Wahlniederlage der Grünen: Die fetten Jahre sind vorbei

Auf 20 Prozent werden die Grünen so schnell nicht mehr kommen. Sie müssen sich fragen: Wie können sie mehr aus dem Zuspruch machen, der ihnen bleibt?

Terry Reintke, Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahl 2024, schaut zerknittert

Terry Reintke war die Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahl Foto: Christoph Soeder/dpa

Die Grünen sind nach der Wahlniederlage vom Sonntag ratlos: Eine abschließende Erklärung dafür, warum ihre Verluste so stark ausgefallen sind, haben sie noch nicht gefunden. Kein Wunder, das Ergebnis ist komplex. Höchstens eines lässt sich schon jetzt mit Sicherheit sagen: In der Wahlkampagne den Kampf gegen rechts und für die Demokratie ins Zentrum zu stellen, hat nicht funktioniert.

Die Partei hatte dem Thema in den letzten Monaten zwar eine Eintrittswelle zu verdanken, bei einem harten Kern wirkte es also mobilisierend. In Wählerstimmen hat sich das aber nicht umgesetzt – weil das Thema entweder in der Breite kein entscheidendes Argument für die Stimmabgabe ist, oder weil die Grünen damit kein Alleinstellungsmerkmal hatten. Gegen rechts sind schließlich auch andere.

So oder so: Um bei Wahlen zu punkten, reicht die Abgrenzung gegenüber Demokratiefeinden nicht aus. Dafür müssten auch eigene, positive Inhalte sichtbarer werden: Was haben die Grünen im Angebot, um das Leben der Wäh­le­r*in­nen konkret besser oder zumindest nicht schlechter zu machen?

Am naheliegendsten ist es da natürlich, am materiellen Lebensstandard der Menschen anzusetzen. Umfragen zufolge war die soziale Sicherheit eines der wahlentscheidenden Themen. Klar: In Krisenzeiten suchen die Menschen nach Halt. Die Grünen sind in der Hinsicht im Nachteil. Grundsätzlich, weil sie Veränderungen anstreben und Veränderung verunsichert.

Und konkret, weil ihr Heizungsgesetz noch immer nachwirkt. Vor über einem Jahr legte Klimaminister Robert Habeck einen ersten Entwurf vor, der viele im Land verschreckte – weil er strenge Regeln vorsah und noch keine soziale Abfederung beinhaltete. Seit diesem Zeitpunkt steckten die Grünen im Umfragetief und kommen über 15 Prozent nicht hinaus.

Wohlstand reicht nicht

Prinzipiell hat die Partei die offene Flanke erkannt. In ihrer Wahlkampagne hat sie versucht, den Klimaschutz mit einem finanziellen Sicherheitsversprechen zu verknüpfen. Arbeitsplätze sichern, Wohlstand erhalten: Das war diesmal ihr größtes Argument für die Transformation. Das Versprechen blieb aber offenbar zu abstrakt. Welche drei Maßnahmen hatten die Grünen bei der Europawahl denn im Angebot, die dafür gesorgt hätten, dass es den Menschen in der Breite finanziell wieder besser geht? Eben: Da war nicht viel, was hängenbleiben konnte.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Selbst mit einer perfekten Performance wären große Sprünge für die Grünen im Moment nicht drin. Die Zeiten von 20 Prozent und mehr sind auf mittlere Sicht vorbei. Ein Grund dafür liegt im Zeitgeist und dem schon angesprochenen Unwillen zur Veränderung in Zeiten der Krisen. Auch in anderen europäischen Ländern haben die Grünen am Sonntag verloren. Die Rahmenbedingungen sind eben mies, auch abgesehen von spezifischen Fehlern der nationalen grünen Parteien.

Und die Länder, in denen Grüne doch zulegen konnten – unter anderem Niederlande, Schweden und Dänemark – vereint eines: Sie sitzen dort in der Opposition. Für die deutschen Grünen ist die Regierungsbeteiligung mittlerweile eine Last, weil sie in komplexen Zeiten in einer so stark inhaltlich getriebenen Partei zwangsläufig Enttäuschungen produziert.

Erfolgreich war die Partei vor ein paar Jahren, aus der Opposition kommend, mit einem Sowohl-als-auch-Ansatz: Sie nahm die Kern­wäh­le­r*in­nen mit, erreichte aber auch neue Gruppen in der politischen Mitte.

Jetzt deuten Daten zur Wählerwanderung eher auf ein Weder-noch hin: Auf der einen Seite haben die Grünen stark an die CDU verloren, viele Wäh­le­r*in­nen nehmen sie mittlerweile wohl als zu radikal wahr. Auf der anderen Seite haben sie aber auch Verluste in Richtung Kleinparteien, viele andere ehemalige Grünen-Wähler*innen sind diesmal sogar ganz zu Hause geblieben. Das deutet darauf hin, dass der Partei auch ihre Kompromisse in der Koalition schaden.

Nicht nur auf Stimmen schielen

Der linke Flügel der Grünen kann nun mehr Klarheit fordern, der Realo-Flügel mehr Pragmatismus. Unterm Strich geht es in dieser Diskussion aber auch nur um ein paar Prozentpunkte in die eine oder andere Richtung, wenn überhaupt. Was sich am einen Ende des Wählerspektrums gewinnen lässt, ginge am anderen Ende wieder verloren.

Sinnvoll wäre es daher, wenn sich die Grünen in ihrer Analyse nicht nur fragen, welche Korrekturen sich wie auf die nächsten Wahlen auswirken. Sondern auch, wie sie mit dem, was sie haben, besser arbeiten können – wie sie also ihr aktuelles Potenzial von 10 bis 15 Prozent politisch am besten nutzbar machen.

Im Regierungshandeln war ihnen bisher oft die Einigung an sich wichtiger als das Durchsetzen der eigenen Inhalte – der Außendarstellung der Ampel zuliebe. Zuletzt waren sie sogar so weit gegangen, ohne Not das Klimaschutzgesetz der Großen Koalition zu entkernen, womit sie SPD und FDP aus der Verantwortung entließen, in ihren Ressorts zu liefern.

An der Wahlurne, das hat sich am Sonntag gezeigt, hilft den Grünen übergroße Rücksicht aber nicht. Das zerstrittene Image wird die Ampel eh nicht mehr los. Es ist zwar auch nicht so, dass mehr Konfliktfreude den Grünen unbedingt mehr Stimmen bescheren würde. Mehr politische Erfolge brächte sie ihnen aber vielleicht schon.

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Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.

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