Zukunft der Klimabewegung: Dynamit ändert das System nicht
Klimaschutz geht zu langsam. Aber deshalb fossile Infrastruktur anzugreifen, wäre moralisch, politisch und strategisch falsch – und kontraproduktiv.
D ie Klima-Guerilla hat es geschafft – zumindest bis an die Universität. „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt – Radikalisierungsdiskurse in der Klimabewegung“ lautet ein Seminar, das im kommenden Wintersemester bei den Politikwissenschaftlern an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster stattfindet. In der Ankündigung heißt es: „Die weltweite Klimabewegung hat in den letzten Jahren enormen Zulauf erhalten. Da substantielle Reaktionen der zentralen Adressat*innen weitgehend ausbleiben, werden Fragen der Radikalisierung in der Bewegung verstärkt diskutiert. Für einen wissenschaftlichen Blick auf das Phänomen Radikalisierung nehmen wir das Buch ‚Wie man eine Pipeline in die Luft jagt‘ als Ausgangspunkt. Daran anknüpfend beschäftigen wir uns mit der Legitimation radikaler Handlungsformen, der Diskussion über die Effektivität und den bewegungsinternen Debatten über Radikalisierung.“
Man darf gespannt sein auf das Seminar. Und auf die Debatte, die das Thema „Gewalt gegen fossile Infrastruktur“ jenseits der akademischen Zirkel auslösen wird. Die Situation jedenfalls ist treffend beschrieben: Weil die Klimakrise ungebremst eskaliert und sich keine echte Lösung zeigt, denkt zumindest ein Teil der Klimaschutzbewegung darüber nach, die Gangart zu verschärfen.
Wenn sich die „Letzte Generation“ im Berufsverkehr auf die Stadtautobahn klebt oder andere AktivistInnen vor „friedlicher Sabotage“ oder brennenden Autos in den Innenstädten warnen, ist eine neue Eskalationsstufe im Kampf gegen die Erderwärmung erreicht. Weil Latsch-Demos, Baumbesetzungen, Schulstreiks, die Blockade von Tagebauen, private Debatten am Frühstückstisch und sogar Klima-AktivistInnen in Parteien und Parlamenten keinen schnelleren Kohleausstieg, keinen Ausbau-Boom der Erneuerbaren und keinen Pfad zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels bringen, denken Einzelne offenbar über „direkte Aktionen“ nach. Schon malen AktivistInnen und JournalistInnen genüsslich das Gespenst einer „grünen RAF“ an die Wand.
Eine solche Militarisierung der Klimaproteste wäre allerdings ein schwerer moralischer, politischer und strategischer Fehler. Direkte Gewalt gegen Kohle-, Öl- und Gasinfrastruktur im Sinne von „Macht kaputt, was Euch kaputt macht!“ brächte vielleicht kurzfristig Scheinsiege. Ein symbolischer Fortschritt auf dem Weg zur Dekarbonisierung wäre ein bejubeltes Ventil für den verständlichen Frust vieler AktivistInnen. Aber er würde zynisch die Gefährdung von Menschen und Natur in Kauf nehmen, um angeblich Menschen und Natur zu retten.
Wichtigste Hebel in Gefahr
Eine solche Strategie würde mit ziemlicher Sicherheit nach hinten losgehen und der Klimabewegung ihre wichtigsten strategischen Hebel nehmen: die Bereitschaft der Bevölkerung zur Veränderung. Und vor allem: die moralische Ausrichtung der Umweltbewegung im Streben nach einer besseren und gerechteren Welt.
Denn wenn sich aus der Protestgeschichte der Bundesrepublik etwas lernen lässt, dann dieses: Die Revolution findet nicht statt, zumindest nicht mit Gewalt. Der Versuch der RAF, einem anderen Staat und dem Aufstand des Proletariats den Weg freizuschießen, endete in Blutvergießen, großem persönlichen Leid von Schuldigen und Unschuldigen, der Abkopplung von isolierten revolutionären Terrorzellen und der völligen Diskreditierung ihres Anliegens, der Reform der Gesellschaft. Der Staat rüstete auf, die Szene wurde von Spitzeln durchsetzt, weite Teile der Bevölkerung fühlten sich bedroht statt befreit und stimmten der massiven Einschränkung ihrer Grundrechte zu. Am Ende war die Bundesrepublik repressiver als zuvor. Wirklichen Wandel in Politik, Gesellschaft, Medien und Justiz bewirkten dagegen die Biographien von Menschen, die sich trotz Berufsverboten auf den „langen Marsch durch die Institutionen“ machten.
Das gleiche wäre bei einer Öko-RAF zu erwarten: Nach ein paar gelungenen Anschlägen auf Gas-Pipelines (man stelle sich so ein flammendes Inferno mit vielen Verletzten oder Toten vor, wenn etwas schief geht) würde der Staat massiv zurückschlagen: Spitzel würden die Szene verunsichern, neue Gesetze die Jagd auf AktivistInnen legalisieren, das Umfeld von Umweltverbänden, Thinktanks und Medien würde kriminalisiert. Es ginge nicht mehr um die Frage, ob das Gas klimaschädlich ist, sondern darum, wie man die Täter dingfest macht. In dieser Debatte wären die KlimaschützerInenn die Schuldigen – und in einer zynischen Umkehrung der Realität wären die Energiekonzerne mit ihren Klimakillern plötzlich Opfer statt Täter. Die Umweltbewegung würde sich über Jahre selbst fesseln durch eine Debatte, wie weit man sich abzugrenzen habe – statt gemeinsam gegen das fossile System zu kämpfen.
Woher rührte der Erfolg der Castor-Proteste?
Die Geschichte des deutschen Öko-Widerstands lehrt aber auch, wie es gehen kann: Die Proteste gegen die Castor-Atomtransporte ins Wendland waren wütend, über Jahrzehnte nachhaltig und schließlich erfolgreich. Denn sie wurden von einer politischen Bewegung getragen, die in Behörden und Parlamente vordrang, Alternativen entwickelte und für breite Zustimmung warb. Vor allem aber war allen Castor-GegnerInnen immer klar: So direkt und phantasievoll die Trecker-Blockaden rund um Gorleben auch waren – der Atommüll würde sein Ziel erreichen. Es ging darum, Widerstand sichtbar zu machen, die Transporte zu delegitimieren und die politischen und finanziellen Kosten der Atomenergie in die Höhe zu treiben.
Diese Einsicht muss sich auch bei den Fossil-Protesten breitmachen: Selbst wenn hier und dort eine Pipeline in die Luft fliegen sollte, ändert das nichts an der Versorgung mit fossilen Rohstoffen. Es würde nicht den politischen, sondern den Preis an der Zapfsäule erhöhen, es brächte die Menschen gegen die „Terroristen“ auf und würde den Konzernen Extragewinne in die Kassen spülen. Nur ein groß angelegter militärischer Konflikt könnte tatsächlich die deutsche Infrastruktur so beschädigen, dass sie in kurzer Zeit aufhören würde, CO2 in die Luft zu blasen. Zu welchen Opfern, Leiden und Verbrechen das führt, lässt sich derzeit beim russischen Überfall auf die Ukraine beobachten. Es kann nicht Aufgabe der Klimabewegung sein, der himmelschreienden Ungerechtigkeit der Erdüberhitzung durch Verbrechen der verbrannten Erde zu begegnen.
Statt einer Militarisierung sollte die Klimabewegen sich radikalisieren. Denn es stimmt ja, dass sich sehr schnell sehr grundlegende Dinge ändern müssen, wenn das gefährliche Karussel der Klimakrise gebremst werden soll.
Vorschläge im Guten
Was also tun, wenn man nicht Pipelines in die Luft jagen will? Ihnen vielleicht die Luft rauslassen: mit Klagen gegen Betriebsgenehmigungen, dem Einfordern eines Paris-kompatiblen CO2-Budgets für die öffentliche Infrastruktur.
Die Klimabewegung könnte deutlicher strategische Hebel definieren, an denen sie mit Streiks, Demos, Klagen, Blockaden und persönlichem Lobbying ziehen will. Etwa den nächsten Bundesverkehrswegeplan radikal umschreiben, der Straßenbau für Jahre zementieren soll. Den Ausbau der Erneuerbaren vorantreiben und auch in den Umweltverbänden die Konflikte mit den Naturschutz lösen. Eine große Kampagne zum Energiesparen wie „Geiz ist geil“ lostreten. Förderer und Bremser des Klimaschutzes in Regierung und Industrie noch klarer machen und individuelle Rechenschaft fordern. EU-weit und international koordinieren, auf welche Forderung man sich konzentriert, etwa einen globalen Vertrag zur Ächtung der fossilen Brennstoffe.
Es ist nicht meine Aufgabe, der Umweltbewegung vorzuschreiben, was sie zu tun hat. Eher noch, was sie besser lassen sollte: den Irrweg in geheime militante Aktionsformen zu nehmen, die für Mensch und Natur zu großer Gefahr führen können und die Stellung des fossilen Systems stabilisieren, das doch gerade kräftig ins Wanken gerät. Mit Dynamit ändern wir nicht das System. Wir spielen auch so schon genug mit dem Feuer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch