Ostdeutschland und die AfD: Mythos Revolution
Die meisten Ostdeutschen tun sich mit der Freiheit schwer, weil sie als DDR-Bürger die Diktatur mitgetragen haben. Der Erfolg der AfD passt dazu.
Die DDR hat keine Revolution erlebt, sie ist implodiert, wie die anderen realsozialistischen Länder und die Sowjetunion auch.“ Dieses Zitat stammt von Hans Modrow, dem letzten Regierungschef der DDR. Es ist als Einspruch gegen den heute wie damals weithin gepflegten Mythos von der „friedlichen Revolution 1989“ zu verstehen. Die DDR war von Anfang an nichts anderes als die Diktatur der SED, die mit der Machtübernahme durch die von den Sowjets militärisch abgesicherte Ulbricht-Clique möglich wurde.
Bis auf den Aufstand der Berliner Bauarbeiter am 17. Juni 1953 hat es während der ganzen Lebenszeit der DDR – vom Aufbegehren einiger mutiger Einzelkämpfer einmal abgesehen – keine ernsthaften Versuche aus der Mitte der DDR-Gesellschaft heraus gegeben, sich das System vom Hals zu schaffen. Wie denn auch? Die SED-Staatsmacht war gnadenlos und brutal, und solange die russischen Panzer vor Ort bereitstanden, um die sozialistische Herrschaft auch mit Gewalt zu verteidigen, waren schon die Gedanken an eine revolutionäre Wende gefährlich. Schließlich wussten auch alle DDR-Bürger, dass sie auf praktische Hilfe jenseits der Ostpakte aus dem Westen nicht zählen konnten.
Außerdem gab es als Alternative zum Leben in der DDR ja schon von Anfang an und bis zu ihrem Ende die Republikflucht. Jeder, der nicht mitmachen wollte beim Aufbau des Sozialismus, konnte bis zum Mauerbau vergleichsweise einfach, dann bis kurz vor dem Zusammenbruch mit hohem, individuellen Risiko und gegen Ende der DDR wieder in großem Stil und großer Zahl einfach rübermachen. Die Republikflucht oder das Narrativ davon machten jeden Gedanken an den großen Kampf gegen die Diktatur der Partei überflüssig.
Genau betrachtet war die Republikflucht für die SED machterhaltend. In dieses strategische Kalkül gehört auch der Menschenhandel, den die SED mit ihren intellektuellen Widersachern betrieben hat – die gut organisierte, oft zwangsweise Ausbürgerung gegen harte Devisen, das war für beide Seiten auch politisch ein gutes Geschäft. Wer sollte sich vor diesem Hintergrund an die Spitze einer revolutionären Alternative stellen?
Revolutionäre gab es schlicht nicht
Sicher, in der SED gab es immer wieder spannende Momente intellektuellen Aufbruchs, die jedoch ohne jede Wirkung immer wieder erfolgreich erstickt wurden. Weiter gab es, von uns im Westen bewundert und umjubelt, weil es in unsere eigenen Revolutionsträume passte, die zwischen den Zeilen lesenden und lebenden, die unangepassten und bis zum Rauswurf mutigen Literaten, Künstler und Intellektuellen in der DDR, die von einem freiheitlichen Sozialismus, aber nicht von der Wiedervereinigung geträumt haben.
Aber Revolutionäre, zum politischen Kampf auf Biegen und Brechen bereite Menschen, das waren sie nicht und das wollten sie auch gar nicht sein. Auch der Zusammenbruch 1989 selbst war nicht die Folge der so mutigen Großdemonstrationen in Leipzig und anderswo. Er ist von der massenhaften Republikflucht über die Grenzen der Bruderländer ausgelöst und besiegelt worden.
Übrigens, die Republikflucht ist nach der Wende 1989 noch einmal richtig in Fahrt gekommen. Weit über eine Million DDR-Bürger, die gut ausgebildeten jungen Menschen vor allem und in großer Zahl junge Frauen, haben in den ersten Jahren nach der Wende die ehemalige DDR für immer verlassen. Die Organisatoren der Demonstrationen kurz vor der Wende, vom Neuen Forum bis zum Demokratischen Aufbruch, waren unter den DDR-Bürgern politisch nie wirklich mehrheitsfähig. Sie sind schon bei den ersten freien Wahlen nach 1989 von der politischen Bühne gefegt worden.
Eigene Schuld wird beschwiegen
Andersherum betrachtet: Die SED und ihre DDR waren bei der Bevölkerung über 40 Jahre lang gut aufgehoben. Die Mehrheit der dort gebliebenen 14 bis 16 Millionen Menschen haben die DDR-Diktatur nicht nur erlitten, sie haben sie mitgetragen, sie waren mehr oder weniger loyale, an ein Leben in der Diktatur angepasste Bürger. Ihr Mitmachen bei den Nazis ging bruchlos in das Mitmachen bei den DDR-Sozialisten über.
Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld beim Mitmachen in der ersten und dann in der zweiten deutschen Diktatur hat es in aller Offenheit in den Neuen Ländern bis heute nicht gegeben. So verwundert nicht, dass trotz des so erfolgreichen Zusammenführens der beiden Hälften in der Wiedervereinigung bis heute in den Neuen Ländern eine sich selbst tragende, selbstbewusst auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, auf Humanität und Freiheitsliebe fest gebaute Gesellschaft nicht entstanden ist.
Die AfD ist in der geistigen Nachfolge der Nazis und der SED-Sozialisten in den Neuen Ländern zu Hause. Sie ist die ehrliche Stimme der aus dem muffigen DDR-Staatsheim immer noch nicht ausgezogenen Ossis. Die AfD ist ihre Partei, sie ist in Ostdeutschland politisch mehrheitsfähig. SPD, CDU und auch die Grünen dagegen versuchen, mit einer Erzählung von einer angeblichen Ignoranz gegenüber der Lebensleistung der DDR-Menschen und einer fortwährenden, strukturellen Benachteiligung mit immer neuen Millionen den Ex-DDRlern ihre politischen Vorlieben fürs Autoritäre, für den Hass auf alles andere, auf alles Fremde, auf alles Diverse, ihre Verachtung der Demokratie abzukaufen.
Die Kernfragen aber, die nach der politischen Identität der Ossis, deren über mehrere Generationen hinweg weitergetragene Verstrickung in beide deutschen Diktaturen, werden beschwiegen. Modrows Bild von der Implosion der DDR beschreibt präzise den Zusammenfall der Hülle, des Drumherum-Staatstheaters der SED-Diktatur. Ein wirklicher Aufbruch zu den Ufern der Freiheit aber ist bis zum heutigen Tag ausgeblieben. Möglicherweise ist ein solcher Aufbruch aber auch nur biologisch, in den Händen der nächsten Generationen möglich.
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