirtschaft und Zensur an die Sowjetunion erinnern. „So wie die Biden-Regierung verzweifelt versucht hat, Menschen zum Schweigen zu bringen, damit sie nicht ihre Meinung sagen, wird die Trump-Regierung genau das Gegenteil tun, und ich hoffe, dass wir dabei zusammenarbeiten können“, sagte Vance.
Vance beklagte, dass die freie Meinungsäußerung angeblich von den Regierungen in der EU attackiert werde. „Ich fürchte, in Großbritannien und ganz Europa ist die Meinungsfreiheit auf dem Rückzug“, sagte er. Als Beispiel nannte er die vermeintliche Zensur in den sozialen Medien. „Es scheint so, als würden sich viele Regierungen hinter dem Vorhang der Desinformation verstecken, um die Meinungen ihrer Bürger zu unterdrücken“, sagte er. Es mache jedoch keinen Sinn, über die gemeinsame Sicherheit zu reden, wenn man nicht einig sei, was man an Werten verteidige.
Die Regierungen in Europa würden nicht auf ihre Wähler hören, tönte Trumps rechte Hand. Das zeige sich auch in der Frage der Migration. Die europäischen Wähler hätten nicht dafür gestimmt, „die Schleusen für Millionen von ungeprüften Einwanderern zu öffnen“, sagte Vance. Seine Rede gipfelte in der Aussage: „Ich denke, dass es kein dringlicheres Thema gibt als die Massenmigration.“ Auch kritisierte er die Entscheidung der Veranstalter der MSC, rechtspopulistische Politiker:innen nicht einzuladen. „Es gibt keine Berechtigung für Brandmauern“, so Vance.
Was bei seinem etwas bizarren Auftritt völlig fehlte, waren Hinweise auf die Zukunft der Ukraine. Besonders in einer Woche, in der die US-Regierung die transatlantische Beziehung auf eine große Probe gestellt hat, war dies bemerkenswert. Trump hatte nach einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor wenigen Tagen angekündigt, dass die beiden Länder mit Friedensgesprächen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs beginnen würden.
Nur wenig später erklärte der US-Verteidigungsminister Pete Hegseth in Brüssel, dass eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine aktuell nicht zur Debatte stehen. Das war immer eine Bedingung Putins gewesen. Ein baldiger „Frieden“ scheint nunmehr nicht mehr ausgeschlossen – allerdings wohl über den Kopf der Ukraine hinweg und verbunden mit einer Abtretung von ukrainischen Gebieten an Russland.
Die Pläne aus Washington stoßen in Europa auf Widerstand. Vor allem die Idee eines Friedens ohne die Mitwirkung der Ukraine ist für Europa und die Ukraine selbst ein „No Go“. Doch Vance ignorierte das Thema komplett und nützte lieber die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit dazu, um die Verbündeten der USA zu belehren, was Demokratie bedeutet. Der Beifall im Saal hielt sich stark in Grenzen.
Der MSC-Vorsitzende Christoph Heusgen hatte vor Beginn der Konferenz vermutet, dass Vance den Abzug eines „großen Teils der amerikanischen Truppen aus Europa“ ankündigen werde. Doch auch davon war von Vance nichts zu hören. Stattdessen rief er nur sehr allgemein dazu auf, mehr für die eigene Verteidigung zu tun. Es sei ein „wichtiger Bestandteil eines gemeinsamen Bündnisses, dass die Europäer sich stärker engagieren“. Die USA müssten sich derweil „auf die Regionen der Welt konzentrieren, die in großer Gefahr sind“. Konkreter wurde Vance nicht.
Geradezu schockiert reagierte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius´(SPD) auf den Auftritt von Vance. „Die Demokratie wurde vom Vize-US-Präsidenten für ganz Europa infrage gestellt“, sagte er empört. Vance habe die Zustände in Europa mit autoritären Regimen gleichgestellt. „Meine Damen und Herren, das ist nicht akzeptabel“, sagte Pistorius unter großem Applaus des Publikums.
Bundespräsident Steinmeier zeigt sich äußerst besorgt
Vor dem Auftritt von Vance hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Eröffnungsrede bereits ungewöhnlich deutliche, ja geradezu unpräsidiale Worte über die neue US-amerikanische Administration gefunden. Er bescheinigte ihr, sie habe „ein anderes Weltbild“, und zwar „eines, das keine Rücksicht nimmt auf etablierte Regeln, auf gewachsene Partnerschaft und Vertrauen“. Es sei „nicht im Interesse der Staatengemeinschaft, dass dieses Weltbild das dominierende Paradigma wird“. Regellosigkeit dürfe nicht zum Leitbild für eine Neuordnung der Welt werden.
Steinmeier, der Vance am Freitagvormittag getroffen hatte, zeigte sich sichtlich besorgt. „Ja, we got the message: Wir brauchen eine ausgeglichene Lastenteilung zwischen Europa und den USA“, sagte er in Richtung der Trump-Regierung. So müsse sicherlich auch über die Reduzierung US-amerikanischer Truppen in Europa gesprochen werden. Aber er habe, berichtete Steinmeier von seinem Gespräch mit Vance, dem US-Vize „gesagt: Was immer Ihr entscheidet, besprecht es mit uns.“ Das hatte schon etwas von einem Flehen. Keiner könne „das Interesse haben, Fähigkeiten der Nato kurzfristig zu schwächen oder die Nato gar langfristig infrage zu stellen“, warnte Steinmeier.
Mit Blick auf die Ukraine sagte der Bundespräsident, zwar würden sich alle wünschen, dass der Krieg dort zu Ende geht. Aber wie dieser Krieg zu Ende gehe, habe „bleibenden Einfluss auf unsere Sicherheitsordnung und auf die Machtposition Europas und Amerikas in der Welt“. Er sei überzeugt, dass ein bloßes „make a deal and leave“ nicht nur die Ukraine und Europa, sondern auch die USA schwächen würde. Deshalb müsse auf jeden Fall die Unterstützung der Ukraine weitergehenin. Außerdem erfordere jedes Szenario „unsere gemeinsame Abschreckungskraft und Stärke“.
Dazu gehört für Steinmeier auch eine Erhöhung der deutschen Militärausgaben auf erheblich mehr als die gegenwärtigen rund 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das Zwei-Prozent-Ziel, wie es die Nato 2014 in Wales verbindlich vereinbart habe, stamme „aus einer anderen Zeit“. Jetzt müssten „wir deutlich mehr aufwenden“. Daran gehe kein Weg vorbei. Jede neue Bundesregierung werde „dafür die notwendigen finanziellen Spielräume schaffen müssen“.
Ursula von der Leyen sucht Gemeinsamkeiten
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach vor Vance. Sie versuchte die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen. „Wir sind bereit, eine Einigung zu finden, die für alle funktioniert“, sagte sie in ihrer Rede. Sie sprach von einem historischen Moment. „In den letzten Tagen wurde viel geredet, wir stehen erst am Anfang dieses Prozesses“, so die CDU-Politikerin mit Blick auf eine mögliche Friedensordnung für die Ukraine.
„Die Ukraine will den Frieden mehr als jedes andere Land“, sagte von der Leyen. Doch es gehe um eine Lösung, die gerecht und dauerhaft sei. Sie mahnte, autoritäre Staaten weltweit würden jetzt auf diesen Prozess blicken, in dem es auch darum gehe, ob die internationale Gemeinschaft über Brüche mit dem Völkerrecht und Gewalt hinweggehe.
Gleichzeitig forderte die Kommissionspräsidentin, dass in der EU nun auch gehandelt werden müsse. Sie stellte dabei aber keine gemeinsame Strategie in Bezug auf die Ukraine in Aussicht, sondern betonte die Notwendigkeit, dass in den Mitgliedsstaaten mehr Geld für Verteidigung ausgeben werden müsse. „Europa muss mehr mitbringen an den Verhandlungstisch“, sagte sie.
Chinas Außenminister gegen das „Gesetz des Dschungels“
Der chinesische Außenminister Wang Yi sprach von einer Phase des „Chaos“ in der Weltordnung. „Ohne Normen, ohne Standards kann es sein, dass man an einem Tag am Tisch sitzt und am anderen Tag auf dem Teller landet“, sagte der Pekinger Chefdiplomat in seiner Rede. Er versuchte das Reich der Mitte als den Garanten der internationalen Weltordnung darzustellen. „China wird in dieser multipolaren Welt ein Pol der Sicherheit sein.“
München ist für Wang nur eine Durchreisestation unterwegs auf einem Besuch in den USA. Die US-Administration und Putin erwähnte er nicht namentlich, als er sagte, er habe den Eindruck, dass in der Welt „das Gesetz des Dschungels“ Einzug gehalten habe. „Einige Länder haben sich dem Gesetz des Stärkeren verschieben.“ China dagegen setzte sich für die Gleichheit der Länder ein. „Souveränität und territoriale Integrität muss respektiert werden, dass muss auch für die chinesische Wiedervereinigung gelten“, sagte Wang – und ließ so nonchalant die chinesischen Ambitionen Richtung Taiwan durchblicken.
Die Konferenz begann am Freitagmittag mit einer Schweigeminute für die mehr als 30 Verletzen des Anschlags von München am vergangenen Donnerstag. Unter den mehreren hundert Teilnehmer:innen an dem noch bis Sonntag dauernden Hochsicherheitsevent im Bayerischen Hof bedinden sich rund 60 Staats- und Regierungschefs sowie über 100 Minister:innen. Der Auftritt von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist für Samstag geplant, ebenso wie der des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Wie in den vergangenen zwei Jahren sind auch dieses Jahr offiziell keine Vertreter aus Russland und Belarus eingeladen.
Der Bereich rund um den Bayerischen Hof ist großräumig abgesperrt, die Polizei wird von Freitag bis Sonntag mit rund 5.000 Kräften im Einsatz sein. Unterstützt wird sie von Einsatzkräften aus anderen Bundesländern und Österreich. Für Samstag sind traditionell verschiedene Demonstrationen geplant. Die größte dürfte die traditionelle Anti-Siko-Demo vom Stachus zum Marienplatz sein, zu der das linke „Aktionsbündnis gegen die Nato-Sicherheitskonferenz“ mit bis zu 5.000 Teilnehmer:innen rechnet.
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