Wider besseres Wissen: Wir sind die Klima-Frevler
Mein Auto, mein Vollbad, meine Frischhaltefolie: Auch taz-MitarbeiterInnen wollen im Kampf gegen die Erderhitzung nicht auf alles verzichten.
Laut und wunderbar: Motorrad fahren
Früher bin ich mit dem Motorrad täglich zur taz gefahren, wo es dann in einer Flotte aus Fahrrädern parkte. Irgendwann meinte ein Kollege halb verwundert, halb vorwurfsvoll: „Ach, dir gehört der laute Stinker!“, und ich dachte nur: „Yepp, mir gehört diese wunderbare Moto Guzzi!“ Tut mir leid, es tut mir nicht leid. Ich fahre zu gerne Motorräder, als dass ich jemals darauf verzichten würde. Seit mehr als drei Jahrzehnten bewege ich welche mit mehr als 100 PS und werde damit im Leben nicht aufhören. Wenn ich den Helm nicht längst schon meiner Gesundheit oder meinen besorgten Kindern zuliebe an den Nagel gehängt habe, warum dann „fürs Klima“, was übersetzt sowieso nur „als Signal meiner Tugendhaftigkeit“ bedeutet? Bei einer Leistung, von der ein Ulf Poschardt in seinem 911er Porsche nur träumen kann, verbraucht so ein Teil so viel wie ein Fiat Panda – und beansprucht weniger Platz als ein Lastenrad. Ein Motorrad kann ich mir also mühelos schönrechnen. Leider besitze ich inzwischen deren zwei – und liebäugelte gerade mit einem dritten. Meine Guzzi ist Verkehrsmittel, Sportgerät, Achterbahn und psychiatrischer Notdienst all rolled into one. Sobald ich in den Alpen, in den Cevennen oder im hintersten Odenwald ein E-Motorrad aufladen kann, werde ich mir eines anschaffen. Ich bin in das Fahren verliebt, nicht in den Verbrenner.
Arno Frank, Autor
Horizont erweitern: (Fern-)Fliegen
Eine gewisse Flugängstlichkeit ist mir nicht fremd, Flugscham jedoch schon. Mir graust vor Winden in großer Höhe, weil der Flieger dann wackelt. Ein übles Gefühl, keinen sicheren Boden unter den Füßen zu wissen, das kennt auch, wer schon mal auf Eis mit dem Fahrrad oder dem Auto ins Schlingern kam. Aber Scham? Dieses peinigende Gefühl, sich blamiert zu haben, vielleicht unter Aufsicht anderer Menschen? Beschämen könnte einen vieles, aber das politische Projekt, den Klimawandel umzudrehen? Feel bad? Nein, nicht beim Fliegen. Hier gilt mir, Jahrgang 1957, immer noch, dass es zu viele Orte auf der Welt gibt, die ich sehen möchte, die aber nicht mit der Bahn oder zu Fuß erreicht werden können. Mir ist es kulturell wie eingeschrieben, in die Welt rauszugehen, zu gucken, was hinterm Horizont so los ist. Bloß provinziell bleiben, sich in Bescheidenheit üben? Nö! Tel Aviv, Cork, Odessa, Tiflis oder Bilbao, Kanada, Oman, Uruguay, vielleicht die Südstaaten der USA (Kentucky!) – das wären Ziele, die ohne Flugzeuge zu erreichen zeitrealistischerweise nicht möglich wäre. Reisen ist doch kein religiöser Pilgerweg, sondern ein Stream in andere, von Menschen erschaffene Wirklichkeiten. Fliegen auf kürzeren Etappen – keine Lust. Selbst Wien – von Berlin aus – oder Saarbrücken: kein Problem mit Bahnen und bloß nicht mit dem Auto (ist ja nur Stress!). Aber die Welt weiter zu erkunden, meine Welt, das geht nicht ohne Fliegen. Nur in der eigenen Hood bleiben? Also bitte, wie abwegig ist das denn?
Jan Feddersen, Redakteur für besondere Aufgaben
Luxus genießen: Ski fahren
Ja, ich weiß, Skifahren ist schlecht für die Umwelt und das Klima. Seilbahnen und Schneekanonen blasen CO2 in die Luft. Die Beschneiung ruiniert den Wasserhaushalt ganzer Ökosysteme. Abseits der Pisten störe ich Tiere bei der Winterruhe. Trotzdem fahre ich immer noch Ski. Ich rede mir dann ein, dass das ja alles nicht so schlimm ist, weil durchschnittlich 75 Prozent der CO2-Emissionen beim Skitourismus durch die meist lange Anreise der Touristen mit dem Auto entstehen – da ich in Innsbruck lebe, fahre ich einfach mit dem Bus. Außerdem gibt es die Skigebiete schon, weswegen ich nichts kaputt mache, das nicht schon kaputt ist. Aber wenn ich ehrlich bin, fahre ich Ski, weil es geil ist und ich es ohne großen Aufwand kann. Hier in Innsbruck habe ich den Luxus, auch außerhalb der Ferienzeiten über leere Pisten zu carven, mich an unverspurten Tiefschneehängen zu erfreuen oder mit den Tourenski einen verschneiten Gipfel zu besteigen. Solange ich hier lebe, will ich den auch genießen.
Denis Pscheidl, Ex-Praktikant, jetzt Redakteur bei der target-Group in Innsbruck
Tausend Gründe: Schweinsbraten essen
Weil ich schon immer gerne einen gegessen habe. Weil das früher einfach normal war. Weil ich noch nie Avantgarde gewesen bin. Weil sich nichts so schön anhört wie das Geräusch, das entsteht, wenn die Zähne die Kruste zermalmen. Überhaupt die Kruste! Weil ein Knödel alleine ja auch nicht die Lösung ist. Weil ich sonst gar nicht so bin und auch mal einen Salat esse. Weil der Krautsalat, der meistens dabei ist, zum Niederknien sein kann. Weil ich aus Bayern bin und gar nicht anders kann. Weil es sich um ein Kulturgut handelt. Weil ich meine Herzprobleme mittlerweile eigentlich im Griff habe. Weil ich nicht alleine bin und es anderen auch gut schmeckt. Weil man im Lokal meistens zwei dicke Scheiben für relativ wenig Geld bekommt. Weil ich einen guthabe, nachdem ich in diesem Sommer dann doch nicht nach Marokko geflogen bin. Weil ich mich nicht rechtfertigen möchte. Es gibt viele Gründe, Schweinsbraten zu essen. Ob sie wirklich gut sind, weiß ich nicht.
Andreas Rüttenauer, Sportredakteur
Einfach geil: Cabrio driften
Der Zündschlüssel steckt, die Fahrbahn ist frei. Ich trete aufs Gas und atme aus. Denke daran, wie wir als Kinder noch Autoscooter gefahren waren – immer und immer wieder. Später – als irgendjemand von uns schon 18 war – drifteten wir auf dem Parkplatz von Kaufland, bis uns schlecht wurde. Schließlich war’s um mich geschehen. Klar, ich besitze natürlich kein Auto und so, das wäre ja peinlich in der woken Berliner Bubble. Ein Tempolimit wäre auch nur vernünftig, das weiß ich. Und parken kann man hier ja auch nirgends. Überall nur Einbahnstraße, Sackgassen und Kopfsteinpflaster. Die genau das verhindern, weswegen ich dieses Fahrzeug aus Blech und Abgasen so liebe: das Schnellfahren. Die kurze Illusion von Freiheit und Fahrtwind im Haar. Herzpochen, weil man perfekt um die Kurve fegt. Jetzt und hier, einmal im Jahr weit weg von allem, auf den staubigen Straßen Spaniens. Hier ist das doch okay. Okay, dass ich das Gaspedal etwas stärker durchdrücke, als die Straßenschilder es erlauben. Ich weiß, es gibt keine Rechtfertigung, außer, dass es sich auf eine hedonistische Art einfach geil anfühlt. Der Staub wirbelt an meinen Seiten hoch und ich fühle mich ein kleines bisschen wie bei „Mad Max“. Mit allen negativen Folgen wie Wasserknappheit, Dürre, Untergang, die der Film anspricht und die ganz schleichend auch bei uns immer präsenter werden.
Ruth Fuentes, Volontärin
Ritual: Vollbaden
Ich habe dieses Ritual: vorm Schlafengehen duschen. Nicht kurz und kalt, wie Robert Habeck, sondern richtig lange und richtig heiß. Im Winter ersetze ich die lange heiße Dusche auch gerne durch ein Vollbad. Bei dem ich immer wieder heißes Wasser nachfülle. Geht natürlich gar nicht. Bis jetzt hatte ich ein schlechtes Gewissen. Aber spätestens mit der nächsten Erhöhung der Gaspreise im Oktober wird das richtig teuer. Und deswegen dachte ich, es sei günstig, schon im Sommer mit der Umgewöhnung zu beginnen. Ich dusche also nur noch zweimal pro Woche, kurz und lauwarm. Beim Baden (seit Juli drei Mal) lasse ich weniger als die Hälfte der Wanne voll Wasser. Wir haben die Waschlappen rehabilitiert. Richtig unangenehm wird es wohl erst, wenn wir ab Oktober das Bad nicht mehr heizen.
Gaby Coldewey, Auslandsredaktion
Entstressen: Mit Frischhaltefolie einpacken
Diese Ignoranten! Ignorant:innen natürlich. Wobei in den fettesten Autos eben doch meist Personen sitzen, die ich als männlich lese. Jetzt kommt schon wieder das Röhren von so einem motorisierten Monstrum durchs Küchenfenster, das wahrscheinlich gerade ein paar Fahrradfahrer:innen bleibende Traumata verpasst und dabei zusammen mit einer großen Wolke Gestank ein paar Kilo CO2 in die Luft pustet. Ich versuche, eine Schale übrig gebliebene Knoblauch-Mayo mit einem wiederverwendbaren Wachstuch abzudecken, und fühle mich ein bisschen überlegen. Und total genervt. Erst von dem Auto. Dann von mir: Vielleicht sitzt jemand in dem Fahrzeug, der aus körperlichen Gründen nicht Fahrrad fahren kann und mangels Fahrstuhl an der nächsten Station auch am U-Bahn-Fahren gehindert wird? Aber das Allernervigste ist in dieser Sekunde, dass die bescheuerten Wachstücher sich zwar latent klebrig anfühlen, aber trotzdem an nichts haften bleiben. Wussten Sie, dass für eine Tonne Einwegplastik fünf Tonnen CO2 anfallen? Aber wissen Sie was? Ich kaufe wieder Frischhaltefolie, in all ihrer unökologischen Transparenz. Sich wegen jeder alltäglichen Kleinigkeit Stress zu machen, erschöpft – und verleitet auch noch dazu, sich über die Menschen um einen herum zu ärgern. Aber ein Angebot: Wenn die Politik sich um die großen Klimaschutz-Baustellen gekümmert hat, ärgere ich mich auch wieder mit Wachstüchern und ähnlichem Firlefanz herum.
Susanne Schwarz, Klima-Redakteurin
Kulinarische Kompensation: Einmalfresspakete
Ich kompensiere beim Flugverkehr. Aber nicht ökologisch und nicht durch Zahlung an Atmosfair. Ich kompensiere die Flüge. Mein Nichtmehrfliegen ersetze ich durch den gelegentlichen Kauf von Flugzeugessen. Auslöser war die Pandemie. In Würselen bei Aachen produziert einer der größten Caterer deutschlandweit: 150.000 Essen für 40 internationale Airlines am Tag. Dann kam der Lockdown. Nix flog mehr. Die Tiefkühllager quollen über. Also machten sie einen Outletshop in Aachens City auf. Die Flieger-Essen für Nichtflieger kosten 10 Euro für vier Stück. Weltreisen sind jetzt zu Hause möglich, überraschend lecker statt igitt, denn auf dem Boden schmeckt alles deutlich würziger. Und ich habe die Fantasie vom Fernreisen, mal indisch oder thai, mal arabisch. Einmal war ich auch mit Freunden in der Business-Class-Variante (7 Euro pro Essen) mit dem zarten Steak für American Airlines unterwegs. Aber es bleibt Umweltfrevel. Die Einmalfresspakete in den Menüschalen aus dickem Alu, dazu reichlich Plastikfolie füllen flugs den Gelben Sack. Müsste mal jemand ausrechnen, was pro Luftmenü für die Kompensation der Kompensation zu zahlen wäre. Airfoodfair – ran!
Bernd Müllender, Autor
Günstig und praktisch: Uraltverbrenner teilen
Auf dem Dach wächst Moos, in den Ablagen und Ritzen krümeln sich Keksreste, Papierschnipsel und welke Blätter, an der linken Flanke des inzwischen 21 Jahre alten 7-Sitzers prangt eine gar nicht so kleine Beule. Er ist echt in vielerlei Hinsicht dreckig, aber die inzwischen drei Familien, die den Opel nutzen, nennen sich selbstzufrieden wie auch nicht ganz untrotzig „Zafiristen“. Trotz fast 150.000 Kilometern auf dem Buckel hat der Diesel-Oldie ja auch noch nie schlappgemacht. Tatsächlich rostet er auch die meiste Zeit ungenutzt am Straßenrand vor sich hin. Sonst brauchen wir ihn halt für Besuche bei Ikea, die Frühschicht, den Seepferdchenkurs des 5-Jährigen oder für Kinderreiturlaube an der Ostsee. Alle sind sich einig: Für Klima und Umwelt wäre natürlich gar kein Auto besser. Aber: Es ist günstig und praktisch, ein neues (Elektro-)Auto wäre insgesamt viiiiel weniger nachhaltig. Noch haben wir TÜV bis März '23. Tscha, vielleicht müssen wir dann auf Mietkisten umsteigen.
Bernhard Pötter, Klimakorrespondent; Kai Schöneberg, Ressortleiter Wirtschaft und Umwelt
Aus Leidenschaft: Schnell Auto fahren
Wenn das Licht im Flur oder in der Küche zu lange an bleibt, wird geschimpft. Wenn mein Mann sich jeden Morgen eine lange Dusche gönnt, wird er angemeckert. Aber wenn die Winterferien näher rücken, bleiben die 4 bis 5 Tage Skifahren an der tschechisch-polnischen Grenze gesetzt – selbstverständlich mit dem eigenen Auto. Und eine meiner größten Leidenschaften am Steuer ist das Rasen: Beim letzten Familienbesuch in NRW deutlich unter 5 Stunden: Rekord! Schnelligkeit gehört zu einer Themenchefin. Zwecks Vermeidung eines Kulturschocks essen wir, bevor wir die Großeltern in Spanien besuchen, mindestens zweimal in der Woche Fleisch. Zusammenhänge sichtbar zu machen ist eben auch eine wichtige Aufgabe der Themenchefin.
Gemma Terés Arilla, Themen- und Nachrichtenchefin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid