Verhältnis der SPD zu Russland: Gesprächskreis ohne Kanzleramt
Die SPD wirkt in der Ukrainekrise merkwürdig ziellos, Olaf Scholz bleibt in Deckung. Die Außendarstellung übernimmt Lars Klingbeil.
Am Montagnachmittag kamen 20 führende SPD-PolitikerInnen im Willy-Brandt-Haus zusammen, um die Haltung zum Russland-Ukraine-Konflikt zu beraten. Eine neue Linie ist bei dem Treffen nicht anvisiert worden. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt waren angekündigt, ließen sich aber kurzfristig vertreten. Kanzler Scholz war nicht dabei. Offenbar wollte man das Treffen nicht zu hoch hängen und den öffentlichen Fokus nicht auf mögliche Uneinigkeiten in der Partei richten.
Die Außendarstellung der SPD übernimmt derzeit Klingbeil, der in TV-Interviews die Einigkeit der SPD beteuert. In Interviews wiederholt er immer wieder drei Argumente. Erstens: Die Aggression gehe von Moskau aus – aber ohne Gerhard Schröders bizarren Satz, die Ukraine solle „das Säbelrasseln“ beenden, direkt zu kommentieren. Zweitens werde es bei einem militärischem Angriff Russlands harte Sanktion geben – aber ohne Nord Stream 2 eigens zu erwähnen. Und drittens versuche Berlin mit Diplomatie und Gesprächen (etwa im Normandie-Format mit Frankreich, Russland und der Ukraine), einen Krieg zu verhindern. „Jetzt geht es darum, Diplomatie und Frieden zu organisieren“, so Klingbeil.
Diese drei Punkte gelten, so der Parteichef, „für die gesamte SPD“. Der grüne Parteichef Omid Nouripour hatte den Koalitionspartner SPD vorsichtig kritisiert. Es sei „keine Hilfe für die Außenministerin oder den Kanzler, wenn draußen das Gefühl entsteht, die Deutschen wären sich nicht einig“. Damit zielte der Grüne auf das vielfältige Meinungsspektrum in der SPD.
Vorallem Schwesig ist für Nordstream 2
Dort fordern manche, wie der Außenpolitiker Nils Schmid und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, seit Langem einen härteren Kurs gegenüber Russland. Sie sind keine Fans der Gaspipeline Nord Stream 2, gegen die vor allem die Ukraine und Polen protestieren. Beide Staaten fürchten Sonderbeziehungen zwischen Berlin und Moskau. Putin könne damit die für Kiew profitable Pipeline durch die Ukraine ersetzen.
Für Nord Stream 2 ist vor allem die Schweriner Ministerpräsidentin Manuela Schwesig – die auf Arbeitsplätze in Mecklenburg-Vorpommern hofft. Einige der Entspannungspolitik Verpflichtete in der SPD halten die Pipeline für eine Art vertrauensbildende Maßnahme zwischen Berlin und Moskau.
Akut ist das Thema Nord Stream 2 dabei derzeit nicht. Die Pipeline muss noch von Behörden in Deutschland und der EU genehmigt werden. Das wird frühestens ab dem Spätsommer passieren. Falls die Bundesnetzagentur oder die EU Genehmigungen verweigern, kann eine jahrelange juristische Auseinandersetzung folgen. Klingbeil und die SPD lehnen zudem Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Waffenexporte in Spannungsgebiete seien laut Koalitionsvertrag verboten. Zudem würden sie Berlins Rolle als diplomatischer Vermittler beschädigen.
Kanzler Olaf Scholz hält sich in der Debatte auffallend zurück. Er hat kürzlich die Formulierung benutzt, dass alle Sanktionen auf dem Tisch lägen – also auch die von der SPD gegen Kritik aus den USA und Ostmitteleuropa verteidigte Pipeline Nord Stream 2. Mehr war seitdem nicht zu hören. Scholz trifft am Montag in Washington US-Präsident Joe Biden.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung