Kritik an Protesten: Sind Klimaschützer die Mehrheit?
Transformation fürs Klima ist wichtig, das wissen längst alle. Traditionelle Widerstandserzählungen sind überholt.
K limaschutz-Aktivisten haben in dieser Woche in Berlin einen kleinen Baum vor dem Kanzleramt gefällt, um die „Zerstörung der Zivilisation durch Wirtschaft & Politik sichtbar“ zu machen. Putzig, danke vielmals. Da wären wir ja ohne die pädagogisch-metaphorische Belehrung der „Letzten Generation Hänschen klein“ niemals drauf gekommen.
Offenbar hält diese Truppe die Deutschen, also uns, für bescheuert, gehirngewaschen durch Konsumfetischismus und so was, und deshalb apathisch und ignorant gegenüber bösen Kapitalisten und ihren liberaldemokratisch gewählten Helfershelfern, sodass man uns wachrütteln muss.
Das ist eine traditionelle Widerstandserzählung, sie stimmt halt nur so nicht. Vor allem ist sie nicht produktiv zu bekommen. Was wäre denn die Alternative zu Marktwirtschaft und parlamentarischer Demokratie? Linksautoritäre Staatswirtschaft ja wohl nicht, in der die Läden halbleer sind, die Staatskassen ganz leer und die Leute davonrennen, wenn man sie nicht erschießt. Ich chargiere jetzt auch mal etwas.
Oder sorgen statt gewählter Parlamentarier ausgeloste Bürger dafür, dass es keine unterschiedlichen Interessen mehr gibt? Und dann sind wir alle gute Menschen, und es kommt zu einem kollektiven moral change hin zu einem Kleinstfußabdruck-Lebensstil ganz ohne Bali-Flüge? Get a life.
Protest ist ein System
Protest ist ein System und hat eine Funktion. Aber wenn die sozialökologische Transformation nach den verlorenen CDU-SPD-Jahrzehnten jetzt an Dynamik gewinnen soll (und das soll sie!), muss die Gesellschaft wissen, an welchem Punkt wir jetzt sind. Und da finde ich die These des sozialökologischen Politikers Boris Palmer diskussionswürdig, dass wir über die Phase hinaus seien, in der es noch darum ging, politische Mehrheiten zu gewinnen und die Leute mit apokalyptischen Endzeitdrohungen zu bearbeiten. Das heißt: Wir wissen mehrheitlich, dass wir transformieren müssen, sehen die vielen Vorteile und wollen das jetzt auch tatsächlich machen.
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Leider gehen damit die Herausforderungen erst los. Doch es sind eben andere als die, die wir bisher bearbeiteten. Und sie sind womöglich noch größer. Es braucht eine gesetzliche, digitale, unternehmerische und handwerkliche Infrastruktur des Machens. Beispiel: Wenn die entsprechende Gesetzesvorlage des grünen Wirtschafts- und Klimaministeriums durch den Bundestag ist, müssen Windräder in sehr großer Zahl produziert sein, am besten von weltmarktorientierten deutschen Firmen, und dann unverzüglich von Behörden genehmigt, von Fachkräften hingestellt und in Betrieb gebracht werden. Dito Solaranlagen, dito Wärmepumpen. Dito Ladeinfrastruktur für unsere Elektroautos. Und so weiter.
Das klingt jetzt in der alten Change-the-world-yeah-yeah-Romantik etwas lahm. Gerade mancher traditionelle „Radikal“-Sprecher wird sich damit schwertun. Aber wer wirklich seit Jahren als verantwortlicher Politiker oder in Energie-Genossenschaften die Transformation voranbringt, weiß, wovon die Rede ist: Sitzungen, Anträge, Vorschriften von 1896, Bürokratie-Irrsinn.
Protestieren, so verständlich das in emotionaler Not sein mag, ist nicht die zentrale Aufgabe der nächsten Zeit. Es geht jetzt um eine Infrastruktur des Machens. Wir brauchen Firmen, wir brauchen Produkte, wir brauchen Installateure, wir brauchen eine funktionierende Bürokratie. Was wir gar nicht brauchen, ist eine anachronistische Widerstandshaltung, die das Missverständnis pflegt, die postfossile Bewegung sei in der Minderheit. Ja, die FDP bremst, und andere blockieren noch.
Aber wir sind die Mehrheit.
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