piwik no script img

Wohnkostendebatte beim BürgergeldNur mehr Sozialwohnungen würden helfen

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Die Spar-Vorschläge von Friedrich Merz gehen fehl, denn irgendwo müssen die Leute leben. Was fehlt, ist bezahlbarer Wohnraum.

Soabld die Sozialwohnung aus der Förderung fällt, wird sie für viele Mieter unbezahlbar Foto: coramueller/getty images

D ie neueste Lieferung kam wieder von der Bild-Zeitung: 20.000 alleinstehende Emp­fän­ge­r:in­nen von Bürgergeld leben in Wohnungen von mehr als 100 Qua­dratmetern. Skandal, dass der Staat dieses Luxuswohnen bezahlt! So der Tenor der Story. Dass Alleinstehende in großen Wohnungen eben auch ins Bürgergeld rutschen können und dass das Jobcenter dann aber nicht langfristig die hohe Miete übernimmt, geht dabei unter.

Dieselbe Statistik der Bundesarbeitsagentur zeigt übrigens auch, dass mehr als 4.000 Haushalte mit vier, fünf und mehr Personen im Bürgergeldbezug auf einer Wohnfläche von weniger als 20 Quadratmetern hausen. Was nicht heißt, dass der Staat damit billig fährt. In Heimen wird pro Person ein Tagessatz von 25 Euro und mehr verlangt, den die Jobcenter finanzieren müssen. Da können mehr als 3.000 Euro an Wohnkosten für einen großen Haushalt zusammenkommen.

Auch das ist ein potenzieller Aufreger, obwohl die Betroffenen nicht mal genügend Platz haben, einen Esstisch neben dem Doppelstockbett aufzustellen. Die Heimbetreiber begründen ihre Tagessätze mit Zusatzkosten für Pförtner, Betreuungen, Security, Reinigung, Renovierungen.

Am armen Rand der Gesellschaft hat sich ein Graubereich für die Unterbringung auf Staatskosten entwickelt, an dem viele mitverdienen: die Betreiber von Gemeinschaftsunterkünften und auch Wohnungsbaugesellschaften, die ihre Mieten steigern, sobald die Jobcenter die Mietobergrenzen erhöhen.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Die Armen sind nicht schuld daran

Die Vorschläge von Friedrich Merz, die Wohnkosten für Grundsicherungsbeziehende zu „pauschalieren“, sind dabei nicht hilfreich. Mit „Pauschalieren“ meint Merz Einsparungen, also Absenkung der Mietobergrenzen. Bereits jetzt aber verschicken die Jobcenter Tausende von sogenannten Kostensenkungsaufforderungen, weil Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen nach Ablauf einer einjährigen Karenzzeit in angeblich zu teuren Wohnungen leben.

Nur: Sie finden keine Alternativen. Es brächte auch nichts, Arme in die teure Heimunterbringung zu treiben, nur weil man die etwa in München real existierenden Mietobergrenzen der Jobcenter von fast 20 Euro pro Quadratmeter für Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen für zu großzügig hält.

Was helfen würde, sind mehr – viel mehr – geförderte Sozialwohnungen mit moderaten Mieten. Es gab sie früher zu Hunderttausenden, jetzt aber nicht mehr. Die steigenden Wohnkosten für die Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen spiegeln diese Entwicklung. Die Armen sind nicht schuld daran. Man sollte sie auch nicht dafür verantwortlich machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch). Kontakt: dribbusch@taz.de
Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • In Hamburg haben das die Jobcenter rigoros gemacht, wenn die Wohnung zu groß war, musste umgezogen werden, das hat den Immobilienbesitzern richtig gut gefallen. Die haben die Mieter mit teilweise sehr alten Mietverträgen schnell und sauber aus den Wohnungen bekommen. Das Ergebnis war, dass gewisse Stadtteile regelrecht gesäubert wurden und die Konkurrenz von armen Menschen um billigen Wohnraum stark zunahm.



    Es fehlen inzwischen Sozialwohnungen, aber es fehlen in den Ländern Politiker, die durchsetzungsfähig und kompetent sind. In vielen Landesregierungen sitzen Menschen, die es nicht können und auch nie können werden. Da es um einflusslose Arme geht, stößt sich niemand dran.

    Ich finde Merz ist noch schlechter als Scholz und Merkel. Wenn das so weitergeht, gibt es irgendwann gewaltige Konflikte. Deutlicher kann ein Kanzler nicht von seiner eigenen Hilflosigkeit ablenken wollen, es sind die Armen die unser Problem sind? Oder unfähige Politikrentner, die gegen Arme und Geflüchtete hetzen?

  • Ergänzend möchte ich hinzufügen, dass eine Vergesellschaftung der börsennotierten Wohnungskonzerne langfristig die größte Wirkung auf eine Kappung (Senkung?) der teuren Mieten hat.

    Es sollte jeder und jedem klar sein, das nur eine Rekommunalisierung von Wohnraum wirklich hilfreich ist.

    Das schließt auch eine (weitreichende) steuerliche Bevorzugung von Wohnungs-Genossenschaften mit ein.

    Und Grundstücke (im städtischen Bereich) sollten grundsätzlich nur noch per Erbpacht vergeben werden dürfen.

    Alles machbar.

    Müssen nur wollen... . :-)

  • Richtig ist auch das viel Wohnraum leer steht, meistens allerdings leider nicht da wo Arbeitsplätze sind.



    Vielleich sollte man da mal gucken ob sich da Lösungen finden.



    Es kann doch nicht sein das Wohnungen einfach so verrotten.



    Es sollte eine Übergeordnete Kommission geben die deutschlandweit das koordiniert und Lösungen findet.

    • @Captain Hornblower:

      In HH stehen Wohnungen oft mehrere Monate leer, manchmal liegt das an Terminen mit Handwerkern, manchmal lässt man sich Zeit, den richtigen Mieter zu finden. Selbst rätselhaften Dauerleerstand gibt es. Leerstand ist nicht an wirtschaftliche Ertragskraft gebunden.

  • Nur weil die Bild was schreibt, ist es nicht falsch. Wenngleich der Tenor natürlich daneben ist. Aber alleine in meinem Umfeld kenne ich 3 Seniorinnen (in diesen Fällen alle weiblich), die nach dem Ableben ihrer Partner und dem längst vollzogenen Auszug der Kinder, alleine in grossen Häusern leben. In einem Fall mit Tagespflege in einer Senioreneinrichtung. Das heisst sie schläft nur in dem Haus. Ich habe keine Patentlösung, wie man bei uns Rentnern hier einen Sinneswandel durchführen kann, aber so ist es sozial, ökologisch und ökonomisch nicht tragbar. Die Weichen zum Umdenken müssten meiner Meinung nach viel früher einsetzen, nicht auf den letzten Metern wo es dann nur angstbesetzt ist und die Abwehr gegenüber einer "Umsiedlung" oder Aufnahme von Mitbewohner viel zu gross wird.

    • @Heiner Petersen:

      Die geschilderte Situation ist aber nicht unbedingt eine Frage nach Wohngeld, bzw. bürgergeld. Selbst ein Verkauf des Hauses würde nicht das Problem von fehlenden Sozialwohnungen lösen.

  • Ich fürchte, Statements wie "irgendwo müssen die Leute leben" verlieren in unserer trubokapitalistischen Äre ihre Bedeutung. Denn die naheliegende Antwort wird darin bestehen, sie in Frage zu stellen:

    "Ja, sicher müssen Leute irgendwo leben, aber das muss ja nicht zwangsläufig in Wohnungen sein. Wir sehen doch, dass Wohnen immer teurer wird, da kommt der Staat an seine Grenzen. Hier sind kreative, innovative Schritte erforderlich. Gerade jetzt, in Zeiten des Klimawandels, den wir übrigens immer schon anerkannt haben, stellt sich doch die Frage, ob es nicht sozial verträglicher ist, vom Anspruch auf eine Wohnung zurückzutreten. Sparte man doch so auch Kosten für deren Kühlung. Man entlastete also nicht nur den Wohnungsmarkt, sondern auch noch die Stromnetze. Das wäre übrigens auch mit Hinblick auf den hohen CO2-Ausstoß, der beim Bauen entsteht, die eindeutig nachhaltigere Lösung."

    Es ist egal, ob man so etwas jetzt von Merz, Klingbeil oder Söder erwartet. Kommen wird es. Und die fossile Propagandamaschine der Springer-Medien wird es zum Heilsversprechen verklären.

  • Das ist unseren politischen Lichtgestalten genau so klar, wie das eins und eins zwei ist.

    Man will es nicht. Man will die Menschen hier klein halten.

    Und wer sich um Wohnung, Job und Kühlschrank sorgen muss kommt nicht auf dumme Gedanken. Wie z.B. Gedanken über das Totalversagen der Parteien. In der Vergangenheit und jetzt gerade.

  • Merz will die Langzeitarbeitslosen in die Wüste , ehm also auf Land schicken. Da sind genug Wohnungen frei. Und ne Tanke gibts auch !

    • @Timelot:

      Wenn schon, dann ins Sauerland. Da sorgen dann die Schützenvereine auch gleich für die Integration, meint zumindest Merz.

  • Z.B. in Coburg gibts ne Bushaltestelle "Neue Heimat". Seitdem des in die Hose gegangen ist, ist die Subventionskohle halt anders versickert. Evtl. sollte ma ab "Neue Heimat" anfangen, gedanklich zumindest, anders zu agieren *lol*.

  • Kein Wort darüber, dass man ja auch in Gegenden umziehen könnte, wo es freien Wohnraum gibt und wo dieser für weit unter 10€ pro Quadratmeter zu haben ist. Wer nicht arbeitet bzw. genug selbst verdient, kann nicht verlangen, dass die Steuerzahler sein Leben in der teuren Innenstadt finanzieren. Das ist absurd.

  • Wahrer Punkt, der Mietmarkt ist völlig verquer, die Umzugsmobilität ist an sehr vielen Orten kaum noch da. Und Springerpresse wie die rechte Seite des Parteienspektrums sollten ihre Ablenkungsattacken auf sozioökonomisch Schwächere endlich einstellen - Anstand wäre etwas anderes als das. Sozialwohnungen sind Sache eines Staats, der nicht nur auf noch zu niedrigere Steuern für die Wenigen schaut.

    Ich möchte daneben schon auch die Verteilungsfrage stellen. Pro Nase haben wir eigentlich einiges an versiegelter Fläche, einiges an Wohnraum. Da wohnt Hilde Schnippenkötter alleine im Einfamilienhaus, während die Enkel am Dorfrand neu bauen, weil man das ja irgendwie so macht. Da zahlen wir die Steuerkürzungen für die Privatpoolbesitzer und lassen die öffentlichen Bäder verlottern. Da "brauchen" Studierende eine große Wohnung nur für sich, die Eltern haben's ja. Es ist ja nicht so, dass kluge Leute nicht schon kleine Wohnungen oder Zusammen-Nutzung ersonnen hätten. Oder in München bleibt die feine Wohnung leer, außer das Paar Dimpflmoser geht mal aus Knödlingen in die Oper.



    Es ist die zunehmende und vererbte Ungleichheit plus Ineffizienz. Und wir könnten gar nichts daran ändern?