Zugchef zum Bahnstreik: „Die Stimmung ist am Boden“
René Bäselt verteidigt den mehrtägigen GDL-Streik. Er fordert die 35-Stunden-Woche – gerade wegen der gestiegenen Arbeitsbelastung.
taz: Herr Bäselt, die GDL fordert von der Deutschen Bahn mit Nachdruck eine 35-Stunden-Woche. Warum?
René Bäselt: Unsere Forderung ist berechtigt. Wir finden so kaum noch Nachwuchs. Dazu haben wir junge Leute, Mitte zwanzig, die nicht mehr durchhalten und mit Burn-out aussteigen. Teilweise arbeiten wir sechs Tage am Stück, dann machen wir einen Tag frei, dann geht’s wieder los. Im Schichtdienst mit bis zu 12 Stunden. Irgendwann hält der Körper das einfach nicht mehr aus.
Wie geht das mit dem Schichtdienst eigentlich, wenn der Zug mal Verspätung hat?
Laut Arbeitszeitgesetz dürfen wir nur bis zu 10 Stunden am Tag arbeiten, am Wochenende auch bis zu 12 Stunden. Bei Verspätungen kann so eine Schicht aber schon auch mal bis zu 14 Stunden lang werden.
Dementsprechend ist auch die Stimmung bei Ihnen?
Ja. Die Stimmung des Zugpersonals ist am Boden, komplett miserabel. Gerade jetzt, wenn sich der Vorstand Boni zuschustert und dabei seine selbst gesetzten Maßstäbe ignoriert: Fahrgastzufriedenheit, Pünktlichkeit … Das war ja alles nichts. Und der Bahnvorstand steckt sich dafür einfach 5 Millionen extra ein. In den jetzigen Verhandlungen wollen sie dann weiterhin auf 11 Prozent über 32 Monate hinaus. Wenn man das herunterrechnet, sind das nur 3,7 Prozent im Jahr – aber nicht bei der Inflation, die wir gerade haben. Und für das Jahr 2022 wurde mit der EVG sogar eine Nullrunde verhandelt.
Bei den jetzigen Verhandlungen geht es der GDL aber insbesondere um die Arbeitszeiten, oder?
Die Bahn sagt immer, dass wir die Viertagewoche fordern würden. Aber das stimmt gar nicht. Wir fordern eine Fünftagewoche und danach zwei Tage frei, so wie es für alle anderen im Büro auch geht. Sie hat Verhandlungsbereitschaft zu den Arbeitszeiten angekündigt, aber das, ohne über Lohnausgleich sprechen zu wollen. Das ist für uns nicht akzeptabel. Der Arbeitgeber geht damit gegen uns vor, und zwar nicht nur gegen die Gewerkschaft, sondern gegen die eigene Belegschaft. Man muss ja immer darüber nachdenken, wer hinter der Gewerkschaft steht. Das sind wir hier unten, die Mitarbeiter.
Hat sich die Arbeit an Bord in den letzten Jahren gewandelt?
Früher sind wir in festen Teams gefahren: neben den Bordgastronomen ein Zugchef, drei Zugbetreuer. Mittlerweile sind wir bloß noch zu zweit im Zug unterwegs oder selten auch zu dritt, wenn es mal gut läuft. Das alles in Zügen, in die zum Teil fast 1.000 Leute passen – mit nur noch zwei Verantwortlichen. Natürlich ist man dann gestresster, oft auch einfach überfordert.
Jahrgang 1970, ist Zugchef im Fernverkehr der Deutschen Bahn und bei der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) aktiv.
Wie oft sind denn die Züge so voll?
Ob es bei uns im Fernverkehr so voll ist wie vor der Pandemie, das ist schwierig zu beurteilen. Aber die Preisgestaltung der Bahn hat zur Folge, dass die Züge auch unter der Woche schon voll sind, nicht nur von Freitag bis Sonntag. Ich weiß ja nicht, ob man Leute jeden Tag mit Super-Sparpreis für 17,50 Euro von Berlin nach München schicken muss …
Die Kunden, die profitieren, dürften das anders sehen …
Ja, aber die Züge müssen ja auch gewartet werden. Zum Teil müssen wir auf den Zügen selbst schon Hand anlegen und kleine Mängel selbst reparieren. Auch die Übergriffe auf Mitarbeiter nehmen immer noch zu. Mehr Arbeit und weniger Zeit. Das sind alles so Sachen, dazu macht sich erst mal niemand einen Kopf. Etwa, ob ich das Personal und die Züge habe für die großen Entscheidungen. Da müsste auch der Gesetzgeber mal sagen: Also, das geht so nicht! Aber wir sind wieder mal die Blitzableiter.
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