Ungerechte Verteilung von Sorge:Care-Arbeit in Zahlen
Wie viele Männer arbeiten in der Pflege? Und wie groß ist der Gender Care Gap in Deutschland? Zahlen und Grafiken zur Sorgearbeit.
7.3.2022, 18:43 Uhr
Sorgearbeit wie Pflegen, Putzen und Zuhören ist oft unsichtbar. Sie geschieht in Küchen und Krankenhauszimmern, jenseits der öffentlichen Bühne. Und privat wie beruflich wird sie mehrheitlich von Frauen erledigt.
Erziehen, Zuhören, Pflegen – die einen nennen es Liebe, die anderen unbezahlte Arbeit. Nach wie vor sind es vor allem Frauen, die sie übernehmen, selbst da, wo sie bezahlt wird. In unserem Schwerpunkt „Frauentag“ fragen wir pünktlich zum feministischen Kampftag: Wie kann eine Gesellschaft aussehen, die das Kümmern revolutioniert?
Welche Wege gibt es, sie sichtbarer zu machen? „Keine einzige feministische Fragestellung lässt sich auf rein quantitative Aspekte reduzieren“, schreiben die Wissenschaftlerinnen Bettina Haidinger und Käthe Knittler in ihrer Einführung zur feministischen Ökonomie. Aber das macht Zahlen nicht irrelevant.
Neben konkreten Geschichten können auch Statistiken das Thema greifbarer machen. Damit Ungerechtigkeiten nicht bloß mit Geschichten Einzelner belegt werden. Also weg vom Gefühl, die Hausarbeit würde schon gleichberechtigt erledigt. Weg von dem Gefühl, die Pflegerin ist die Einzige, die unter den jetzigen Arbeitsbedingungen leidet und mit dem Gedanken spielt, zu kündigen.
Und hin zum Fakt: Wie groß ist der Gender Care Gap in Deutschland? Und wer nimmt sich während der Pandemie frei, um auf die Kinder aufzupassen? Sind Pfleger:innen wirklich überall mehrheitlich Frauen? Und wie zufrieden sind Pfleger:innen mit ihrem Job?
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In Togo sind knapp 79 Prozent aller Pfleger:innen Männer, in Botswana sind es knapp 71 Prozent. Im „Globalen Norden“ liegt die Pflege in der Hand von Frauen. Die Soziologin Elli Scambor sagte im Standard, dass sich viele Männer erst für den Care-Beruf entscheiden, nachdem sie schon ein technisches Studium oder eine Lehre absolviert haben.
Laut der dritten repräsentativen Zeiterhebungsstudie liegt der Gender Care Gap bei 52,4 % – besonders hoch ist er bei 34-Jährigen, da liegt er bei 110,6 %. Also die Zeit, in der 34-Jährige häufig Kleinkinder Zuhause umsorgen. Wie es bei anderen Geschlechtern aussieht, wurde nicht erhoben.
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„Frauen werden bei der Gleichstellung um 30 Jahre zurückgeworfen“, das erkannte die Soziologin Jutta Allmendinger schon zu Anfang der Coronapandemie. Es ist während der Pandemie immer mal wieder Thema, flaut dann aber auch schnell wieder ab.
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Wenn es um die Pflege geht, fällt der Fokus schnell auf Pflegeheime. Dabei werden in Deutschland viel mehr Menschen Zuhause gepflegt, also von Angehörigen, ambulanten Pflegediensten oder von sogenannten live-ins, die Pflegebedürftige 24 Stunden am Tag betreuen.
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Die Pflegekrise wächst. Das hat nicht zuletzt die Pandemie gezeigt. Weil Deutschland eine alternde Bevölkerung hat, nimmt die Anzahl der Pflegebedürftigen immer weiter zu. An der Anzahl der Beschäftigten in Pflegeheimen ändert sich jedoch kaum etwas: Viele Auszubildende brechen noch vor dem Abschluss ab, selbst Pflegende, die in ihrem Beruf arbeiten, reduzieren ihre Stellen oft auf Teilzeit, weil der Job stressig ist. Laut der Krankenkasse AOK könnten 2030 etwa 130.000 Pfleger:innen fehlen, 2050 schon etwa eine Million.
Viele Pflegende haben ihren Beruf gewählt, um anderen zu helfen, um für sie da zu sein. Oft ist das nicht möglich: Die Kapitalisierung des Gesundheitssystems führt dazu, dass viele Pflegekräfte in ihren Arbeitszeiten gerade so das Nötigste schaffen. Das führt zu Frust – und bei vielen zu dem Gedanken, den Beruf zu verlassen.
Leser*innenkommentare
resto
Auffallend ist, dass in manchen Ländern mit höherem männlichen Care-Arbeit-Anteil besonders schlechte Bedingung für Frauen herrschen. So hat Mexiko (steht hinsichtlich Care-Arbeit besser da als z.B. USA) mit die höchste Femizidrate der Welt. Saudi-Arabien, Jemen, Irak, Kongo, Tschad.... glänzen so gar nicht hinsichtlich Gleichberechtigung und Teilhabe der Frauen. Die Gründe für solche höheren Männeranteile liegen m.E. also eher im Ausschluss der Frauen aus der Teilnahme am Öffentlichen Leben. Ergo: Weltweite Vergleiche von Prozentzahlen sind wohl nicht einheitlich interpretierbar bzw. sagen über die "Stellung der Frau in der Gesellschaft" wenig aus.
Budzylein
Hm. Der Gender-Care-Gap, bezogen auf unbezahlte Sorgearbeit, ist also bei den Gruppen am höchsten, bei denen am häufigsten Kinder zu betreuen sind. Und Frauen reduzieren ihre Erwerbsarbeitszeit häufiger als Männer, um Kinder zu betreuen. Nun leben die meisten Elternpaare aber zusammen, und viele von den zusammenlebenden Elternpaaren wirtschaften auch zusammen. Bei denen bedeutet dies regelmäßig: Wenn ein Elternteil seine Arbeitszeit zwecks Kinderbetreuung reduziert und der andere nicht, verdient der andere Elternteil mehr als derjenige, der mehr Betreuung leistet, und trägt demzufolge einen höheren Teil der gemeinsamen Ausgaben. Kann man aber in diesem Fall die Sorgearbeit noch als "unbezahlt" bezeichnen? Ich meine: Nein. Es sei denn, es wird eine Bezahlung durch den Staat erwartet, wobei man dann aber auch die bestehenden staatlichen Sozialleistungen für Eltern in den Blick nehmen müsste, die im Artikel nicht erwähnt werden. In Deutschland gibt es in einigen Bundesländern das Betreuungsgeld, das aber von progressiver und insbesondere von feministischer Seite meist abgelehnt und - m. E. zu Recht - als "Herdprämie" bezeichnet wird.
Obscuritas
@Budzylein "Nun leben die meisten Elternpaare aber zusammen"
Solange die Ehe das ganze Leben hält.
Das Problem ist im 21 Jahrhundert, hält nicht jede Beziehung das ganze Leben. GOTT SEI DANK! Früher ließ Frau sich nur nicht scheiden, weil sie vom Mann finanziell so abhängig war. Auch heute noch zu oft der Fall.
Nach der Scheidung wird der Karriereknick, plötzlich auch Finanziell spürbar.
Sorgearbeit ist in doppelter Hinsicht unbezahlt.
1: Man bekommt kein Geld dafür.
2:Sie ist oft unsichtbar und bekommt daher zu wenig bis keine Anerkennung. Anerkennung ist auch eine Art von Lohn.
Mental Load Ihnen ein Begriff? Nein? Nachlesen!
Budzylein
@Obscuritas Mental Load war mir in der Tat neu. Habe es nachgeguckt und was gelernt.
Die von mir beschriebenen finanziellen Auswirkungen sind aber nicht davon abhängig, dass das Elternpaar lebenslang zusammenbleibt. Und nach einer Scheidung gibt es Ansprüche auf Geschiedenenunterhalt, Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich. Damit werden zwar längst nicht alle Nachteile ausgeglichen, aber "unbezahlt" ist etwas anderes als "unterbezahlt".
Unterhalt, Zugewinn- und Versorgungsausgleich gibt es freilich nur, wenn die Eltern miteinander verheiratet waren und wenn es etwas zu verteilen gibt. Unverheiratete Elternteile, die den größeren Betreuungsanteil übernehmen und deswegen weniger verdienen und/oder nicht beruflich aufsteigen können, bekommen diese Nachteile bei einer Trennung nicht ausgeglichen.
Aber was soll die Konsequenz sein? Eine Bezahlung bzw. höhere Bezahlung der Sorgearbeit? Die bietet doch nur einen zusätzlichen Anreiz, mehr Sorgearbeit zu übernehmen und sich finanziell von einem Partner abhängig zu machen. Und diese Abhängigkeit ist von Übel. Der Staat fördert es durch die Regelungen im Familienrecht, dass sich nach wie vor viele junge Leute, vor allem Frauen, in diese Abhängigkeit begeben und für den Fall einer Trennung darauf angewiesen sind, dass der Ex-Partner leistungsfähig und leistungsbereit ist, was oft nicht der Fall ist. Da war die DDR ein wenig weiter, denn dort erwarben Elternteile, die ihre Kinder betreuten und beruflich zurücksteckten, eigene, nicht vom Ehepartner abhängige Versorgungsansprüche.
90946 (Profil gelöscht)
Gast
@Budzylein Ein relevantes Stichwort dazu ist "Altersarmut". Während der Partner/ Vater weiter einzahlt und evtl. auch beim Verdienst zulegt, gerät die Partnerin/Mutter durch Teilzeit, geringeren Verdienst und Karrierepause ins Hintertreffen und das oft auch, wenn die beiden Betroffenen eine individuellen Ausgleich suchen.
Budzylein
@90946 (Profil gelöscht) Das stimmt, jedenfalls dann, wenn es zu einer Trennung oder einer Beendigung des gemeinsamen Wirtschaftens kommt. Bei Ehepaaren wird die Verschlechterung der Altersversorgung allerdings grundsätzlich durch den Versorgungsausgleich auf beide Seiten verteilt, aber bei Unverheirateten bzw. Ehepaaren ohne Versorgungsausgleich trifft sie nur den betreuenden Elternteil.