piwik no script img

Zum Kirchentag in NürnbergDie Kirche hat zu viele Privilegien

Über die Evangelische Kirche ist viel Gutes zu sagen. Doch bei Lichte betrachtet gibt es für ihre Alltagsmacht keine Begründung mehr.

Nachtsegen bei einem vergangenen Evangelischen Kirchentag Foto: Florian Gaertner/photothek/Imago

I n dieser Woche findet in Nürnberg der Evangelische Kirchentag statt, und auch wer über keinen besonderen religiösen Draht zu protestantischen Glaubensauffassungen verfügt, wird mit gutem Herzen erkennen, dass dieses Laienfest mit über 100.000 überwiegend jungen Menschen auch eine politische Botschaft hat.

„Jetzt ist die Zeit“ lautet das Motto der Tage in der fränkischen Hauptstadt. Von diesem Kirchentag sollen Signale ausgehen, auf dass die Welt, wenigstens unser Land ökologisch orientierter werden muss, dass es sozial gerechter zugehen soll und dass die Solidarität besonders mit der kriegerisch durch Russland überfallenen Ukraine nicht vergessen wird.

Ich bin mit 14 aus der Evangelischen Kirche ausgetreten. Und doch wird mir diese Veranstaltung Freude bereiten – ich kenne Kirchentage seit 1979, damals wurde er auch in Nürnberg gegeben, von mir damals auch wahrgenommen als Ort mit Nazihinterlassenschaften (Reichsparteitagsgelände and all those voodoo landscapes …), der durch dieses Event mit einer antivölkischen Agenda überschrieben werden konnte. Kirchentage sind seit mehr als 50 Jahren quasi Feste einer später Rot-Grün genannten politischen Agenda.

Es ist einfach viel Gutes über diese Kirchen, die evangelischen, zu sagen. Ohne die christlichen Gemeinden und ihre Solidarität etwa mit den Flüchtlingsbewegungen seit vielen Jahrzehnten, besonders seit 2014, hätte es keine solche energische, respektvolle und tätige Unterstützung von schutzsuchenden Menschen in Deutschland gegeben.

Trutzburgen vor den Nazimobs

Ohne die christlichen Gemeinden stünde es gerade in ostdeutschen Gegenden um den Protest wider völkische Bewegungen wesentlich schlechter. Kirchengemeinden, etwa in Sachsen-Anhalt oder Brandenburg, sind Trutzburgen vor den Nazimobs, die kaum (bis gar nicht) von der Polizei eingehegt werden. Die Kirchen dort? Eben: Schutzräume schlechthin.

Was aber nichts daran ändert, dass die Mitgliederzahlen der Kirchen, der katholischen sowieso, aber auch der evangelischen, dies zur Aussage haben: Sie werden kleiner, die Amtskirchen, sie repräsentieren nicht mehr die Mehrheit in unserem Land.

Sie sind jedoch als Institutionen in Staat und Gesellschaft mit Privilegien ausgerüstet. Und zwar mit solchen, die ihnen bei Lichte besehen kaum mehr zustehen: Sie haben exklusive Sendezeiten in den öffentlich-rechtlichen Medien, mit dem „Wort zum Sonntag“ beispielsweise. Sie sprechen, zugegebenermaßen gelegentlich inspirierend, morgens Kommentare im Radio.

Finanziell aus allgemeinen Steuermitteln gepampert

Sie verfügen außerdem über faktisch übermächtige Positionen im sozialen Bereich, über Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, auch Schulen und Kitas. Sie werden finanziell aus den allgemeinen Steuermitteln gepampert. Sie bestimmen sogar das Leben von Nicht- oder Andersgläubigen – dass Geschäfte sonntags geschlossen haben oder dass an bestimmten Feiertagen nur „gedeckte“ Musik gespielt werden darf.

Sendezeiten im Radio, geschlossene Läden an den Sonntagen – die Kirchen müssen von ihrer Alltagsmacht lassen, Jesus* wäre das nur recht

Das ist nicht mehr gerechtfertigt, auch die Protestanten können schon qua Mitgliederzahl nicht mehr diese weltliche Macht ausüben. Mögen muslimische Prediger, und zwar nicht von der Türkei bezahlte, oder jüdische Inspiratorinnen* auch Radio- und TV-Zeit haben. Möge wie in Frankreich und Großbritannien sonntags keine Kirchenruhe mehr herrschen, vielleicht wäre Zeit für Familie und Freunde zu bevorzugen, die ja gern mal wie in anderen Ländern ausgeruht shoppen gehen wollen.

Kirchen müssen von ihrer Alltagsmacht lassen, Jesus* wäre das nur recht. Gläubige können beten und feiern, was sie wollen – doch die Kirchen dürfen anderen nichts aufzwingen. Kein Amen, aber: So sei es!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
Mehr zum Thema

59 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Vielen Dank für eure Beiträge. Wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Das erste wäre ja schön mal dieses absurde Streikrecht (oder besser das Nichtvorhandensein eines solchen) der Kirchenarbeitnehmer zu ändern.



    Streikrecht für alle, nur die Kirche wird ausgenommen - wieso?

  • ich war mal im Krankenhaus. Die Pflege war hervorragend. Eine der Schwestern war Nonne. Sie arbeitete für Kost und Unterkunft und etwas Taschengeld.

    Die Kirche ist ein billiger Dienstleister für unseren Staat. Und sie macht dabei einen ziemlich guten Job. Ich war mit der Behandlung im katholischen Krankenhaus rundherum zufrieden. Jedenfalls habe ich den Krebs jetzt über 25 Jahre hinter mir. Ich war damals überglücklich, dass es Krankenhäuser und Ärzte gibt, die sich professionell um meine Problem gekümmert haben. Die Betten waren schön weiß bezogen und sauber. Die Toiletten wurden am Wochenende leider nicht geputzt (als hätten die Bakterien da Urlaub), aber ansonsten war alles wunderbar. Warum die Kirche angreifen?

  • 8G
    80410 (Profil gelöscht)

    Ich hätte gerne den aktuellen arbeitsfreien (oder durch Zuschläge entschädigten) Sonntag, aber komplett ohne den religiösen Bezug. Geht das auch oder macht das unsere schwarz-weiß gemalte Welt zu kompliziert?

    • @80410 (Profil gelöscht):

      Haben den nicht die meisten?

    • @80410 (Profil gelöscht):

      Klar geht, nur für jede Gruppe dann ein anderer Tag, je nach Wunsch der Freitag Samstag oder Sonntag (wie in Israel). Für die komplett säkularisierte Gesellschaft kommen dann noch Montag- Donnerstag hinzu. Die Abschaffung eines gemeinsamen arbeitsfreien Tages ist die konsequente Umsetzung der Indovidualisierung: 24/7 arbeiten, shoppen und Freizeit. Wohl bekomms.

  • 6G
    659554 (Profil gelöscht)

    "dass Geschäfte sonntags geschlossen haben"



    Gottseidank gibt es die Kirchen, und hoffentlich noch sehr sehr lange. Sonst wäre dieser Grundpfeiler der Vernunft schon längst aufgeweicht oder gar abgeschafft worden.

  • Die Kirche sollte sich aus Spenden der Mitglieder finanzieren. Eine Kirchensteuer lehne ich ab.



    Bin schon mit 18 ausgetreten.



    ------------



    Spanien. Die Steuerpflichtigen entscheiden Jahr für Jahr freiwillig mit ihrer Steuererklärung, ob ein 0,7-Prozent-Anteil ihrer Steuerschuld entweder der Kirche oder anderen sozialen oder kulturellen Zwecken zufließt. Siehe www.katholisch.de/...opa-ein-ueberblick

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Sonntag - Nach der Kirche damals: Kneipenqualm und Kartenkloppen,



    Nach dem Mittagsschlafe poppen.



    Ohne Kirche: Nur noch Shoppen.



    Wieder zählt der Mensch am End



    leider nur als Konsument... 😇🎁🎈

  • Keine organisierte gesellschaftliche Gruppe sollte irgendwelche Alltagsmacht oder gesetzlichen Privilegien haben - seien es Kirchen, Parteien, Zeitungen oder Universitäten.

  • ARTE Mediathek:



    "Gelobt sei Gott". Sehr sehenswert. Geht um Missbrauch und die Machtstrukturen in diesem Apparat.

    Im Film und der dazugehörigen Doku wird auch über die Möglichkeit informiert, die Taufe rückgängig zu machen.

    Wäre msl interessant dazu nähere Infos zu bekommen.

    • @R.A.:

      "... die Taufe rückgängig zu machen..."

      Ein paar Tropfen Wasser muss man nicht rückgängig machen. Die Zeit kann man ja so und so nicht zurück drehen. Aus dem Verein austreten reicht völlig.

    • @R.A.:

      Für mich ist das eine riesige kriminelle Vereinigung. Was die sich alles geleistet haben ist unerhört - v.a. bei der Missionierung der armen Ungläubigen und Primitiven im Kongo und in Südamerika .



      "Der Traum des Kelten" von Mario Vargas Llossa (Lit.Nob.Träger) zeigt auf, was für üble Dinge geschahen.



      Letztlich hat die katholische Kirche auch den richtige harten Nazis zur Flucht verholfen (RATTENLINIE). Dafür allein gehört sie abgeschafft. Ihre geraubten Schätze sollten sie zurückgeben. Mal eine andere Art der "Raubkunst).

  • "... die ja gern mal wie in anderen Ländern ausgeruht shoppen gehen wollen."



    Darüber werden sich sicher große Konzerne freuen. Kleinen Gewerbetreibenden wird dies erhebliche Probleme bringen und das Personal wird darunter leiden.



    Mussen wir die USA wirklich in allen Facetten nachahmen ? Dort sind Shoppingmalls 7/24 geöffnet, sie können dann Nachts um 3 Uhr im Drugstore Aspirintabletten in der 1kg-Packung kaufen. Brauchen wir sowas in Deutschland ?



    Ich finde, es ist gut, daß es wenigstens die Kirchen schaffen den kapitalistischen Moloch mal einige Tage zur Ruhe zu zwingen. Schade, daß atheistische Menschen dies nicht als Change begreifen.

    • @Dschou:

      Es gibt auch Atheisten, die nicht ständig "shoppen" müssen. Schön weil sie an die Menschen denken, die dann arbeiten müssten.

  • Am Ende des Artikels bleibt wieder mal nur der Wunsch des Autors zum neoliberalen Shoppen am Sonntag. Autsch.

  • "Kirchen müssen von ihrer Alltagsmacht lassen, Jesus* wäre das nur recht. Gläubige können beten und feiern, was sie wollen – doch die Kirchen dürfen anderen nichts aufzwingen. Kein Amen, aber: So sei es!"

    Mhm... Aufzwingen? Was soll das nun wieder sein? Ist politisch tätig werden im Sinne seiner Überzeugungen bereits Zwang?

    Und gilt das für alle Überzeugungen, dass sie nur im stillen Kämmerlein wirken sollen? Oder nur für die Überzeugung "der anderen"?

    Die Forderung kommt mir heftig undemokratisch und gegen bürgerliches Engagement gerichtet daher.

    • @Rudolf Fissner:

      "Die Forderung kommt mir heftig undemokratisch und gegen bürgerliches Engagement gerichtet daher."

      Sie vergessen da was ganz Wesentliches. Hier werden Kinder massenhaft mit Unsinn indoktriniert, die später als Erwachsene darunter zu leiden haben und auch handeln. Beispiel Sexualität.

  • "Doch bei Lichte betrachtet gibt es für ihre Alltagsmacht keine Begründung mehr."

    25% der Menschen in DE sind evangelisch. Wie kann man so viele Menschen so einfach ignorieren? Ein "ich" ... "bin auch der Kirche ausgetreten" ist da extrem subjektive Sicht der Dinge.

    • @Rudolf Fissner:

      "25% der Menschen in DE sind evangelisch."

      Eben. Nur so wenige. Die religiösen Ansichten der Muslime, Juden ect. sind doch auch nicht Maßstab für den Rest der Bevölkerung.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Ich glaube Sie haben das Wort "Alltagsmacht" missverstanden.

        Gewerkschaften, Christen Muslime oder größere Parteien, ja selbst kleine Verbände haben "Alltagsmacht" schon wegen ihrer bloßen Mitgliederzahl.

        Wenn man deren Gewicht beschneiden will, dann ist man nicht mehr weit vom Verbot von Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften oder Parteien entfernt .

  • "Wenn jemand z.B. aus der gewalttätigen "Zeugen Jehovas"-Sekte austreten und sich helfen lassen will, wo soll der dann in Deutschland hin?"

    Zum Beispiel zu jzhelp



    jz.help/ueber-uns/



    oder eine der vielen Aussteigegruppen.

  • Sonntagsruhe abschaffen, um endlich auch sonntags shoppen gehen zu können - sonst geht´s noch? Nicht nur, dass auch Werktätige im Handelsbereich einmal ausspannen möchten (viele müssen ja heutezutage schon sonntags arbeiten) oder für die Familie da sein möchten (aber wer braucht das schon heute noch, Familie?), allgemeine, gesellschaftlich vereinbarte kollektive Ruhezeiten sind für eine Gesellschaft überlebenswichtig - wenn es nicht nur vor allem eine den Großkonzernen genehme Konsum- und Gewinnerbringungsgesellschaft sein soll!! Und übrigens: Verbesserungswürdige Zustände gibt es auch in der evangelischen Kirche, natürlich. Deswegen muss sie aber noch lange nicht der Aktion `Hau den Lukas´ ausgesetzt werden!

    • @Munio Eunano:

      Die Abschaffung der Sonntagsruhe würde doch überhaupt nichts an den sonstig geltenden Arbeitszeitgesetzen ändern, als ob EH Mitarbeiter*innen dann plötzlich die 7-Tage Woche und übelste Ausbeutung droht, das ist nichts als ein Strohmann.



      btw, von jeder Menge Bereichen wird Arbeit am Sonntag allgemein erwartet(!) damit die Familen ach so schön ihrer Abspannung fröhnen können. Haben Gastro- Freizeit- ÖpnV etc Angestellte keine Familien? Ist doch sehr bigott die Diskussion....

      • @Eydeet14:

        Die Sonntagsruhe ist der einzige Grund, warum die meisten Leute vorwiegend montags bis freitags arbeiten und man am Sonntag einen Aufschlag beim Lohn erhält.

        Wenn die Sonntagsruhe wegfällt, fällt auch bald der Aufschlag weg.

        Die Beschäftigungsbereiche, die Sie nennen, gelten aus diesem Grund auch als besonders familienunfreundlich.

        Klar kann man die Meßlatte nach unten verschieben.

        Nur wird das niemanden glücklicher machen.

        Meinetwegen können Sie das bigott nennen.

        • @rero:

          das ist doch bloß willkürlich dahingestellt das die Wochendendstruktur (die ich auch begrüße) nur mit der strengen Sonntagsruhe so wie sie ist stehen und fallen würde.



          Ich habe 1 Jahr in Sco gelebt, da konnte ich Sonntags noch Lebensmittel besorgen wenn was knapp war aber die 5+2 Struktur war dennoch maßgeblich bestimmend für das Leben der allermeisten Menschen. Kann nicht nachvollziehen was da als Schreckensszenario à la 'Verlust überlebensnotwendiger Ruhepausen' gezeichnet wird.

          • @Eydeet14:

            Lebensmittel können Sie doch heute oft auch schon sonntags besorgen.

            In Berlin gibt es reihenweise Sonntagsöffnungen.

            Bis die 5+2-Struktur verloren geht, braucht es etwas Zeit.

            Manche fürchten den Dammbruch.

            Ich kann das nachvollziehen. Dammbrüche - im übertragenden Sinne - gibt es ja von Zeit zu Zeit.

            Sie wirklich nicht?

  • Da schwenke ich jetzt um und richte den Blick nicht auf die Kirche, sondern auf die Gesellschaft.

    Ist es gut für die Gesellschaft, wenn es ein freies Wochenende, eine Struktur gibt (von bestimmten Branchen, in denen ich selbst übrigens arbeite, mal abgesehen) ? Ich finde ja.

    Aber bringt es die Gesellschaft auf die Reihe? Noch nicht.

    Warum sind die allermeisten Feiertage christlich? Warum gibt es nicht jeden Monat 2-3 weltliche Feiertage? Anlässe ließen sich finden, etwa die Tage, wo eine Diktatur geendet hat. Das ist Job der Gesellschaft, nicht der Kirchen.

    Haben die Dörfer und Stadtteile Zentren, so wie es die Kirchen waren? Nur zum Teil.

    Warum, wie einE Vorkommentator*in schrieb, gibt es keine weltliche Sekten-Ausstiegsarbeit?

    Ist es die Bequemlichkeit der Gesellschaft, sich in bestimmten Bereichen weiterhin von den Kirchen bedienen zu lassen und gleichzeitig ihr den Rücken zuzuwenden?

    Zu mir: bin kirchenfern aufgewachsen, ab der Pubertät dann sehr mit der kath. Kirche verbunden, Jugendarbeit, Studium, hab dadurch den Weg zu linker Politik und Spiritualität gefunden. Bin nicht mehr Christ. Manches in der Dogmatik war mir zu sehr Hirn-Verrenkung. Aber die Lieder mag ich noch. :-)

  • Die Aussagen



    "Ohne die christlichen Gemeinden und ihre Solidarität etwa mit den Flüchtlingsbewegungen seit vielen Jahrzehnten, besonders seit 2014, hätte es keine solche energische, respektvolle und tätige Unterstützung von schutzsuchenden Menschen in Deutschland gegeben."



    und



    "Sie verfügen außerdem über faktisch übermächtige Positionen im sozialen Bereich, über Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, auch Schulen und Kitas."



    sollte man im Zusammenhang sehen. Die Kirchen haben ein großes Eigeninteresse daran, dass es möglichst viele Menschen gibt, die der Hilfe bedürfen. Der Staat bezahlt die Stellen im sozialen Bereich, die unter dem Label der Kirchen laufen, und die Kirchen entscheiden darüber, wer eingestellt wird, nämlich in aller Regel Kirchenmitglieder. Die haben dadurch einen handfesten Grund, in der Kirche zu sein, und zahlen von ihren staatlich finanzierten Gehältern ordentlich Kirchensteuern.

    • @Budzylein:

      Das Eigeninteresse würde ich ja vorrangig in der Möglichkeit zur Werbung unter den Unterstützungsuchenden verorten.

      Wer seine Oma in einem kirchlichen Altersheim hat, tritt nicht so schnell aus.

      Wer sein Kind auf eine kirchliche Privatschule oder Kindergarten hat, tritt vielleicht sogar wieder ein.

      Oder wenigstens das Kind.

      (Ich habe im meinem Umfeld Beispiele für beides.)

  • "Kirchentage sind seit mehr als 50 Jahren quasi Feste einer später Rot-Grün genannten politischen Agenda."

    Diese Analyse teile ich auch. Und es ist selten, dass das jemand so offen ausspricht. Für die EKD ist es eine schlechte Nachricht, denn um die christlichen Kernbotschaften geht es auf den Kirchentagen allenfalls am Rande. Kirchentage wären die Gelegenheit, die Gute Nachricht (das Evangelium von Jesus) in den Vordergrund zu stellen und so den eigentlichen Markenkern des Christentums herauszuarbeiten und junge Menschen dafür zu begeistern.

    Wenn eine Kirche nur eine politische Agenda transportiert, schafft sich als Kirche langfristig ab, was ja bei der EKD an den stetig sinkenden Mitgliederzahlen auch abzulesen ist.

    Sozialpolitische Anliegen sind für Christen nur eine Folgerung aus dem Evangelium, also niemals Ersatz für das Evangelium.

    • @Winnetaz:

      "Kirchentage sind seit mehr als 50 Jahren quasi Feste einer später Rot-Grün genannten politischen Agenda."

      Genau dies ist ja das Problem. Und da nach allen Umfragen nur etwa 15 % sich mit den Grünen identifizieren, sehen immer mehr Menschen in der evangelischen Kirche auch keine religiöse Heimat mehr.

    • @Winnetaz:

      Die Kirche schafft sich ab durch Machtmissbrauch und sexuelle Straftaten.



      Wäre an der Zeit dieses ganze System in die Versenkung zu schicken.

  • Mag sein, dass einige Privilegien der Kirchen nicht mehr zeitgemäß oder auch ungerechtfertigt sind. Aber die Sonntagsruhe ist auch für Nicht-Kirchenmitglieder ein Segen, z.B. für die VerkäuferInnen im EH. Und mit der Familie oder Freunden lässt sich an einem freien Sonntag die Zeit doch sinnvoller nutzen als mit Shopping, oder?

    • @Felis:

      Weihnachten, Ostern und Pfingsten sind Kirchliche Feiertage, normal müssten alle die nicht in einer Kirche sind an diesen Tagen Urlaub nehmen.

      • @Günter Witte:

        Bekomme ich dann nach meinem jeweiligen Glauben frei? Und haben alle entsprechend 6 Tage (ich habe jetzt Christi Himmelfahrt und Karfreitag dazu gerechnet) mehr Urlaub im Jahr? Was ist, wenn ich bei einem Arzt oder Anwalt arbeite, der einen anderen Glauben hat als ich? Muss der sich dann darum kümmern, wie er mich an seinen Feiertagen trotzdem beschäftigt, oder darf er mir Betriebsferien vorschreiben?

        Und ist Weihnachten nicht das Fest der Pause vom Konsum (Himmelfahrt ist sowieso Vatertag)? Oder erfinden wir einfach neue staatliche Feiertage, die wir geschickt übers Jahr verteilen (Japan kommt so auf inzwischen 16 Feiertage im Jahr)?

        Von muslimischen Kolleg:innen kenne ich aber auch, dass sie mindestens zwei, eher drei Wochen Urlaub im Jahr so zu nehmen versuchen, dass sie an ihren Feiertagen frei haben und sie mit ihren Familien verbringen. Die machen das also schon.

        Und warum sollen Christ:innen nicht auch für einen freien Karfreitag Urlaub nehmen müssen? Wir alle hätten mehr davon, wenn wir stattdessen z.B. am vierten Montag im März frei bekämen.

        Aber das wird sich alles nicht durchsetzen, solange man die Privilegien der Kirche selbstverständlich findet und nichts an ihnen ändert.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Die Sonntagsruhe gehört natürlich abgeschafft. Wie soll das sonst klappen mit der Viertagewoche?

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Verstehe ich nicht. Aber im Kapitalismus könnte man 1/7 mehr Kohle scheffeln pro Woche! Ausruhen kann man später, man ist schließlich lange genug tot!

  • 6G
    652797 (Profil gelöscht)

    "keine Kirchenruhe mehr herrschen, vielleicht wäre Zeit für Familie und Freunde zu bevorzugen, die ja gern mal wie in anderen Ländern ausgeruht shoppen gehen wollen."



    Anstatt Konsum zu predigen sollten Sie wenn schon die Zeit mit der Familie oder Freunde mit spielen oder anderen Freizeitaktivitäten genießen.

  • Religionen sind nie gut. Es geht immer um Strafe und Angstverbreitung und um Märchen.

    • @R.A.:

      Es gibt keine "Gar-Nicht-Religion". Jeder hat seine Quelle von Hoffnung, u.a. Für die Leute ohne Christengott gibt es anderes, woran sie glauben: Etwa einen Mix aus Buddhismus, Egoismus, Esoterik, oder Fußball oder Geld oder Weltuntergang durch Klimakatastophe...



      Die meisten europäischen Atheisten definieren ihren Null-Gott aus der Verneinung des Christengottes.

      • @Christoph Strebel:

        Ich glaube an gar keinen Gott und gar keine höhere Macht. Mit dem Tode wird für mich vollumfänglich Schluss sein, es gibt kein danach.



        Dazu brauche ich auch keine "Quelle der Hoffnung", ich weiß dass ich Dünger werde, also genieße ich meine Tage. Angst vorm Tod kenne ich bis jetzt noch nicht.

        • @Rudi Hamm:

          man finde den Unterschied zwischen ''Gott und höherer Macht'' einerseits und ''Quelle von Hoffnung/Lebensinn''.

          Von ersterem war in dem Kommentar auf den Sie antworteten nie wirklich die Rede - und wenn es letzteres auch für Sie gibt, ist das eine Form von Religiösität.

    • @R.A.:

      Nö.



      In manchen religiösen Ausrichtungen geht es schlicht um Spiritualität und Lebenssinn.

      Lebenssinn ist ein Grund-Motivationsfaktor menschlichen Handelns.

      Auch wenn Sie Strafe und Angst weglassen.

      Deshalb operiert die Evangelische Kirche beispielsweise seit längerem nicht mehr mit Strafe und Angst.

      Wenn Sie "Märchen" durch "Narrativ" ersetzen, passt es besser.

      Laut Harari ist die Fähigkeit zur flexiblen Kooperation aufgrund von Narrativen das, was den Menschen ausmacht.

      • @rero:

        👍

  • Etwas unter 50 % sind in einer“offiziellen“ Kirche. Dazu noch viele, die in der Statistik nicht erfasst sind, weil sie Mitglied in christlichen Gemeinschaften, Freikirchen usw sind oder einfach so christlichen Werten verbunden sind.



    Das sind doch überhaupt nicht wenige, das sollte man nicht immer kleinreden!!



    Klar kommen die Kirchen von einem anderen Level, aber mir fallen keine anderen weltanschaulichen Organisationen mit so vielen Mitgliedern ein.

    • @Fabiola:

      Wäre aber mal interessant zu erfahren wie das aussähe, wenn man sich wie in anderen Vereinen aktiv um eine Mitgliedschaft bewerben müsste. Noch interessanter, wenn es weltliche Alternativen gäbe (mit weiter Verbreitung) wie Jugendweihe statt Konfirmation, Bindungs- und Abschiedsfeiern statt kirchlicher Ehe- und Trauerzeremonien. Und erst recht interessant, wenn die Kirchen nicht mehr als Träger von Kitas, Schulen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen aufträten. Ob es dann mehr Christen als, sagen wir, Buddhisten in Deutschland gäbe? Ich zweifle daran.

  • Es gibt auch keinen neutralen Anlaufpunkt für menschliche Probleme, die NICHT in kirchlicher Hand sind.

    Wenn jemand z.B. aus der gewalttätigen "Zeugen Jehovas"-Sekte austreten und sich helfen lassen will, wo soll der dann in Deutschland hin?



    Ist ja nicht so als ob die Zeugen eh schon genug verharmlost werden in diesem Land (klar, die Täter sind weiß, was sollen Deutsche dann schon dagegen machen), aber aus der einen Sekte raus und sich von ner anderen Sekte helfen lassen? Raus aus der Traufe, rein ins nächste Jesus-Planschbecken?

    Das ist unhaltbar.

    Noch so ein Unding ist - das Austreten aus der Kirche wird mit unglaublich hohen Beträgen, die man dann zahlen muss, abgewickelt.

    Ein weiterer Punkt - die deutsche Politik hat NOCH NIE (!) Kirche und Staat trennen können.



    CDU/CSU - was soll das?

    Und vom Söder mit seinem Kruzifix-Wahn will ich erst gar nicht anfangen.

    Die CDU und die CSU müssen eigentlich ihre Parteien umbenennen.

    Und Aussagen wie "christliche Politik" sind ein Oxymoron.

    Was "christliches Vorgehen" bedeutet, das kann Jeder in einem Geschichtsbuch nachlesen.



    Ist dann aber eine extrem blutige und tödliche Angelegenheit.

    • @Tyramizou:

      Hatte die Antwort aus Versehen als eigenen Beitrag abgesendet, daher hier nochmals:



      "Wenn jemand z.B. aus der gewalttätigen "Zeugen Jehovas"-Sekte austreten und sich helfen lassen will, wo soll der dann in Deutschland hin?"

      Zum Beispiel zu jzhelp

      jz.help/ueber-uns/

      oder eine der vielen Aussteigegruppen.

  • Stimme dem geschriebenen zu. Aber am Sonntag kann man auch Mal nicht konsumieren. Die Woche hat dadurch auch mehr Struktur.

    • @A.S.:

      Sonntags wird viel konsumiert: Kultur, Freizeitparks, Gastronomie ... da fährt man auch mal mit Bus und Bahn hin oder muss vorher noch tanken.



      Man schaut auch sonntags fern, hört Radio, nutzt das Internet, verbraucht Strom und Wasser. Manchmal hat man sogar einen Notfall und freut sich, dass die Helfer auch sonntags arbeiten.



      Sonntagsarbeit wird in vielen Bereichen als selbstverständlich hingenommen und erwartet, sogar in der Kirche (Pfarrer, Organist, Mesner...).



      Es gibt da ein schönes, altes deutsches Wort, Bigotterie. Und die findet man sehr, sehr oft in der Dislussion um Sonntagsarbeit.

      • @Grummelpummel:

        "Sonntagsarbeit wird in vielen Bereichen als selbstverständlich hingenommen und erwartet, sogar in der Kirche": Das wäre mal eine Idee! Wir lassen die Kirchen wegen der Feiertage geschlossen, auch und besonders an Ostern und Weihnachten.

  • Schade. Es gibt echte Privilegien der "Kirchen" die dringend abgeschafft gehören, weil sie die Freiheit von Menschen einschränken und geeignet sind, Beschäftigte in Kita, Pflegeheim, Krankenhaus & Co unter Druck zu setzen.



    Die Sonntagsruhe hier so anzugreifen, geht nach meiner Einschätzung in die falsche Richtung. Von der Sonntagsruhe profitieren Verkäufer:innen und Familien. Aber auch Pflegekräfte und andere Schichtarbeiter:innen profitieren, weil mit der Sonntagsruhe Zuschläge für Arbeit am Sonntag verbunden sind.



    Dringend problematisiert und abgeschafft gehören Sonderrechte beim Arbeitsrecht, Betriebsverfassung und Co. Hintergründe dazu finden sich dort: gesundheit-soziale...-a662-001a4a160111

    • @hg1912:

      "Die Sonntagsruhe hier so anzugreifen, geht nach meiner Einschätzung in die falsche Richtung. "

      Ganz grober Unfug.

      In anderen Ländern gibt es Läden, die sind 24/7 offen. Natürlich mit passender Rotation bei den Angestellten.

      "Sonntagsruhe" ist so ein typischer deutscher Unsinn und durch und durch kirchlich geprägt.

      Und genau dieser Unsinn MUSS AUFHÖREN!

      • @Tyramizou:

        Meinen sie das ernst? Vielleicht such gleich die Feiertage?

        Wenn es keinen allgemeinen Ruhetag mehr gibt, dann gibt es keinen Ruhetag mehr. Dann stellt die Woche auch keine Struktur mehr dar.

        Dann gibt es keine Zeiten mehr in denen niemand arbeiten muss. keine Freitag oder Samstag Abend.

        Für die Mächtigen ist das der Startschuss zur vermehrten Ausbeutung. Das war übrigens auch bei den verlängerten Öffnungszeiten bis 20 Uhr so.

        Dann arbeiten wir irgendwann alle nur noch Schicht.

        Haben Sie das bedacht?

        • @Sonntagssegler:

          Das Problem an der Schichtarbeit ist in erster Linie der regelmäßige Wechsel der Schichten, der die Entwicklung eines gesunden Schlafrhythmus' verhindert. Die Berufe, in denen Schichtarbeit verlangt wird, sind in allererster Linie übrigens in der Industrie angesiedelt, wo es darauf ankommt, dass Maschinen 24/7 laufen und die Menschen an diesen Maschinen stehen. Von diesen Industriejobs gibt es immer weniger.

          Haben jetzt aber fast alle Menschen die üblichen Büro- und Behördenarbeitszeiten von 8 bis 17 Uhr, können sie bald alles nur noch auf Kosten ihrer Mittagspause oder online erledigen. Einkaufen statt Liefernlassen geht auch nur, wenn man Kinder oder Rentner:innen damit losschicken kann. Wenn ein:e Handwerker:in gebraucht wird, muss man sich ggf. kurzfristig einen Tag Urlaub nehmen.

          Vielleicht könnte man sich aber auf den freien Sonntagnachmittag einigen, weil nur so Amateursport möglich ist, so ähnlich geschehen bei einer Volksabstimmung in Neuseeland.

          In der Pflege sind die Nachtschichten z.B. länger, aber teilweise weniger fordernd, weil die Pflegebedürftigen in der Tendenz während der Nachtschicht schlafen.

          Haben Sie das alles bedacht?

      • @Tyramizou:

        Den freien Sonntag gab es auch unter Stalin in der antireligiösen Sowjetunion.

        Typisch deutsch?



        Durch und durch kirchlich geprägt?

      • 6G
        652797 (Profil gelöscht)
        @Tyramizou:

        Es gibt 6 andere Tage in der Woche in denen du deinem unnützen Konsum froholocken kannst. 24/7 Märkte das ist Unsinn.

        • @652797 (Profil gelöscht):

          Und dass die Läden nachts nicht auch noch offen sind, liegt vermutlich weniger an den Kirchen als an den Gewerkschaften.