Rücktritt von Politikerinnen: Familie als Schutzschild

Eine Linke und eine Grüne schieben die Familie vor, um ihren Rücktritt von politischen Ämtern zu rechtfertigen. Eine kontraproduktive Strategie.

Portraits von Susanne Hennig WEllsow und Anne Soiegel

Susanne Hennig-Wellsow und Anne Spiegel, die jeweils ihren Rücktritt erklärten Foto: Fabian Sommer/dpa, Annette Riedl/dpa

Wäre ein Politiker mit dem Argument, sich stärker um seine Kinder kümmern zu wollen (oder zu müssen), von einem Führungsposten zurückgetreten, wäre er wohl dafür bejubelt worden, so viel familiäre Verantwortung zu zeigen. Bei den beiden zurückgetretenen Politikerinnen, der Linken Susanne Hennig-Wellsow und der Grünen Anne Spiegel, hält sich der Jubel in Grenzen. Ist das unzeitgemäß, frauenfeindlich?

Wohl eher ist es eine peinliche Verteidigungsstrategie zweier gestrauchelter Politikerinnen, die Familie zu benutzen, um eigenes politisches Versagen zu entschuldigen. Spiegel hatte, als sie in Berlin Familienministerin wurde, gern und stolz betont, dass ihr Mann und sie einen Rollenwechsel hingelegt hätten und er sich vollumfänglich um die Familie kümmere. Auch Hennig-Wellsow brachte, als sie Parteichefin wurde, nie ihren Sohn ins Spiel. Familie schien für die politische Karriere also kein Hindernis gewesen zu sein.

Eine Debatte um die Vereinbarkeit von Familie und politischen (und anderen) Spitzenämtern macht dies mitnichten überflüssig. Im Gegenteil, sie ist nötiger denn je. Wie sonst soll ein Paradigmenwechsel weg vom Modell Mutti-Care hin zu mehr Fürsorge­beteiligung von Männern gelingen?

Wenn sich Männer stärker in die Familie einbringen und Frauen öfter in Spitzenpositionen zu finden sein sollen, muss offen über Anforderungen an Einzelne in Topjobs und Familie, vor allem aber auch über Überforderung gesprochen werden. Dann muss es erlaubt sein, im richtigen Moment und ohne fadenscheinige Argumente Nein zu sagen, ohne dass dies als Feigheit ausgelegt wird. Das gilt für Frauen wie für Männer.

Diese Debatte hätten die beiden Spitzenpolitikerinnen mit ihren Rücktritten anstoßen können. Mit dem „Schutzschild Familie“ bleibt allerdings ein schaler Nachgeschmack: Top-Ämter sind für Frauen möglich, aber im Zweifel ist doch die Familie wichtiger. Der Care-Debatte, die beide linke Frauen im Munde führten, haben sie einen Bärendienst erwiesen.

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Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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