Antikriegsproteste in Russland: Putins Lügengebäude wackelt

So wenig, wie Putin die Ukrai­ne­r*in­nen kennt, die sich nicht „befreit“ fühlen, so schlecht kennt er offensichtlich auch seine eigenen Landsleute.

Jelena Osipowa wird von behemlten Polizisten abegführt

Die 77-jährige Aktivistin Jelena Osipowa wird am 2. März in Sankt Petersburg abgeführt Foto: Stringer/Reuters

Russland feuert aus allen Rohren – auch auf seine eigene Bevölkerung. Wie entfesselt lässt die Staatsführung auf alle eindreschen, die es wagen, ihre Stimme gegen den wahnwitzigen Angriff auf die Ukraine zu erheben. Sei es nun die 77-jährige Aktivistin Jelena Osipowa, zwei Mütter mit ihren Kindern oder Menschen, die des Nachts ihren Widerstand mit Graffitis und Aufklebern zu Protokoll geben – es macht keinen Unterschied mehr. Die Anzahl von Festnahmen hat die Tausender-Marke längst überschritten und der Terror wird weitergehen.

Auch an anderen Fronten munitioniert sich der Kreml. Kritische Medien wie Doschd oder Echo Moskwy, die es gewagt haben, den Krieg auch als solchen zu benennen, werden kurzerhand abgeschaltet. Künftig drohen 15 Jahre Haft für die Verbreitung von „Fake-News“ über die Invasion russischer Truppen in das Nachbarland.

Die Teilnahme an Antikriegsdemonstrationen erfüllt fortan den Straftatbestand des Extremismus und zieht knallharte Konsequenzen nach sich. In einer landesweiten Online-Aktion diese Woche werden russischen Schü­le­r*in­nen mit dem Agitprop des Kreml bombardiert – Tenor: Warum die „Befreiungsmission“ der glorreichen russischen Armee unabdingbar und wo der wahre Aggressor zu suchen ist.

Doch ob alle diese Maßnahmen die gewünschte Wirkung entfalten, darf bezweifelt werden. So wenig, wie Präsident Wladimir Putin die Ukrai­ne­r*in­nen kennt, die seine Truppen zur Begrüßung nicht mit Brot und Salz empfangen haben, so schlecht kennt er offensichtlich auch seine eigenen Landsleute.

Will heißen: Offensichtlich hat das Lügengebäude, die „Spezialoperation“ diene der Demilitarisierung und „Entnazifizierung“ der Ukraine, erste Risse bekommen. Weitere dürften hinzukommen, jetzt, wo tote Soldaten in ihre Heimat zurückkehren, die angeblich an einem Manöver teilnehmen sollten. Nichtregierungsorganisationen, wie die nimmermüden Soldatenmütter, haben bereits im Zuge der beiden Tschetschenienkriege und der Kämpfe in der Ostukraine ab 2014 bewiesen, wozu sie in der Lage sind.

Trotz aller Verzweiflung und Fassungslosigkeit ob des Grauens, das sich dieser Tage in der Ukraine abspielt und schon viele Menschenleben gekostet hat: Es verbietet sich, alle Rus­s*in­nen in Bausch und Bogen zu verdammen und sie der Apathie und Teilnahmslosigkeit zu zeihen. Denn es gibt sie – diejenigen, die sich diesem Krieg entgegenstellen und dafür Leib und Leben riskieren. Und es könnten mehr werden. Sie tun es für die Ukraine, aber auch für sich selbst und ein anderes Leben in Russland.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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