Steinmeier-Ausladung: Unangemessene Empörung

Präsident Selenski und der ukrainische Botschafter Melnyk haben jedes Recht, unhöflich, undankbar, undiplomatisch und unverschämt zu sein.

Bundespräsident Steinmeier lachend vor einem Gemälde der Friedenstaube

Steinmeier, hier in Polen, will Frieden schaffen – und das um jeden Preis Foto: Jens Büttner/dpa

Kaum etwas hat die Gemüter diese Woche so sehr in Wallung gebracht, wie die Ausladung des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Die ukrainische Regierung wollte ihn nicht dabeihaben, als die Präsidenten von Estland, Polen, Lettland und Litauen in Kiew zu einem Solidaritätsbesuch zusammentrafen. Als „ungebührlich“, „Affront“, „diplomatischer Fehler“, „unangemessen“ und „unhöflich“ wurde die Zurückweisung gegeißelt.

Ernsthaft? Wenn etwas vollkommen unangemessen ist, dann diese deutsche Empörung. Zunächst einmal ist es eine Beleidigung der Ukraine, dass der erste hochrangige deutsche Politiker, der nach Beginn des Angriffskriegs Kiew besucht, ausgerechnet Steinmeier sein soll – der Mann also, der mitverantwortlich dafür ist, dass es überhaupt so weit kommen konnte. Dass er Fehler inzwischen teilweise eingestanden hat, ändert daran ja nichts.

Ein Affront gegen die Ukraine ist es auch, dass weder der Bundeskanzler noch der Vizekanzler, noch die Verteidigungsministerin, noch ein anderer Entscheidungsträger nach Kiew aufbricht. Der Bundespräsident mag formal das höchste Amt im Staate innehaben. Doch man kann wohl kaum bestreiten, dass er gerade außenpolitisch nicht mehr als ein Grüßaugust ist, der außer solidarischer Rhetorik nichts zu bieten hat.

Es ist auch zu bezweifeln, dass es aus ukrai­ni­scher Sicht tatsächlich so unklug ist, Deutschland zu brüskieren. Berlin kann es sich gar nicht leisten, die bisherige Unterstützung – etwa die so oft hervorgehobene Finanzhilfe – herunterzufahren. Die Haltung der Bundesregierung ruft schon jetzt unter den Nato-Verbündeten und den europäischen Partnern Kopfschütteln hervor. Deutschland hat sich mit seiner Politik des Zögerns und Zauderns außenpolitisch isoliert.

Kein Anspruch auf Lobpreisung

Am peinlichsten an der Empörung über die Missachtung „diplomatischer Gepflogenheiten“ ist jedoch die Unverhältnismäßigkeit. Die Ukraine erlebt gerade ihren schlimmsten Albtraum, und einem Präsidenten, der allem Anschein nach mit einem Völkermord an seinen Leuten konfrontiert ist, wird vorgehalten, dass er sich im Ton vergreift? Die Kri­ti­ke­r*in­nen sollten sich mal nicht so anstellen.

Angesichts dessen, was die Menschen in der Ukraine erleiden müssen, wird man hierzulande doch wohl ein paar Unhöflichkeiten aushalten können. Mit (nicht ausreichenden) Waffenlieferungen und Finanzhilfen hat Deutschland sich keinen Anspruch auf Lobpreisung verdient.

Präsident Wolodimir Selenski und der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk haben jedes Recht, unhöflich, undankbar, undiplomatisch und unverschämt zu sein. Sie – nicht Steinmeier – tragen die Folgen einer verfehlten Russlandpolitik.

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