Juso-Chefin über Russland-Ukraine-Konflikt: „Russland ist der Aggressor“
Wenn Russland weiter so auftritt, könne Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen. Jessica Rosenthal spricht über die Haltung der SPD, Schröder und Scholz' Besuch in den USA.
taz: Frau Rosenthal, Gerhard Schröder hat die Ukraine aufgefordert, das Säbelrasseln einzustellen – als wäre die Ukraine der Angreifer. Ist das nur eine seltsame Meinungsäußerung oder schon parteischädigendes Verhalten?
Jessica Rosenthal: Gerhard Schröder äußert sich nicht als Funktionär der SPD. Er trägt keine Verantwortung mehr in der Partei – und das ist auch gut so. Die SPD und die Jusos vertreten ganz klar eine andere Haltung.
Schröder ist keine Stimme der Sozialdemokratie?
Nein, Gerhard Schröder redet als Interessenvertreter Russlands – und als nichts anderes. Das muss man klar so benennen.
Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin in Schwerin, befürwortet die Pipeline Nord Stream 2 und hat mit Geld von Gasprom eine Klimaschutzstiftung gründen lassen. Ist diese Verknüpfung von Energiepolitik und finanzieller Unterstützung problematisch?
Ich verstehe die Haltung von Manuela Schwesig aus ihrer regionalen Perspektive. Die Pipeline soll ja in Mecklenburg-Vorpommern ankommen.
Es scheint in der SPD ziemlich unterschiedliche Sichtweisen auf Russland zu geben.
Das sehe ich nicht so. Im Parteivorstand und in der Fraktion gibt es die einhellige Meinung, dass wir den Weg der Diplomatie gehen. Das passiert derzeit auch. Es gehört zum Wesen der Diplomatie, dass die oft hinter den Kulissen stattfindet. Wenn das Normandie-Format …
… die Gespräche zwischen Frankreich, Russland, Ukraine und Deutschland …
… jetzt wieder auflebt, ist das ein Schritt nach vorn, auch wenn es keine schnellen Ergebnisse geben wird. Mit Verhandlungen und Diplomatie den Frieden bewahren, das ist der Weg, den die SPD vertritt.
Jahrgang 1992, ist als Nachfolgerin von Kevin Kühnert Bundesvorsitzende der Jusos und seit dem 26. Oktober 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages.
Haben jüngere Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten einen kritischeren Blick auf Russland als Ältere?
Das ist keine Generationenfrage – und man sollte den Russland-Ukraine-Konflikt auch nicht zu einer machen. Ich haben diese Ansicht auch in einigen Artikeln gelesen. Mir scheint das eine plumpe Analyse zu sein.
Wieso?
Weil junge Menschen in der Politik zu schnell zu einer Generation zusammengefasst werden und Differenzierungen auf der Strecke bleiben. Wir streben eine wertebasierte Außenpolitik an. Mit „Wir“ meine ich die ganze SPD, nicht nur die Jusos.
Im Fokus der Debatte steht die Pipeline Nord Stream 2, die Russland und Deutschland direkt verbindet. Soll die in Betrieb gehen?
Als Erstes: Russland ist der Aggressor. Russland hat die Krim besetzt und stellt die territoriale Integrität der Ukraine infrage – und auch dessen Freiheit, als souveräner Staat das Bündnis zu wählen, das es möchte. Das ist nicht akzeptabel. In dieser aktuellen Situation kann das Projekt Nord Stream 2 nicht fortgeführt werden.
Was bedeutet das konkret? Die Genehmigungsverfahren dauern ja noch ein paar Monate. Und dann soll Deutschland die Pipeline nicht in Betrieb nehmen?
Wenn Russland weiter so auftritt, wie es das gerade tut, brauchen wir eine klare Haltung. Dann kann Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen.
Also geht die Pipeline nur ans Netz, wenn Russland seine Truppen von der ukrainischen Grenze zurückgezogen hat?
Es geht nicht darum, sich nur auf Nord Stream 2 zu fokussieren. Aber in der aktuellen Situation ist es undenkbar, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen. Die Bundesregierung sollte, unabhängig von den Genehmigungsverfahren, klarmachen, das sie in der aktuellen Lage nicht gewillt ist, dieses Projekt weiter voranzutreiben.
Common Sense ist, dass Nord Stream 2 im Topf möglicher Sanktionen ist, falls es eine weitere militärische Eskalation gibt. Ihre Forderungen gehen weiter: Soll Deutschland die Pipeline, auch wenn sie genehmigt wird und die Lage in der Ukraine unverändert ist, nicht in Betrieb nehmen?
Ja, richtig. Angesichts dieser Bedrohungslage muss Deutschland bei Nord Stream 2 eine klare Ansage machen. Ich will kein Schwarz-Weiß-Denken und keine Dämonisierungen. Es soll enge wirtschaftliche Verbindungen zwischen der EU und Russland geben. Wir setzen auf Diplomatie. Aber dazu gehören zwei Seiten. Russland muss den Weg der Eskalation verlassen.
Scholz hat erst ein Mal mit Putin telefoniert und will Mitte Februar nach Moskau reisen. Ist das nicht zu wenig und zu spät?
Es wird oft so getan, als ob wir schon seit Jahren regieren. Die Ampel ist kaum zwei Monate im Amt. Olaf Scholz war in Polen und Frankreich. Das waren wichtige Zeichen für die Beziehungen zu unseren Nachbarländern. Natürlich ist es gut, dass Olaf Scholz bald auch nach Moskau reist.
Und vorher nach Kiew. Da werden vielleicht wieder Waffenlieferungen eine Rolle spielen. Die Verteidigungsministerin hat 5.000 Helme an die Ukraine geliefert. Sind deutsche Waffenlieferungen an Kiew ein richtiges Mittel?
Ich weiß, dass sich manche über die Helme mokiert haben. Aber die Ukraine hat darum gebeten, wir haben geliefert. Weil wir solidarisch an der Seite der Ukraine stehen. Waffenlieferungen halte ich für falsch. Zu kurz kommt in der öffentlichen Debatte, dass wir mit 1,8 Milliarden Euro der zweitgrößte Geldgeber hinter der USA für die Ukraine sind. Wir tun etwas.
Scholz ist am Montag in Washington. Was erwarten Sie?
Einen Schulterschluss zwischen Deutschland und den USA. Und eine Verständigung, wie man gemeinsam diplomatische Wege findet, um Krieg und Eskalation in der Ukraine zu vermeiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung