Wie Windräder Fledermäuse bedrohen: „70 Schlagopfer pro Anlage“

Ab Anfang Mai fliegen im Süden überwinternde Fledermäuse zurück in ihre Sommerquartiere. Windräder schränken ihre Lebensräume zunehmend ein.

Eine Fledermaus fliegt in der Nacht

Die Populationen des Großen Abendseglers (Nyctalus noctula) schrumpfen zunehmend Foto: Agami/blickwinkel/imago

taz: Herr Voigt, Sie haben eine Rauhautfledermaus beringt, die 2.224 Kilometer von Lettland bis nach Nordspanien ins Winterquartier geflogen ist. Sind die Fledermäuse jetzt im April schon auf dem Weg in die Sommerquartiere?

Christian Voigt: Die sind noch in ihren Winterquartieren, ob in Deutschland, Frankreich oder Spanien. Die Frühlingswanderung beginnt in den ersten warmen Maitagen, dann fliegen die Fledermäuse sehr schnell und direkt auf ihrer nordöstlichen Route Richtung Sommerlebensraum, wo sie ihren Nachwuchs bekommen und aufziehen.

Da müssen sie sich aber beeilen mit Paarung und Aufzucht.

Die Fledermäuse balzen und paaren sich auf der Sommerwanderung im Vorjahr, die aufgenommenen Spermien werden dann von den Weibchen über mehrere Wintermonate gespeichert. Viele migrierende Fledermausmännchen singen deswegen auf ihrer Wanderung im Spätsommer, um Weibchen zu beeindrucken. Den Großen Abendsegler können junge Menschen mit einem guten Hörvermögen Ende August, Anfang September in Parks in Berlin sogar singen hören.

Die Fledermausweibchen fliegen trächtig quer durch Europa?

Nach dem Winterschlaf erfolgt die Befruchtung. Die Weibchen fliegen in der frühen Trächtigkeit in ihren Sommerlebensraum. Dort kommt dann ihr Nachwuchs zur Welt, bei wandernden Arten sind es oftmals zwei Jungtiere pro Wurf.

leitet die Abteilung für Evolutionäre Ökologie am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin und ist Dozent an der Freien Universität Berlin. Ein Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit sind seit 30 Jahren europäische und tropische Fledermäuse, insbesondere die wandernden Fledermausarten.

Das hört sich ganz schön kompliziert an.

Und faszinierend. Dabei weiß man nur ein paar Dinge über Fledermäuse. Viele wiegen ja nur ein paar Gramm und können deswegen nicht oder nur schwer besendert werden. Wir wissen nicht, ob es Rastgebiete gibt, in denen die Fledermäuse regelmäßig ein paar Tage ausruhen und Fett anfressen.

Wie ernähren sich denn die Fledermäuse, wenn sie wochenlang unterwegs sind?

So wie Menschen brauchen auch Fledermäuse ständig ein bisschen Nahrung. Läufer beim Marathon trinken einen Energydrink zwischendrin, um die Energiereserven nachzufüllen. Wir vermuten, dass Fledermäuse in den ersten Abendstunden fliegen, weil dann viele Insekten in der Luft sind und sie sich ihren Energydrink schnappen können. Die Fledermauswanderung im Sommer folgt vermutlich dem Insektenzug.

Die Fledermäuse fliegen einfach in ihrem Nahrungsdepot.

Das vermuten wir. Wenn in der Nacht die Luftsäule auskühlt, dann sinken vermutlich auch die Insekten zu Boden und dann hören auch die Fledermäuse auf zu migrieren, weil sie während des Flugs ihren Energydrink nicht mehr zu sich nehmen können.

Die Fledermäuse fliegen entlang der Küsten von Nord- und Ostsee

Fliegen die Rauhautfledermäuse allein oder im Rudel?

Man spricht von Gruppen. Aber sie fliegen in der Regel allein.

Eine sieben Gramm kleine Fledermaus fliegt 2.000 Kilometer allein, um sich fortzupflanzen?

Ja, wobei wir es eigentlich nicht wissen, ob es einen intrinsischen Drang gibt in eine bestimmte Richtung zu fliegen, dem die erwachsenen Tiere folgen. Wir wissen auch nicht, ob die Wanderung angeboren oder erlernt wird. In einem Untersuchungsgebiet in Lettland haben wir beobachtet, dass einzelne Tiere dicht auf dicht folgen, aber sie fliegen nicht im Pulk los, wie Zugvögel.

Wie finden die Rauhautfledermäuse ihre Route vom ­Baltikum bis nach Nord­spanien?

Fledermäuse haben einen Magnetsinn und einen Sonnenkompass. Sie orientieren sich an der Sonne und dem Sonnenuntergang, den sie über den Lichtschimmer über dem Horizont auch in der Dämmerung wahrnehmen können. Sie fliegen entlang der Küsten von Nord- und Ostsee, wie wir mit ultraleichten Peilsendern auf den Tieren und dem Antennensystem unserer Kollegen vom Institut für Vogelkunde beobachten konnten.

Sie haben auch Große Abendsegler besendert, die aus dem Baltikum nach Deutschland ebenfalls entlang der Küsten wandern. Wie verhalten sich die Tiere rund um die Windenergieanlagen?

Im Küstenbereich meiden die Fledermäuse die Anlagen über mehrere Kilometer, was eine gute Nachricht ist, denn Große Abendsegler gehören zu den häufigsten Todesopfern an Windenergieanlagen.

Warum?

Das liegt an ihren Jagdweisen, genau wie bei den beiden anderen häufigsten Schlagopfern, der Rauhautfledermaus und der Zwergfledermaus. Die einen jagen im offenen Luftraum nach Insekten und sind an Windkraftanlagen den Rotorblättern ausgesetzt, die anderen jagen an Strukturelementen nach Insekten, wie die Zwergfledermaus. Die Rauhautfledermaus jagt entlang von Waldrändern und fliegt dann in die Rotorblätter hinein.

Die Großen Abendsegler haben also gelernt, mit den Windkraftanlagen zu leben.

Nein, nicht unbedingt. Wenn Anlagen nahe an Quartieren oder in bevorzugten Jagdlebensräumen stehen, dann fliegen Große Abendsegler regelmäßig die Windenergieanlagen an. Die von uns beobachtete Meidung im Küstenbereich führt dazu, dass der Lebensraum der Fledermäuse an der Küste wegen der hohen Dichten von Windenergieanlagen verschwindet. Die Küstenstandorte der Windenergieanlagen sind gleichzeitig die Migrationskorridore für die Fledermäuse.

Bundesumweltministerin Lemke will 80 Millionen Euro in Artenhilfsprogramme stecken. Können Lebensraumverluste von wandernden Fledermäusen ausgeglichen werden?

Wo soll das Geld investiert werden, wenn wir nicht mal wissen, wo die Tiere rasten? Oder wie viele Tiere es gibt. Die Bundesregierung will weg vom Schutz einzelner Individuen hin zum Populationsschutz, aber wir können keine seriösen Aussagen treffen zu den Populationsgrößen der einzelnen Arten. Es gilt die Europäische FFH-Richtlinie, aber die Bundesregierung bewegt sich in Richtung Aufweichung des Naturschutzes, weil dem Energieausbau ein höherer Stellenwert beigemessen wird. Aufgrund der Dringlichkeit, mit der die Akteure das durchpreschen wollen, untermauern sie die Pläne nicht wissenschaftlich.

Fledermäuse sind mit der weltweit geltenden Konvention zum Schutz migrierender Arten geschützt. Setzt Deutschland die um?

Wo kein Kläger, da kein Richter. Deutschland steht ja noch einigermaßen gut da, in den meisten Ländern weltweit wird gar kein Fledermausschutz an Windenergieanlagen betrieben. Der Hauptwindenergieproduzent ist China. Ein Kollege aus China hat mal die chinesische wissenschaftliche Literatur angeschaut. Über Schlag­opfer an Windenergieanlagen ist dort nichts bekannt. Oder in anderen europäischen Ländern, in denen wie in Deutschland die FFH-Richtlinie gilt, aber die Umsetzung sehr mangelhaft ist. Viele Länder in Südostasien und Südamerika setzen stark auf Windkraft, weil die günstiger zu bauen ist als ein Kohlekraftwerk und schnell ein Gewinn produziert werden kann. Das ist alles völlig unreguliert. Mit der Weltbank erarbeiten wir gerade ökologische Richtlinien, da viele der Projekte mit deutschen Steuergeldern bezahlt werden und die Zuwendungsgeber wie die KfW wollen, dass ökologisch nachhaltig investiert wird.

Sie beschäftigen sich seit 20 Jahren mit Fledermäusen und Windenergieanlagen. Wie können die Tiere geschützt werden?

Der wirksamste Schutz ist, die Anlagen bei bestimmten Windgeschwindigkeiten und Wetterlagen abzustellen. Man muss auf rund 1 Prozent der Energie verzichten, um Fledermäuse zu schützen. Sie sind nachtaktiv und fliegen besonders in der Migrationsphase nur wenige Stunden, nur bei wenig Wind und hohen Temperaturen. Fledermäuse hören bei 5 bis 7 Meter pro Sekunde Windgeschwindigkeit auf, in der Luft unterwegs zu sein. In dem Bereich fangen die Windkraftanlagen an zu arbeiten. Rund ein Viertel der Anlagen in Deutschland hat automatische Abschalteinrichtungen, das funktioniert sehr gut.

Das hört sich nach einer sauberen technischen Lösung an.

Das Dilemma ist, dass die großen, modernen Anlagen, die jetzt gebaut werden, schon bei 3 oder 4 Meter Windgeschwindigkeit anfangen, Energie und Gewinne zu produzieren. Wenn die Abschaltauflagen bis 5 oder 7 Metern gehen, ist der Verlust wesentlich größer und die Akteure sind wesentlich sensibler.

Aus Ihrer wissenschaftlichen Sicht wäre es für den Fledermausschutz ausreichend, wenn alle Anlagen sich bei Fledermauswetter automatisch abschalten?

Ja. Allerdings laufen 75 Prozent der Anlagen ohne Abschaltauflagen, also über 20.000 Windenergieanlagen in Deutschland. Westlich von Berlin haben wir 2021 auf der ­Nauener Platte unter drei Alt­anlagen die Schlagopfer gezählt und dann hochgerechnet, wie viele der Fledermäuse pro Anlage zu Tode gekommen sind. Wir sind auf 70 Schlagopfer pro Windkraftanlage gekommen, an drei Anlagen also mehr als 200 tote Fledermäuse in den zwei Monaten der Migrationszeit. Das wissenschaftliche Manuskript ist gerade in der Begutachtung.

Welche Arten waren das?

Die gängigen Kandidaten. Rauhautfledermaus, Großer Abendsegler, Zwergfledermaus. Die Bestände des Großen Abendseglers nehmen ab, wie das Bundesamt für Naturschutz verkündet hat.

Und dafür sind nur Windenergieanlagen verantwortlich?

Das ist schwierig zu quantifizieren, welche Todesursachen hauptursächlich sind. Auch der Nahrungsmangel durch weniger Insekten spielt sicher eine Rolle. Die Schlagopfer unter den Anlagen kann man jedoch zählen und hochrechnen.

Was sind andere Gefahren für die Fledermäuse?

Vom Beutegreifer erfasst zu werden.

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